29. Oktober 2020
Entwarf Adolf Loos sein eigenes Ehrengrab?
+++ Markus Kristan, Gastkurator der Ausstellung ADOLF LOOS. Privathäuser, über das Grab- und Denkmal von Adolf Loos. +++
„Die Architektur gehört nicht unter die Künste. Nur ein ganz kleiner Teil der Architektur gehört der Kunst an: das Grabmal und das Denkmal. Alles, was einem Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst auszuschließen.“ Diese apodiktische Feststellung traf Adolf Loos 1910 in seinem Essay „Architektur“. Dieser Aussage entsprechend gestaltete Adolf Loos seinen eigenen Grabstein wohl als Künstler und nicht als Architekt.
Die beiden Anlässe, sich mit dem Grabstein von Loos zu beschäftigen, sind: der 150. Geburtstag des am 10. Dezember 1870 in Brünn geborenen Architekten sowie die Enthüllung eines Denkmals für den großen Architekten in einem kleinen Park (Park Janáčkovo náměstí) in Brünn am 20. August 2020 (wenige Tage vor dem 87. Todestag von Adolf Loos), unmittelbar vor dem Ort, an dem einst sein Geburts- und Vaterhaus stand.
Die beiden Schöpfer des Denkmals, Jaroslav Sedlák und Oldřich Morys, hielten sich eine Woche lang am Zentralfriedhof in Wien auf, um vom Grabstein Loos‘ einen originalen Abguss aus Eisenbeton herzustellen. Die Idee war, ein Negativ (einen Abdruck) des Ortes von Loos‘ letzter Ruhestätte für den Ort herzustellen, an dem er geboren wurde. Durch die nun bestehenden beiden Steine in Wien und in Brünn entsteht gleichsam eine imaginäre Verbindung zwischen den beiden Orten, die Anfang und Ende des Lebens von Loos symbolisieren. Ein raffiniertes elektrisches Beleuchtungskonzept bringt das Denkmal während der Dunkelheit zum Leuchten.
Loos entwarf seinen Grabstein 1929 oder 1931 (je nach Quellenangabe) – wohl zu einem Zeitpunkt, an dem er bereits schwer krank war und offenbar seinen nahenden Tod ahnte. Die im Adolf-Loos-Archiv der Wiener Albertina aufbewahrte Bleistiftskizze von Loos zeigt einen perspektivisch vollkommen verzogenen, ca. 1 x 1 x 1 Mal großen Würfel aus Stein auf einem Podest. In ungelenker Handschrift fügte Loos seiner Skizze noch einige Hinweise hinzu, wie er sich die Beschriftung des Steins vorstellte. Gleich dem Schriftzug seiner Unterschrift steht sein Namenszug auf der Vorderseite des Würfels. Darunter am Sockel kritzelte er pessimistisch „geb. Brünn – gest. Wien“. Andererseits lässt er voll stolzem Selbstbewusstsein neben der Skizze seine dritte Ehefrau Claire Beck notieren: „Ehrengrab grauer Granit“. Darunter lässt er sie vermerken: „aus was die Schrift – wie bei Peter Altenberg“. Loos hatte Jahrzehnte zuvor das Grabmal von Peter Altenberg entworfen – darauf bezieht sich dieser Hinweis.
Im Buch von Claire Beck „Adolf Loos privat“, die das Ereignis mit 1929 datiert, findet sich folgende Passage dazu: „Mühsam, mit zitternder Hand, malt er einen Würfel darauf und schreibt darunter: Geboren Brünn, gestorben Wien.
