4. August 2021
Zur Mechanik des großen Kunstschranks von David Roentgen im MAK
Die vielschichtigen Bewegungsabläufe dieses außergewöhnlichen Mobiliars von David Roentgen schildert der ehemalige MAK-Restaurator Johannes Ranacher in diesem vierten Beitrag der Serie.
Mehr als ein Dutzend der talentiertesten Ebenisten und Künstler hatte David Roentgen (1743-1807) seinerzeit in Neuwied am Rhein versammelt, damit er sein umfassendes Projekt, die europäischen Höfe und Fürstenhäuser mit den edelsten Möbeln und Holzobjekten auszustatten, umsetzen konnte. Durch sein vielseitiges Können, das er zu großen Teilen von seinem Vater Abraham Roentgen (1711-1793) erworben hatte, machte er die Werkstätte der Roentgens zu einer der bedeutendsten Möbel Manufakturen des ausgehenden 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum.
Eine der Spezialitäten der Roentgen-Manufaktur war die Marketerie à la mosaique, eine aus hunderten von kleinen, unterschiedlichen Hartholzstückchen zusammengesetzte, passgenaue Mosaikarbeit. Eine besondere Faszination im Möbelbau dieser Zeit übten auch die sogenannten Automaten aus – per Knopfdruck selbsttätig ausfahrende Objektteile, die meist aus einfachen Materialien hergestellt, aber technisch äußert raffiniert waren. Die Bewegungsabläufe der im Zuge der Restaurierung des großen Kunstschranks des MAK wieder in Stand gesetzten Automaten seien im Folgenden kurz skizziert.
Bewegungsabläufe der Automaten
Öffnet man im Mittelteil die Tür mit der Darstellung der Astronomie, so sehen wir im Inneren ein prunkvolles Interieur mit fein gearbeiteter Marketerie. Die Seitenwände, der Plafond und der Fußboden sind mit unterschiedlich farbigen Hölzern kunstvoll eingelegt.
Im Rahmen der geöffneten Tür sehen wir jeweils links und rechts – auf halber Höhe, einen kleinen runden Knopf aus Messing. Wird er gedrückt springt links die Tür mit der Darstellung des Handels, rechts die der Philosophie auf. Hinter den Türen sehen wir jeweils oben eine grün gemaserte Schubladenfront. Betätigen wir unterhalb der Schublade einen kleinen Metallhaken, wird ein aus Eisen gefertigter Verschluss entriegelt und die Schublade springt heraus.
Unterhalb der oberen Schubladen lässt sich jeweils eine größere Schublade herausziehen, die mit einem grünen Rollladen verschlossen ist. Schiebt man diesen Rollladen nach hinten und drückt man dabei auf der rechten Rollladenkante etwas fester, wird ein unter dem Schubladboden verborgener, unter Spannung stehender Verschluss aus Eisen geöffnet: Die Schubladenfront aus Mahagoni springt dadurch etwa 4 cm nach oben – und gleichzeitig fährt unten eine etwa 3cm hohe Geheimschublade heraus.
Wenn wir nun die breite Schreibklappe mit der Darstellung der Musik öffnen, sehen wir in der Mitte ein zweigeteiltes Brieffach, das durch Rollläden verschlossen ist. Diese beiden aus Ahornholzstäbchen auf Leinen gefertigten Rollläden lassen sich nur gemeinsam, gleichsam spiegelbildlich, öffnen und schließen. Links und rechts des zweigeteilten Brieffachs sehen wir jeweils ein mit blauer Seide bespanntes Füllungsfeld, darunter jeweils einen Knopf. Drücken wir den linken Knopf, so entriegelt sich im Inneren des Schrankes ein Mechanismus aus Metallgestängen, Gelenken, Schiebern und Federn, der einen unter Federdruck stehenden Geldschrank hervorspringen lässt. Diese Schatulle lässt sich durch einen Schlüssel öffnen; drehen wir den Schlüssel erneut, springen unten aus der Vorderfront der Schatulle zwei unter Federdruck stehende Geheimschubladen heraus.
Drücken wir nun auf den rechten Knopf, so wird das Brieffach mit dem Rollladen einseitig leicht angehoben und nach hinten gezogen. Durch das fahrende Briefschränkchen wird ein Hebel bewegt, der über ein Schieber-Gestänge die Arretierung eines unterhalb verborgenen Medaillenschrankes entsperrt. Durch die an Seilen hängenden Gegengewichte wird dieser Medaillenschrank nach oben gezogen, wo er die Stelle des nach hinten gefahrenen Briefschränkchens einnimmt.
Öffnet man im unteren Kommodenteil des Schranks die mittlere Tür mit der Darstellung der Architektur, so lässt sich etwa 10 cm hinter der Vorderkante des Schubladenbretts ein Eisenhebel erfühlen, den man mit einiger Kraft nach vorne ziehen muss. Dadurch werden gleichzeitig zwei unter Federdruck stehende Schubladen links und rechts in der Brüstung entsperrt – sie schießen förmlich heraus.
Der Höhepunkt der mechanischen Geheimnisse des großen Roentgenschranks lässt sich erleben, wenn man bei geöffneter Tür mit der Darstellung der Astronomie die darunter befindliche zentrale Schreibklappe wieder schließt und zusperrt. Schließt man ein zweites Mal ab, entsperrt der somit verlängerte Schloss-Riege den darüber liegenden Schließmechanismus und lässt direkt unterhalb des zuallererst beschriebenen Interieurs eine schwere Schublade herausfahren, die leicht nach unten kippt. Unter lautem Getöse entfalten sich aus dieser Schublade selbstständig ein dreiteiliges Notenpult sowie ein darüber liegendes Notenkorrekturpult, das sich schräg nach hinten aufrichtet. Zugleich klappen schwunghaft zwei Kästchen auf, die sich ebenfalls selbstständig an den Seiten arretieren; das rechte Kästchen beherbergt ein Tintenfass, das linke eine Streusandbüchse. Schließlich lässt sich in der Mitte dieses wundersam geöffneten Ensembles händisch noch ein in der Mitte liegendes Schublädchen öffnen.
Ein Beitrag von Johannes Ranacher, ehemaliger MAK-Restaurator