27. Oktober 2015
F 1033 – Die sprechende Amputationssäge
Julia Reuckl, Datenbank-Mitarbeiterin der MAK-Sammlung Metall und Wiener Werkstätte-Archiv, stellt uns eine Amputationssäge aus dem späten 16. Jahrhundert vor und erzählt von der Schönheit chirurgischer Instrumente.
Künstlerisch gestaltete Amputationssägen gelten als ambivalente Sammlungs- und Ausstellungsobjekte, da sie zwei Betrachtungsweisen vereinen: einerseits eine Bewunderung für die handwerkliche Meisterleistung, andererseits eine gewisse Ehrfurcht vor dem Zweck des Objekts. Aufgrund der reichen Verzierung – profilierter Holzgriff, Ätzarbeiten an Halter und Bogen und kleine bronzene Maskenverzierungen (Bronzemaskerons) am Ende des Bogens – stellt die Amputationssäge innerhalb des Bestands chirurgischer Instrumente der MAK-Sammlung eine Besonderheit dar.
Der Gesamtbestand der MAK-Sammlung Metall umfasst etwa 12 000 Objekte, zu den Sammlungsschwerpunkten zählen unter anderem Schmuck sowie Objekte der Wiener Werkstätte. Die meisten Gegenstände sind historisch und wurden im europäischen Kulturraum hergestellt, doch auch zeitgenössische Werke werden in die Sammlung aufgenommen – in den letzten Jahren insbesondere Bestecke italienischer DesignerInnen sowie zeitgenössischer Schmuck.
Die Amputationssäge zählt zu den etwa 1 000 Metallarbeiten, die der kunstgewerblichen Sammlung Dr. Albert Figdors entstammen, einer der bedeutendsten Wiener Privatsammlungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg; sie enthält kunstgewerbliche Objekte aus verschiedensten Materialien. Ein Teil der Sammlung Figdor gelangte Mitte der 1930er Jahre ins MAK und ist heute – je nach Materialart – auf die verschiedenen Sammlungen verteilt.
Ein erwähnenswertes Merkmal der Amputationssäge ist ihre Inschrift:
Grausam sichtt meine gestaltt herein
Mitt Angst Schmerzen und grosser Beinn
Wenn nur das Werk ist alss volennd
Mein Schmerzen sich in Freide wend.
Zur damaligen Zeit waren Amputationen äußerst schmerzlich und wurden meist ohne Schmerzmittel durchgeführt. Daher war es lediglich die Erfahrung und Arbeitsgeschwindigkeit des Chirurgen, die die Qual linderte. Hierfür war das richtige Instrumentarium von großer Wichtigkeit. So gab es Amputationssägen in den unterschiedlichsten Größen, entsprechend den verschiedenen Gliedmaßen. Das vorliegende Exemplar F 1033 ist besonders groß und weist daher auf die Verwendung für Oberschenkelamputationen hin, die durch den enormen Blutverlust als besonders gefährlich galten. Doch trotz dieser Schreckensbilder waren Amputationen teilweise lebensrettend, wie die Inschrift auf der Säge besagt.
Das Objekt ist bis zum heutigen Tage in einem bemerkenswert guten Zustand; ob sie jemals praktische Anwendung gefunden hat, kann allerdings nicht mehr festgestellt werden. Zuletzt wurde die Amputationssäge 2002 im Rahmen der Ausstellung Welt – Macht – Geist. Das Haus Habsburg und die Oberlausitz 1526–1635 in den Städtischen Museen Zittau der Öffentlichkeit gezeigt. Bald ist sie auch in der Datenbank des MAK online zu bewundern.
Julia Reuckl ist klassische Archäologin und Kunsthistorikerin. Sie arbeitete bereits bei mehreren Ausgrabungen in Österreich und der Türkei. Seit 2012 ist sie für die Datenbankerfassung im MAK tätig.
Ein Beitrag von Sara Alavi Kia für die Abteilung Neue Lernkonzepte
Foto © MAK/Nathan Murrell