‚Siehst du, Lerle, das ist mein Grabstein!‘
‚Wie kann man nur so traurige Gedanken haben?!‘
Um ihn aufzuheitern, malte ich vier kleine Würfel herum und schreibe die Namen seiner Frauen darauf. Loos sieht sich die Zeichnung an und sagt mit erlöschender Stimme: ‚Nicht einmal im Tod soll ich von euch Ruhe haben?!‘
Er nimmt ein neues Blatt und zeichnet einen neuen Würfel darauf. Dann drückt er mir die Zeichnung in die Hand und diktiert kurz, sachlich:
‚Stein aus grauem Granit, Größe …‘ – Loos denkt eine Weile nach –, Größe unbestimmt, es kommt darauf an, wieviel Geld da ist … Zu klein darf er nicht sein, sonst sieht er wie ein großes Tintenfaß aus, und schreib Ehrengrab!‘
Ich sehe Loos einen Augenblick erstaunt an. Loos, der meine Gedanken errät, lächelt. In seinen Augen sitzt der alte Schalk …
‚Schreib ruhig Ehrengrab. Die Wiener werden mir gegenüber ein so schlechtes Gewissen haben, dass ich bestimmt ein Ehrengrab bekomme!‘
Mit diesen Worten dreht er sich zur Wand, fünf Minuten später ist er eingeschlafen. Tags darauf ist er wieder gesund.“
Adolf Loos starb in bitterer Armut im Sanatorium Dr. Schwarzmann in Kalksburg. Dort nahm Adolf Rainbauer im Auftrag von Dr. Norbert Schwarzmann die Totenmaske von Loos ab, die wenig später einem seiner besten Freunde, Karl Kraus, überreicht wurde. Im Februar 1972 gelangte die Totenmaske über die renommierte Wiener Galerie Würthle in den Besitz der Albertina. Loos‘ sterbliche Überreste wurden am 25. August 1933 auf dem Kalksburger Friedhof provisorisch begraben. Karl Kraus hielt die Grabrede auf seinen verstorbenen Freund.
Bereits etwas mehr als einen Monat nach dem Tod von Loos, am 30. September 1933, schuf Heinrich Kulka neue, nun konkretere Pläne, als Loos sie skizziert hatte, für den Grabstein. Unmittelbar danach begannen die Schüler und Freunde von Loos, bei vermögenden Freunden und durch Gedenkveranstaltungen Geld für die Realisierung des Grabsteinentwurfs von Loos für ein Ehrengrab der Stadt Wien am Wiener Zentralfriedhof zu sammeln. Im Oktober und November 1933 holte Heinrich Kulka, Schüler, Mitarbeiter und Freund von Loos, bei mehreren Wiener Steinmetzmeistern Kostenvoranschläge dafür ein, wobei er immer von einem ganzen Block für den Würfel und einem separaten Stein für den Sockel ausging. Seitens des Österreichischen Werkbundes, dessen Mitglieder zu Lebzeiten von Loos nicht zu seinen Freunden gezählt wurden, bemühte man sich zeitlich parallel dazu beim Magistrat der Stadt Wien um die Widmung eines Ehrengrabes für Loos. Seitens des Österreichischen Werkbundes verfasste der Sekretär des Werkbundes, der ungarische Maler Laszlo Gabor, die Briefe an die Stadt Wien.
Im Dezember 1933 schickte der Architekt Karl Jaray Briefe an Ludwig Münz (beide Herren waren Loos-Freunde), in denen er vorschlug, statt eines einzigen Blocks, den geplanten Würfel aus Platten zusammenzusetzen, da dies preislich günstiger käme. Dieser Vorschlag wurde aber von Münz abgelehnt, da ein hohler Block nur Schein sei und daher der Architekturauffassung von Loos widerspreche.
Ab August 1934 bemühten sich die Freunde von Loos um die Exhumierung seines Leichnams von Kalksburg in das ehrenhalber von der Stadt Wien gewidmete Grabmal am Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 0, Reihe 1, Nr. 105. Für die Exhumierung und Überführung der sterblichen Überreste von Loos verrechnete die Gemeinde Kalksburg 917,- Schilling. Dieser Betrag wurde ausnahmsweise auf 795,- Schilling reduziert.
