18. September 2019
Architektur, Augmentation und AI bei der VIENNA BIENNALE FOR CHANGE 2019
+++ Ausstellung SPACE AND EXPERIENCE. Architektur für ein besseres Leben entspinnt subtiles Geflecht zwischen aktuellen und historischen Aspekten von Architektur +++
Seit 2017 widmet sich das von Nicole Stoecklmayr gegründete Wiener Design- und Forschungsstudio Scenes of Architecture dem Kuratieren von Architektur in realen und digitalen Räumen. Für die vom MAK in Kooperation mit Wienerberger im Rahmen der VIENNA BIENNALE FOR CHANGE 2019 gezeigte Ausstellung SPACE AND EXPERIENCE. Architektur für ein besseres Leben destillierte Stoecklmayr 23 Positionen der aktuellen Architektur, die sich neuen gesellschaftlichen und technologischen Anforderungen an Wohn-, Arbeits- und Stadtraum stellen. Ein besonderer Aspekt der Ausstellung widmet sich einem der Hauptanliegen von Scenes of Architecture: bestimmte Qualitäten, Praktiken und Werte von Architektur aufzudecken und hervorzuheben.
Im Archiv von Wienerberger stieß Stoecklmayr auf historische, ornamentale und figurative Arrangements aus Keramikkacheln, die wiederkehrende Themen, Elemente, Motive und Aspekte der in SPACE AND EXPERIENCE gezeigten Architekturprojekte aufgreifen. Sie entstanden um 1900 und wurden in vielen Zinshäusern und öffentlichen Gebäuden als Wandverkleidung und Fliesenbilder verlegt. Ausgewählte Fliesenbilder aus einem Produktkatalog von Wienerberger ermöglichen in SPACE AND EXPERIENCE historische Bezüge zum aktuellen Wandel räumlicher Strategien in Architekturprojekten und stellen gleichzeitig subtile Verbindungen zwischen den Exponaten der Ausstellung her. Hier ausgewählte Beispiele:
Berge
Eine Nordostansicht des schneebedeckten Großglockners ist das Motiv der Wienerberger: Tafel 10: „Großglockner“ (um 1900).
Alpine Gletscher als Architektur der Veränderung sind das Leitthema des Forschungs- und Lehrmoduls Synthetic Crystallizations an der Universität Innsbruck. Den Unterbau dafür liefern die von ecoLogicStudio entwickelten algorithmischen Entwurfs- und Forschungsmethoden.
Den Cobenzl auf dem Reisenberg im 19. Wiener Gemeindebezirk möchte die ArchitektenInnengemeinschaft Realarchitektur & mostlikely mit ihrem Entwurf Weitsicht Cobenzl (2018+) wieder als Raum für viele aktivieren. Die bestehenden Bauten, Schloss und Meierei, werden mit Zubauten erweitert und zu einem Gesamtkomplex verbunden.
Beim Book Mountain (2012) haben MVRDV das Raumprogramm stufenartig übereinandergestapelt und die verschiedenen Plattformen mit treppenartigen Bücherregalen verbunden, über die die BibliotheksbesucherInnen die öffentliche Bibliothek erklimmen können.
Gärten
Das Fliesenbild Wienerberger: Tafel 11: „Frühling“ (um 1900) zeigt eine Gartenlandschaft mit verschiedenen Bäumen in Frühlingsblüte.
Als einen der städtebaulich größten Gärten zeigt die Ausstellung den MVRDV’s Skygarden (2017), einen ehemaligen hochgeführten Teilbereich der Stadtautobahn in Seoul, der in einen öffentlichen Grünraum umgestaltet wurde und sich heute als botanischer Garten mit koreanischen Pflanzen und Bäumen inmitten der Stadt präsentiert.
Mit H.O.R.T.U.S. XL Astaxanthin.g (2019), einem großräumigen 3-D-gedruckten bio-digitalen Gartenprototypen für Innenräume, belegen ecoLogicStudio eindrücklich das Potenzial von Cyanobakterien (Blaualgen). Diese lebende Architektur wächst über die gesamte Ausstellungsdauer und produziert im MAK-Kunstblättersaal durch Photosynthese Sauerstoff und Biomasse.
Für das neue Institutsgebäude des Robotics Lab der University of Michigan entwarfen SPAN (del Campo Manninger) den Robot Garden (2019), der als Testgelände für die unterschiedlichen mobilen Roboter dient. Der mit künstlicher Intelligenz computergenerierte Entwurf basiert vollständig auf einem Generative Adversarial Network (GAN).
Tiere
Drei stehende rosa Flamingos vor Pflanzenblättern einer Monstera deliciosa zieren das Fliesenbild Wienerberger: Tafel 11: „Flamingo“ (um 1900).
Früchte, Pflanzen und Insekten in leuchtenden Farben sind auf dem digital generierten Deckenbild in MVRDV’s Markthal (2014) zu sehen und ziehen die Behttps://www.mvrdv.nl/sucherInnen in das Innere der Markthalle in Rotterdam.
Die auffälligsten Merkmale des von Tzou Lubroth Architekten gestalteten Wiener Lokals Birdyard (2017) sind die namensgebenden handbemalten Wandgemälde, auf denen sich Vögel und Baumblätter ausbreiten.
Wände
Die Wienerberger: Wand Nr. 107, 108 und 110 (alle um 1900) sind drei verschiedene ornamentale Fliesenanordnungen wie sie häufig an Eingangswänden von Wiener Zinshäusern der Jahrhundertwende zu finden sind.
Eingebaute Sensoren im „Augmented Brickwork“ der Wandflächen der Willem II Passage (2012-2017) von Civic Architects erfassen die Bewegungen der Passanten und der vorbeifahrenden Züge und übersetzen diese mit einem Algorithmus in verschiedene farbige Lichtmuster.
Einen Ausblick auf die digital erweiterten Möglichkeiten von Raumerfahrungen geben SPAN (del Campo Manninger) mit ihrer Arbeit Augmentations of the Real (2018). Mit der bereitgestellten kostenlosen App können die BesucherInnen vor Ort selbst erkunden wie aus einem großformatigen zweidimensionalen Kunstblatt dreidimensionale Säulen auf dem Screen von Smartphones oder Tablets entstehen.
Die Wände des MAK-Kunstblättersaals selbst sind mit Kunststoffrohren von Pipelife ausgekleidet, die neue Einblicke offenbaren. Je nach Standort und Perspektive erscheint der Raum eingerahmt oder verhüllt und entfaltet so eine neue Wirkung. Die Ausstellungsarchitektur (2019) von Tzou Lubroth Architekten steht auch ganz im Zeichen von Nachhaltigkeit, da die Rohre nach Ausstellungsende abgebaut und ihrer ursprünglichen Nutzungsbestimmung gemäß in zukünftigen Bauprojekten als Abwasserrohre verlegt werden.
Die historischen Fliesenbilder sind als bedruckte Postkarten zum Mitnehmen ausgestellt. Die BesucherInnen können sich hier selbst aktiv an der Ausstellung beteiligen und sind eingeladen, auf jene Orte und Räume hinzuweisen, in denen die historischen Keramikkacheln noch heute zu sehen sind.
Die Ausstellung SPACE AND EXPERIENCE. Architektur für ein besseres Leben wurde von 29. Mai bis 6. Oktober 2019 im MAK-Kunstblättersaal und in der MAK-Säulenhalle (1. Stock) gezeigt.
Ein Beitrag von Nicole Stoecklmayr (Scenes of Architecture), Kuratorin der Ausstellung.