„Eine starke, persönliche Kraft“ – Die Mode- und Grafikdesignerin Fritzi Löw

27. April 2023

Forschung & Sammlung

Nach Vally Wieselthier und Hilda Jesser verfolgt der MAK Blog die Karriere einer weiteren Künstlerin der Wiener Werkstätte. Fritzi Löw gehörte hier mit Eduard Wimmer-Wisgrill, Max Snischek und Maria Likarz zu den wichtigsten Mode-Entwerfer*innen. Anne-Katrin Rossberg und Michael Hölters, Kustodin beziehungsweise wissenschaftlicher Mitarbeiter der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv, stellen eine Künstlerin vor, die der Allgemeinheit vor allem durch ihre Buch-Illustrationen für den Schroll-Verlag bekannt sein dürfte.

Fritzi Löw (links) und zwei Mitschülerinnen, vermutlich in der Kunstschule für Frauen und Mädchen, um 1907 © MAK

Fritzi Löw (links) und zwei Mitschülerinnen, vermutlich in der Kunstschule für Frauen und Mädchen, um 1907 © MAK

„Schon das Milieu, in dem die Graphikerin Fritzi Löw aufwuchs, brachte ihr viele Anregungen für ihr späteres Schaffen: eine ‚ärarische‘ Wiener Familie, die ererbten Möbel und alten Bildnisse in der urgroßväterlichen Wohnung im Heiligenkreuzerhof, das elterliche Heim in der Schlösselgasse, der berühmte Onkel, der öfter zu Besuch kam, Julius Wagner-Jauregg…“, so beschreibt eine Kurzbiografie die Herkunft der 1891 geborenen Tochter eines Prokuristen. Nach dem Besuch der Kunstschule für Frauen und Mädchen begann Fritzi Löw an der Kunstgewerbeschule zu studieren und trat 1912 in die Fachklasse von Josef Hoffmann ein. Im Abschlusszeugnis wurde sie als „starke, persönliche Kraft“ und „ausgezeichneter, verläßlicher Mensch“ charakterisiert, „voll von Interesse an ihrer Arbeit und sehr begabt für das Illustrationsfach“.

 

Diese Begabung hatte Hoffmann früh erkannt und beauftragte – als Leiter der Wiener Werkstätte – seine Studentin bereits 1912, Motive für die WW Postkartenserien zu entwerfen. Dabei entstanden die wunderbaren Monatsbilder im zeitgemäßen Flächenstil mit humorvollen Szenarien. Sie stellen zugleich Mode-Entwürfe dar, wie auch etliche andere WW Postkarten, die damit als Werbemittel der neu gegründeten Stoff- beziehungsweise Modeabteilung dienten. Generell war man in der Stadt bemüht, sich mit einem spezifischen Wiener Stil international zu etablieren. Vor diesem Hintergrund fand 1913 ein Preisausschreiben des „Jungwiener Mode-Komitees“ statt, bei dem Fritzi Löw den mit 1500 Kronen dotierten 1. Preis erhielt.

 

Im Jahr darauf war sie mit ihren Entwürfen auf der Werkbundausstellung in Köln vertreten, wo die WW einen eigenen Mode-Raum präsentierte. Außerdem beteiligte sie sich an dem großartigen Mappenwerk Mode Wien 1914/5 mit achtzehn handkolorierten Linolschnitten und schuf Entwürfe zur Mode-Spezialität Wiener Bluse, der sich die WW zu Beginn des 1. Weltkriegs intensiv widmete. Interessanterweise finden sich in unserem Archiv Fotografien, die Fritzi Löw auch als Model der Wiener Werkstätte zeigen, etwa in einem Cordsamt-Mantel mit Pelzkragen und dazu passendem Muff.

 

Im Februar 1914 fand in den Sophiensälen die Schleier-Redoute Wiener Sang und Klang – ein Jahrhundert lang statt, dessem Künstlerkomitee auch Fritzi Löw angehörte. Sie gestaltete das Plakat der Faschings-Veranstaltung und stattete ihre Gruppe unter dem selbstironischen Titel Modetypen – Modeteppen mit Kleidern aus WW Stoffen aus. Bei der Prämierung der schönsten Gruppen ging der 3. Preis auf das Löw-Team. Tatsächlich fiel die Kostümierung der „Modetypen“ äußerst elegant aus: Die Gilets der Herren zeigten auffällige Stoffmuster von Ugo Zovetti, Josef Hoffmann und Dagobert Peche, die Damen waren in Tüll und Seide gehüllt.