Obwohl nun der Leichnam überführt war, hatte aber das Grab immer noch nicht den von Loos entworfenen Grabstein. Im Juni 1936 schuf Heinrich Kulka neue Entwurfsskizzen für den Grabstein, wobei er sich selbstverständlich bei der Grundform an den Entwurf von Loos hielt und nur die Schriftzüge veränderte: An der Vorderseite plante Kulka in einer klassischen Antiqua den Namenszug von Adolf Loos. Die Lebensdaten des hoch verehrten Architekten sollten auf einer seitlichen Würfelfläche oder gleichfalls an der Vorderseite eingemeißelt werden. An der Vorderseite des Sockels sollte demnach der von Oskar Kokoschka bei der am 26. Oktober 1933 im kleinen Musikvereinssaal vom Österreichischen Werkbund veranstalteten Gedenkfeier für Loos ausgesprochene Satz, „Er befreite die Menschheit von überflüssiger Arbeit“, stehen.
Interessant und nicht in allen Fragen geklärt ist in diesem Zusammenhang der in der Wien Bibliothek im Wiener Rathaus aufbewahrte Grabstein-Entwurf für Loos des Bildhauers Francis Wills. Der in Nizza lebende Bildhauer zählte zum Freundeskreis von Loos. 1931 schuf Loos für Wills einen Entwurf für eine Villa auf Cap-Ferrat. Gleichsam im Gegenzug arbeitete Wills an einer Loos-Büste. Eventuell durch Loos eigene Überlegungen für seinen Grabstein skizzierte auch Wills seine Vorstellungen eines Grabsteins, in den er seine Loos-Büste aus Granit integrierte. Auch er schlug – sehr ähnlich wie zwei Jahre später Oskar Kokoschka – vor, den Grabstein mit der Inschrift „Adolf Loos, der die Welt von überflüssiger Arbeit befreite“ zu beschriften. Nach dem Tod von Loos forderte Wills die Errichtung des Grabmals nach seinen Entwürfen, wozu es aber offensichtlich nicht kam.
In der am 23. August 1936 erschienenen Abendausgabe der „Wiener Zeitung“ veröffentlichten die drei wichtigsten „Apostel“ von Adolf Loos, Franz Glück, Heinrich Kulka und Ludwig Münz, einen Artikel „Zum Gedenken an Adolf Loos“. Darin kündigten sie – neben vielem anderen – an, im Frühjahr 1937 den Stein über dem Ehrengrab von Adolf Loos zu enthüllen. Doch auch dazu kam es nicht mehr: die wirtschaftliche und politische Situation in Österreich verhinderte dieses Vorhaben und alle drei mussten in den kommenden Monaten und Jahren aus dem von Nazi-Deutschland beherrschten Österreich fliehen.
Nach dem Kriegsende in Wien im April 1945 konnten nach und nach alle Loos-Freunde wieder aus ihrer Emigration zurückkehren und begannen sogleich erneut damit, sich der Schaffung eines würdigen Grabsteins für Loos zu widmen. In einem Artikel im „Wiener Kurier“ am 7. November 1945 schrieb Franz Glück, dass der in der Nazizeit auf das Ehrengrab von Loos gesetzte Grabstein, der in Bezug auf den Gedanken für das Grabmal von Loos missverstehend sei, demnächst durch einen „guten“ Grabstein ersetzt werden solle.
Es sollte dann aber noch weitere 13 Jahre dauern, bis diese Vision Realität wurde: Am 23. August 1958, dem 25. Todestag von Adolf Loos, konnte endlich der nach Entwürfen von Loos geschaffene Grabstein enthüllt werden – wie ein Foto im Adolf-Loos-Archiv der Albertina in Wien beweist.
Ein Gastbeitrag von Markus Kristan, Gastkurator der MAK-Ausstellung ADOLF LOOS. Privathäuser (zu sehen von 18. November 2020 bis 14. März 2021)