Auf den Spuren des Gablonzer Christbaumschmucks

12. Dezember 2025

NOW, Outside MAK

Kathrin Pokorny-Nagel

Es gibt Reisen, die mehr sind als bloße Ortsveränderungen. Sie führen nicht nur durch Landschaften und zu Kulturstätten, sondern auch durch Zeiten, öffnen den Blick auf Unbekanntes und erschließen Zusammenhänge. Für mich, Kathrin Pokorny-Nagel, Leiterin der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv, wurde meine Studienreise nach Böhmen Anfang September, in die Region rund um Jablonec nad Nisou – dem ehemaligen Gablonz an der Neiße – eine solche Reise. Sie stand ganz im Zeichen der von mir kuratierten Ausstellung über Christbaumschmuck: FAHRRAD & HUMMER. Funkelnder Baumschmuck aus Gablonz.

Ich machte mich auf den Weg, um die Wurzeln dieser kunstvollen Glasminiaturen zu erkunden. Mein Ziel war es, die Region zu sehen, in der diese Kostbarkeiten entstanden sind, und zu begreifen, warum gerade hier, zwischen den sanften Hügeln des Isergebirges und am Fuße des Riesengebirges, dieses feine Handwerk praktiziert wurde.

Das Gablonzer Glasmuseum 

Meine erste Station war das Glasmuseum in Jablonec nad Nisou. Schon von Weitem ist dieser architektonisch außergewöhnliche Bau in Form eines riesigen geschliffenen Glaskristalls mitten im Zentrum der Stadt sichtbar. Dieser Neubau wurde 2020 nach einem Wettbewerb vom Prager Architekturbüro Michal Hlaváček an das für die Exportfirma Zimmer & Schmidt 1904 errichtete Jugendstilgebäude angebaut und gilt seither als das Wahrzeichen der kleinen Stadt. Das ist auch richtig so, denn die Glaserzeugung sicherte über Jahrhunderte die Arbeitsplätze und damit den Wohlstand der Bevölkerung. An die wirtschaftlich florierende Zeit, vor allem um 1900, erinnern auch die rund um das Zentrum über das hügelige Gelände verstreuten Villen.

Schon beim Betreten des Museums wurde mir klar, dass man hier nicht einfach eine Sammlung betrachtet, sondern in eine Kultur eintaucht. Direktor Petr Nový, den ich bis dahin nur als Autor seines ausführlichen Beitrags im MAK Katalog zur Ausstellung kannte, empfing mich mit herzlicher Offenheit und nahm sich über zwei Stunden Zeit für eine persönliche Führung – zwei Stunden, die wie im Flug vergingen.

Raum für Raum öffnete sich eine Welt, in der Glas nicht bloß Werkstoff, sondern Lebensinhalt war. Vitrinen voller Perlen, Knöpfe, Schmuckstücke und filigraner Glasobjekte erzählten von einer Stadt, die einst das Zentrum der europäischen Glas- und Bijouterieproduktion war. Die Präzision, die Farbenpracht und der Einfallsreichtum dieser Stücke sind schlicht atemberaubend. Das Museum beherbergt immerhin die größte Glas-Bijouterie-Sammlung der Welt und die größte Glassammlung Tschechiens, die gesamte Bandbreite an Herstellungstechniken ist hier vertreten.

Petr Nový sprach mit leuchtenden Augen über die Tradition der böhmischen Glasmacherei, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. „Nur hier“, sagte er, „finden Sie die perfekte Verbindung von Material, Technik und Fantasie. Glas ist für uns kein Produkt – es ist Teil unserer Identität.“ In diesem Moment verstand ich, warum der Gablonzer Christbaumschmuck nicht irgendwo anders hätte entstehen können. Er ist Kind einer Region, in der Glas mehr bedeutet als bloßer Werkstoff – es ist Ausdruck von Geschichte, Stolz und Erfindergeist.

Als wir dann in die Dunkelheit des Untergeschoßes eintauchten, war mein Glück vollkommen. In der ungewöhnlichen Ausstellungshalle eröffnet sich eine eigene Welt voller bunter, glitzernder kleiner Kunstwerke, denn an diesem Ort wird ein Teil der weltweit größten Sammlung von Christbaumschmuck präsentiert. Der tschechische Designer Jakub Berdych jr. hat hier die Ausstellung World of Wonder eingerichtet, deren Konzept darauf basiert, dass Weihnachtsschmuck aus Böhmen hauptsächlich nach Übersee (vor allem in die USA) exportiert wurde: Die Vitrinen erinnern an einen Ozeandampfer, bunte Meereswellen und die Wolkenkratzer von Manhattan.