Fritzi Löw (mittlere der drei Damen) auf der Schleier-Redoute in den Sophiensälen 1914 © MAK

Fritzi Löw (mittlere der drei Damen) auf der Schleier-Redoute in den Sophiensälen 1914 © MAK

Während des Krieges war Fritzi Löw Mitarbeiterin der 1916 gegründeten Künstlerwerkstätte der WW, die jährlich zu Weihnachten ihre Produkte im Verkaufslokal am Graben anbot. Diese Verkaufsausstellungen wurden in der Tagespresse ausführlich besprochen. Ein Artikel nennt Löw in einem Atemzug mit Dagobert Peche, „zwei ungemein phantasiereiche Gestalten, die dennoch den schärfsten Gegensatz bilden. Denn während der junge Künstler alles nach seiner Eigenart zwingt, versteht es die junge Dame ausgezeichnet, sich den Anforderungen der einzelnen Gegenstände anzupassen“. Die „Gegenstände“ sind nun nicht mehr nur Mode, sondern auch Schmuck, Spielzeug, Schachteln, Holzkassetten, Keramiken und vieles mehr. Daneben arbeitet sie als Illustratorin für verschiedene Verlage und reüssiert besonders mit den kleinformatigen Schroll-Büchlein, deren ledergebundene und signierte Vorzugsausgaben vom Anspruch eines Künstlerbuches zeugen.

 

Das Format erweiterte sich beträchtlich, als die WW Künstlerinnen 1918 das Verkaufslokal für Spitzen, Stoffe und Beleuchtungskörper in der Kärntner Straße 32 mit Wandmalereien ausstatteten; Fritzi Löw steuerte galante Szenen im Rokoko-Stil bei. 1919 heiratete sie den Rechtsanwalt Ernst Lazar und wurde damit Schwägerin der Schriftstellerin Maria Lazar, deren Werk in den vergangenen Jahren wiederentdeckt wurde. Gemeinsam mit ihrem Mann (der die Reime verfasste), gestaltete Löw einen Kalender, der 1920 im Schroll-Verlag erschien. Im selben Jahr stellte sie auf der Kunstschau im heutigen MAK aus, war 1925 auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs in Paris vertreten und beteiligte sich in der Folge an den Ausstellungen der Wiener Frauenkunst. Hier zeigte sie 1929 eine bemalte Truhe und eröffnete damit ein Thema, dass sie später im Exil noch lange beschäftigen sollte.

Fritzi Löw-Lazar, Marktszene in Rio de Janeiro, publiziert in der Zeitung „O Malho“ am 8. Juni 1939

Fritzi Löw-Lazar, Marktszene in Rio de Janeiro, publiziert in der Zeitung „O Malho“ am 8. Juni 1939

Unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen entstand in den 1930er-Jahren eine Reihe von Zeichnungen, in der starke Hell-Dunkel-Kontraste und ironische Inhalte die frühere Leichtigkeit und Heiterkeit ablösten. Nach dem „Anschluss“ 1938 und dem Verlust seiner Arbeit kümmerte sich Ernst Lazar intensiv um die Auswanderung. Mithilfe seiner Schwester Maria, die bereits 1933 gemeinsam mit Bertolt Brecht und Helene Weigel nach Dänemark emigriert war, reiste er mit seiner Frau kurz vor der Reichskristallnacht nach Kopenhagen, um Anfang April 1939 das Schiff von London nach Rio de Janeiro zu nehmen. In Brasilien hielt Fritzi Löw ihr Leben in Bildern – einige wurden in Zeitungen publiziert – und Briefen fest, schrieb Erzählungen und bestritt den Lebensunterhalt durch künstlerische Arbeit in einer großen Möbelfabrik.

 

„Dort habe ich Möbel bemalt“, erzählte sie später in einem Interview, „in verschiedenen Stilen, die für die Brasilianer exotisch sind: Versailles, China…“. Einen bemalten Schrank nahm sie 1955 mit nach Wien zurück. Hier entstand in den folgenden Jahren vor allem private Gebrauchsgrafik. Am 19. September 1975 verstarb die Künstlerin. Auf Initiative von Michael Hölters wurde ihr Grab – es stand bereits vor der Auflösung – 2020 in ein Ehrengrab der Stadt Wien umgewandelt und blieb dadurch erhalten.

Ein Beitrag von Anne-Katrin Rossberg, Kustodin der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv, und Michael Hölters, wissenschaftlicher Mitarbeiter der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv

Veranstaltungstipp:

Buchpräsentation im MAK Lesesaal am 2.5.2023: Fritzi Löw und die Buchkunst in Wien um 1900 von Josef Smolen

Lesetipp:
Auguste Lazar, Arabesken. Aufzeichnungen aus bewegter Zeit, Berlin 1957
Die Schwester von Maria Lazar, ebenfalls Schriftstellerin, schildert in diesem autobiografischen Werk auch die Umstände der Emigration ihres Bruders Ernst und ihrer Schwägerin Fritzi Löw-Lazar.

Gunther Martin, Ateliergespräche (X): Fritzi Löw, in: Die Kleine Galerie. Wiener Kunsthefte, Jg. 1964/65, Nr. 6

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