Adolf Loos’ Sessel für das Café Museum in Wien als Beispiel für Sampling avant la lettre

10. Dezember 2019

Insights

Anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums des weltbekannten Unternehmens Thonet lädt das MAK ab 18. Dezember mit BUGHOLZ, VIELSCHICHTIG. Thonet und das moderne Möbeldesign zu einer großen Ausstellung zu den Möbeln der Moderne. Anhand des prominenten Sessels von Adolf Loos für das Café Museum beschreibt Sebastian Hackenschmidt, Kurator der Ausstellung und Kustode der MAK-Sammlung Möbel und Holzarbeiten, für den MAK Blog die Bedeutung des Sampling für die Entwicklung des Bugholzmöbels.

Die Kulturtechnik des Sampling ist ursprünglich bekannt aus der Musikproduktion der 1980er Jahre und wurde auch auf andere Bereiche der Kulturproduktion ausgedehnt. Einzelne Bestandteile von existierenden Kunstwerken oder Alltagsgegenständen werden dabei in den Kontext neuer Werke eingefügt und neu „abgemischt“.

 

Mit seinem berühmten Sessel für das Café Museum in Wien (1898) begründete Adolf Loos gewissermaßen den Reigen der modernen Architektenmöbel und leitete noch vor der Jahrhundertwende die Erneuerung der Bugholzmöbel ein. Bei dieser Ikone des Möbeldesigns kann von einem Sampling avant la lettre gesprochen werden: Loos verwendete für seinen Sessel den bekannten Sattelsitz – allerdings in einer geflochtenen Variante – und anstelle des üblichen Fußreifs die vierteilige Kohnsche Fußverbindung L4. Bei der Konstruktion bediente er sich der 1877 patentierten „vierfachen unmittelbaren Verbindung von Sitz und Rücklehne bei Moebeln aus gebogenem Holze“, die bereits bei vielen anderen Modellen zur Anwendung gekommen war. Gestalterisch hat sich Loos also eher zurückgehalten: Im Unterschied zu den künstlerischen Entwürfen, die sein Gegenspieler Josef Hoffmann nach der Jahrhundertwende für die Firma Kohn erarbeiten sollte, wirkt sein Modell wie ein ganz „normales“ – gleichsam organisch entwickeltes – Bugholzmöbel ohne besondere Merkmale. Wenn sich hier also von Sampling sprechen lässt, dann nicht als formales Zitat, sondern im Sinne einer funktionellen Optimierung im Dienste der Bequemlichkeit und Eleganz. Das Kohnsche Modell Nr. 248a, 1901 entworfen und erstmals 1902 angeboten, kann als eine vereinfachte Version des von Loos entworfenen Modells angesehen werden. Aufgrund der äußerst aufwendigen Fertigung der je nach Belastung und Beanspruchung sich permanent ändernden Querschnitte der Bugholzteile konnte der Loossche Sessel nur zu einem sehr hohen Preis angeboten werden. Das Serienmodell Nr. 248a dürfte dagegen wesentlich einfacher in der Fertigung gewesen sein und konnte daher auch günstiger angeboten werden.

Fauteuil „Capua“

Fauteuil Nr. 1519-O „Capua“; Entwurf: Gebrüder Thonet, 1910; Ausführung: Gebrüder Thonet, Koritschan, um ca. 1913;
Sammlung Collection Klaus Engelhorn
© MAK/Georg MayerErst 1913, über ein Jahrzehnt nach dem berühmt-berüchtigten Café Museum, konnte Adolf Loos mit dem Café Capua in Wien ein weiteres Kaffeehaus einrichten. Als Bewunderer der angelsächsischen Kultur wählte Loos dabei mit den von klassischen und vor allem in Nordamerika verbreiteten Windsor-Stühlen abgeleiteten Thonet-Modellen Nr. 461A und 1661A erneut bequeme Sitzgelegenheiten aus Bugholz.

Schreibfauteuil Nr. 9 (Kohn Nr. 712)
Entwurf: J. & J. Kohn, 1900; Ausführung: Gebrüder Thonet, Bistritz um ca. 1910;
© MAK/Georg Mayer

Auch in den 1920er Jahren wurden schlichte Bugholzmöbel noch häufig von zeitgenössischen Architekten zur Ausstattung moderner Innenräume verwendet: Le Corbusier etwa schätzte das Thonet Modell Nr. 6009, das er unter anderem 1925 für seinen Pavillon de l’Esprit Nouveau aussuchte. In einem 1929 erschienen Essay erkannte Loos Le Corbusiers Vorliebe für Bugholzmöbel prinzipiell an – und attestierte ihm lediglich, in seinen Bauten das falsche Modell zu verwenden: Vermutlich erschien ihm Le Corbusiers Wahl als nicht bequem genug und zudem als unpraktisch, da die Armlehnen zu hoch für einen Esszimmerstuhl waren. Für sich selbst nahm Loos freilich in Anspruch, den Bugholzstuhl bereits seit 1898 als „den einzigen modernen sessel“ betrachtet zu haben, und verkündete, dass der Thonetsessel die Nachfolge des im Aussterben begriffenen klassischen Tischlersessels antreten werde. Wenn er mit seiner Prophezeiung auch nicht ganz falsch lag, so waren es am Ende nicht Stühle aus Bugholz, sondern die seit 1929 ebenfalls von der Firma Thonet produzierten Stühle aus Stahlrohr, denen zumindest das nächste Jahrzehnt gehören sollte.

Die Ausstellung BUGHOLZ, VIELSCHICHTIG. Thonet und das moderne Möbeldesign war von 18. Dezember 2019 bis 6. September 2020 in der MAK-Ausstellungshalle zu sehen.

Ein Beitrag von Sebastian Hackenschmidt, Kustode MAK-Sammlung Möbel und Holzarbeiten

 

 

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