Die meisten Exponate dieser Dauerausstellung stiftete die Firma Jablonex dem Museum 2008. 1952 wurde diese staatliche Aktiengesellschaft in Jablonec nad Nisou gegründet, um den durch die Regierung kontrollierten Export mit Monopolstellung von Glas-Christbaumschmuck in der Tschechoslowakei aller nach 1948 verstaatlichten – davor privaten – Unternehmen zu übernehmen. Damit deckt diese Schenkung die gesamte Palette an geblasenem und verziertem Gablonzer Weihnachtsbaumschmuck der böhmischen Region ab. Die Sammlung umfasst historische Ornamente aus dem frühen 20. Jahrhundert, der Ersten Republik (darunter Stücke, die vom Hersteller Václav Berger aus Bílá Třemešná gestiftet wurden) und der sozialistischen Ära, aber auch zeitgenössische Produkte. Ein Paradies für alle (Weihnachts-)Schmuckenthusiast*innen.

Rautis in Poniklá – gelebte Tradition in der Gegenwart

Am nächsten Tag führte mich meine Reise durch einsame Wälder nach Poniklá, ein kleines Dorf unweit von Gablonz, eingebettet in eine liebliche Hügellandschaft. Hier, in drei nebeneinanderstehenden alten Häusern, schlägt das Herz des traditionellen Gablonzer Christbaumschmucks: Das kleine, 1902 gegründete Familienunternehmen Rautis ist die letzte Firma, die noch nach alter Methode die winzigen Hohlglasperlen herstellt, aus denen Fahrräder, Hummer und vieles mehr entstehen.

Die Direktorin Barbora Kulhava, eine charmante und kluge Frau, die perfekt Deutsch spricht, empfing mich mit jener herzlichen Professionalität, die man nur bei Menschen spürt, die lieben, was sie tun. Geduldig erklärte sie mir jeden einzelnen Arbeitsschritt: wie die Glasröhrchen über offener Flamme erwärmt, geblasen und zu kleinen Perlen geformt werden, wie sie anschließend versilbert, gefärbt und mit hauchdünnen Drähten zu filigranen Motiven zusammengesetzt werden. Man zweifelt keine Sekunde daran, wenn sie sagt: „Wir versuchen, unser Wissen weiterzugeben, sei es durch Ausstellungen, Workshops und Kooperationen. In den letzten Jahren ist es gelungen, Rautis als regelmäßig besuchte Touristenattraktion in der Gegend zu etablieren und 2020 die Arbeit der Glasperlenbläser von Poniklá in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO als weltweit einzigartige Fertigkeit aufzunehmen.“

Ich durfte den Handwerkerinnen über die Schulter schauen – konzentriert, ruhig arbeiten ihre Hände. Jeder Griff sitzt, jede Bewegung ist Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung. Der Geruch des erhitzten Glases, die alten Werkzeugbänke, das leise Klirren der Perlen – all das ergab eine beinahe meditative Atmosphäre, die einen in eine andere Welt, oder zumindest in eine andere Zeit, zu versetzten schien.

Als ich am Ende der Führung den kleinen Werksverkauf betrat, war es unmöglich, ohne Einkauf wieder zu gehen. Zwischen funkelnden Sternen, gläsernen Fischen und winzigen, versilberten Perlenfiguren fand ich Stücke, die wie geschaffen waren, um Weihnachten zu einem besonderen Fest zu machen. Einige davon werden bald verschenkt – andere werde ich wohl selbst behalten als Erinnerung an diesen Ort, an dem Kunsthandwerk noch gepflegt wird.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Diese Reise war mehr als eine fachliche Vorbereitung für meine Ausstellung über Gablonzer Christbaumschmuck – sie war eine Begegnung mit einer Kultur, die zeigt, dass Schönheit Zeit braucht. Ich kam mit Notizen und vielen Fotos zurück, aber vor allem mit einem tiefen Respekt für die Menschen, die dieses fragile Erbe bis heute bewahren.

Wenn ich künftig Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung führe und von den gläsernen Kostbarkeiten erzähle, werde ich an Petr Novýs funkelnde Augen denken, an Barbora Kulhavas leidenschaftliche Ausführungen, an die konzentrierte Stille in der Werkstatt von Rautis und an den Moment, in dem ich verstand, dass jedes dieser kleinen Glasobjekte nicht nur Handwerkskunst, sondern ein Stück Geschichte ist.

 

Die Ausstellung FAHRRAD & HUMMER. Funkelnder Baumschmuck aus Gablonz ist bis zum 1.2.2026 im MAK Kunstblättersaal zu sehen.

Ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Führungen, Vorträgen und Workshops begleitet die Ausstellung und lädt dazu ein, die faszinierende Welt des Gablonzer Baumschmucks noch tiefer zu erkunden. Ergänzend dazu verwandelt sich der MAK Garten erstmals in den X-MAK Winter Markt 2025 – einen Design-Weihnachtsmarkt der besonderen Art –, der an den Wochenenden 12.–14.12. und 19.–21.12.2025 zum stimmungsvollen Abschluss des Museumsbesuchs einlädt.

Ein Beitrag von Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv

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