FRECH UND FREI: Eine ungewöhnliche Entdeckungsreise durch die MAK-Sammlung

22. Januar 2021

Insights

„Verborgene Werke suchen Artgenossen auf, mischen sich ein und funken dazwischen. Sie drängen sich auf, um ausnahmsweise in das Blickfeld der Besucher*innen zu rücken“, erzählt Janina Falkner am MAK-Blog über die Ausstellung FRECH UND FREI. Die Invasion verborgener Objekte, die sie gemeinsam mit dem Designduo mischer’traxler spontan inszeniert hat. Teils noch nie oder sehr selten gezeigte Highlights und besondere Exponate des MAK verlassen kurze Zeit die Depots, drängen sich in die permanente Schausammlung und das MAK DESIGN LAB und nehmen invasiv, aber temporär, fest vergebene Plätze im Museum ein.

Die kreativen Invasionen begegnen den BesucherInnen in einer auffallend grünen grafischen Gestaltung von Theresa Hattinger. Sie ergänzen die Präsentationen der permanenten Schausäle um ungewohnte Blickwinkel und spannende Aspekte. Geschichten werden quer- oder manchmal anders gelesen, manchmal frecher, manchmal freier, manchmal tiefsinniger und manchmal leicht- oder gar unsinniger erzählt. Vor allem werden die musealen Objekte aus klassisch linearen Erzählweisen und Kontexten befreit.

MAK-Schausammlung Wien 1900

Beispielsweise entfalten in der Schausammlung Wien 1900 Vasen ein verborgenes Potenzial in ihrer neuen Beziehung zu einer unglaublichen Architekturlandschaft des Zeichners Piranesi. Im temporären Beisein von Modellen des Architekturvisionärs Lebbeus Woods zeigen sie sich auch von ihrer verborgenen Seite: als utopische Architekturen.

FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte

MAK-Ausstellungsansicht, 2020
FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte
MAK-Schausammlung Wien 1900
Intervention: nah an Utopia
Objekte: Giovanni Battista Piranesi und Francesco Piranesi, Carceri d’Invenzione, Paris, 1800, und Lebbeus Woods, Siteline Vienna, 1998
© MAK/Georg Mayer

In einer anderen Vitrine mutet die Inszenierung Krieg der Knöpfe wie ein Kinderspiel an. Louis Pergauds preisgekrönter Jugendroman Der Krieg der Knöpfe aus dem Jahr 1912 propagiert den bereits im Kinde angelegten Hang zum Krieg. Die patriotischen Kriegsgläser der Wiener Werkstätte wohnen dem Spektakel bei.

FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte

MAK-Ausstellungsansicht, 2020
FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte
MAK-Schausammlung Wien 1900
Intervention: Krieg der Knöpfe
© MAK/Georg Mayer

Die Sitzbank für Herbert von Karajan der Architektin Anna-Lülja Praun aus dem Jahr 1959 verdrängt zahlreiche Stühle und Regale, um Platz zu machen: für sich, aber vielleicht auch Platz für mehr Präsenz einer weiblichen Architektin unter ihren Kollegen.

FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte

MAK-Ausstellungsansicht, 2020
FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte
MAK-Schausammlung Wien 1900
Intervention: Platz da für die Maestra!
Anna-Lülja Praun, Sitzbank für Herbert von Karajan, 1959
und Intervention: Besuch bei Freundinnen
Ulrike Müller, Rug (con tacón), 2018
© MAK/Georg Mayer

Oft agiert FRECH UND FREI wie eine Objekt-Partnervermittlung und bringt Objekte zusammen, die sich eigentlich schon lange hätten treffen sollen. Körbe stellen sich zu ihnen ähnelnden Vasen, Fliegen zu Fliegen oder Kämme zu Kämmen – alle aufgrund vordergründiger formaler Ähnlichkeiten. Dabei wird der Besuch bei den prominenteren Freund*innen dafür genutzt, auch etwas von den Blicken des Publikums abzubekommen. Auch Interpretationen von Künstler*innen wie Herbert Hinteregger oder Mickry 3 sowie von Designer*innen wie Marco Dessí oder Patrick Rampelotto stoßen auf jene MAK-Objekte, auf die sich ihre künstlerischen Auseinandersetzungen beziehen.

 

MAK-Schausammlung Teppiche

Und wenn schon Designer*innen am Werk sind, geben sie auch gleich ihr „Design Consulting“ ab: die gestische Empfehlung, das Besucher*innenmöbel im Schausaal Teppiche bitte permanent zu entfernen.

FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte

MAK-Ausstellungsansicht, 2020
FRECH UND FREI! Die Invasion verborgener Objekte
MAK-Schausammlung Teppiche
Intervention: hinauskomplimentiert
Padhi Frieberger, Mail-Art Fahrrad
© MAK/Georg Mayer

MAK DESIGN LAB

Im MAK DESIGN LAB werden die bislang selten gezeigten Besonderheiten der MAK-Sammlung vernetzt mit Themen wie Postwachstum, Digitalisierung und Klimawandel gedacht. Ein Sekretär (1951) von Oswald Haerdtl, bemalt mit Motiven üppiger Vegetation, gesellt sich als Paradies(t)isch in den Themenbereich „Natürlich – Künstlich“. Ein beeindruckender Hochwasser-Schuh aus dem Venedig der Renaissance findet sich im sogenannten „Kabinett der Konsequenzen“ wieder – neben zeitgenössischen Designobjekten, die alle, wie dieser Schuh, auf Nebenwirkungen der menschlichen Gestaltung reagieren.

 

MAK-Schausammlung Empire Biedermeier

In der Schausammlung Empire Biedermeier wurden zwei Kästen zusammengestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber in ihren malerischen Fronten oberflächlich befreundet sind. Einige Schritte weiter tratschen zwei Möbel miteinander. Das Biedermeierliche Nachkästchen hat sich von der für Heinz Frank-Objekte typischen subjekthaften Gestik anstecken lassen. Wie sein Objekt Sitz Doch Seele (1990) hat auch sein neuer Nachbar ständig die Lade offen. Seine typisch biedermeierliche gemalte Oberflächenmusterung und die Seelenverwandtschaft zu den in dieser Zeit üblichen mobilen Laufsesseln berechtigen den Kleinen von 1990 zweifelsohne, hier auch einmal öffentlich zu Wort zu kommen. Als Hommage an den 2020 verstorbenen Heinz Frank wurden gleich zwei seiner Objekte in die Ausstellung eingebracht.

MAK-Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus

Das in die Ecke des Raumes gedrängte skulpturale Gehäuse Inwendig bleibt auswendig des bereits erwähnten Heinz Frank findet seinen Dialogpartner in Donald Judds minimalistischem weißen Raum im Raum, der reduziert und objekthaft im Schausaal Barock Rokoko Klassizismus das barocke Interieur des berühmten Palais Dubsky verkleidet. Die Kombination der beiden architektonischen Skulpturen lenkt den Fokus auf Ambiguität, in sich Gekehrtes nach außen zu tragen.
Auch die anderen „Invasionen“ der verborgenen Objekte innerhalb des Barocksaals steigern refrainartig das Spiel sich multiplizierender Oberflächen und Dualismen dieses Raums. Diesem Wiederholungszwang entzieht sich einzig ein Stuhl aus Chiavari (1850–1860), der es auf das Dach des Dubsky Zimmers schafft und es als Sockel für sich allein in Anspruch nimmt. Der steht also drüber: „Frech und frei!“, scheint er zu rufen

 

„Frei“ steht in dieser Ausstellung nicht allein für die Befreiung der Objekte aus dem Depot, hier geht auch um die Freiheit des Blicks. Die Ausstellung ist eine weitere inspirierende Zusammenarbeit mit dem international erfolgreichen Designstudio mischer’traxler. Bereits im Jahr 2019 dachte es die MAK-Sammlung im Rahmen der Neuaufstellung des MAK DESIGN LAB aus zeitgenössischer Designperspektive vernetzt neu.

Im Ausnahmejahr 2020 vermitteln einmal mehr kreative Zugänge auf unkonventionelle und fantasievolle Weise die Vielfalt der MAK-Sammlung. Oder um mit dem legendären Künstler Padhi Frieberger, der in der Schau zweimal prominent zu Wort kommt, zu sprechen: „Ohne Künstler, keine Kunst!“

Ein Blogbeitrag von Janina Falkner, Neue Lernkonzepte, MAK

An der Seite der Kurator*innen mischer’traxler und Janina Falkner kann die Ausstellung FRECH UND FREI. Die Invasion verborgener Objekte in einer Onlineführung erkundet werden. Ergänzend dazu ist die Schau über eine Audiotour, vertont von Schauspieler Till Firit, akustisch erlebbar.

Die Online-Führung und die Audiotour sind über http://www.mak.at/onlinefuehrungen abrufbar.

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