„Kopieren ist etwas wahnsinnig Produktives“ – Das Künstler*innenkollektiv der Installation RELAX im Interview

7. Februar 2022

Insights

Mit der minimalistischen Rauminstallation RELAX inszenieren die Künstler*innen Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz und Lukas Stopczynski eine dystopische Variation ihrer Serie zur American Bar von Adolf Loos in der ehemaligen MAK DIREKTION. Im Interview für den MAK-Blog erzählen die Künstler*innen über die Entstehung des Konzepts, was die Loos Bar zu einer Architekturikone macht und wie die Künstler*innen als Kollektiv das Barkonzept weiterentwickelten.

Installationsaufbau RELAX, 2022
Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski
© MAK/Marlies Wirth

Ihr habt euch 2015 im Rahmen des Schindler Stipendiums im MAK Center for Art and Architecture in Los Angeles kennengelernt. Wie kam es damals zu der Idee, gemeinsam eine Variante der Loos Bar in einer Garage zu gestalten?

Robert: Die Garage in den Mackey Apartments, in der das stattgefunden hat, war unser shared artist space.  An einem der ersten Abende, an denen wir gemeinsam im Hinterhof gegrillt und getrunken haben, überlegten wir uns scherzhaft, wie wir diesen gemeinsamen Raum für das folgende halbe Jahr nutzen könnten. Mit dem Bewusstsein, dass der Architekt Rudolph M. Schindler, in dessen Garage wir standen, ein Schüler von Adolf Loos war, entdeckten wir auch Verwandtschaften in den Dimensionen der Loosbar und unserer Garage. Sie hatten beide dieselbe Raumtiefe und auch das Verhältnis von Höhe zur Breite war identisch, nur waren diese Dimensionen der Garage um den Faktor 0.65 kürzer als im Original. Dieser Skalierungsfaktor wurde dann zu einer bestimmenden Konstante für das gesamte Projekt. Wir projizierten ihn auf die Qualität der Materialien, unsere Skills als Barkeeper oder die Abspielgeschwindigkeit der Musik.

Christoph: Wir haben dann tatsächlich am nächsten Tag zu bauen begonnen. Zunächst sind wir in den örtlichen Baumarkt gefahren und haben uns dort umgeschaut. Wir wollten die Bar als Ganzes schrumpfen lassen, auch mit der Wertigkeit der Materialien. Ausgehend von unserem Budget skalierten wir die Materialien von den teuersten, die es damals gab, zu den billigsten, die wir dort finden konnten. Bei der ersten Exkursion in den Baumarkt, suchten wir nach Substituten für jedes wertvolle Material der originalen Loos Bar: also Marmor wurde zu OSB-Platten, Glas wurde zu Fliegengitter, Mahagoni wurde zu Karton etc.. Es hat uns sehr viel Spaß gemacht, uns die Materialien auszudenken und dann über Detaillösungen nachzudenken. Zu dem Zeitpunkt war noch kein Gedanke dabei, wie wir diese Bar wirklich betreiben wollen und wie sie funktionieren würde.

Lukas: Ursprünglich kamen wir in L.A. alle mit einem eigenen Projekt an, aber die gemeinsame Idee nahm uns plötzlich komplett ein—wir dachten und lachten über nichts anderes mehr! Irgendwie gefiel uns auch die Möglichkeit der Bar, Leute einzuladen und mit ihnen in Austausch zu kommen; Mid-Wilshire, wo wir lebten, galt nicht gerade als The-Place-to-be:„The guest became the hosts“…

Robert: Ein Faktum ist, dass die Leute in L.A. durch das Autofahren sehr wenig sozialen Austausch und Kontakt untereinander haben. Man trifft sich eigentlich nicht. Wir hatten schon überlegt, uns ein halbes Jahr bei Leuten einladen zu lassen, um andere Menschen kennenzulernen. Mit der LOS BAR haben wir den Spieß umgedreht und alle ständig bei uns gehabt.

Ute: In Los Angeles gab es eine ausgeprägte Speakeasy Tradition mit halb legalen bzw. illegalen Bars und Treffpunkten. Zu der Zeit, als wir dort waren, gab es solche nur mehr  vereinzelt. Mit der Garagenbar war plötzlich so ein Ort wieder da. Ein wichtiger Aspekt ist, dass diese Bar auch  zu einem Treffpunkt der lokalen Kunstszene wurde. Viele unserer Gäste haben sich über die Monate individuell intensiv eingebracht, Gegenstände hinzugefügt, sich als Teil des Ganzen gesehen. Wir verwenden  oft den Begriff der sozialen Skulptur: Das soziale Umfeld verändert die Location stetig, wodurch das Projekt einen stark performativen Charakter hat.

Andreas Bauer, Christoph Meier, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski and friends, LOS BAR, 2015
Ausstellungsansicht Mackey Apartments, MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles
© Los Bar, 2015

Was macht eurer Ansicht nach die Loos Bar zu einer Architekturikone, was macht ihren spezifischen Reiz aus?

Lukas: In erster Linie ist die Qualität der Spiegelung beeindruckend. Wenn man dort sitzt, schaut man über die Spiegel, welche genial angebracht sind, eigentlich ja schon in die nächstmögliche Bar. Aber der exakte Einblick ist durch die Anordnung der Spiegel verwehrt, man bleibt mit der Neugier und Fantasie zurück. Genau dieses Spiel mit den unendlichen Fortsetzungen bildet eben auch einen essentiellen Referenzpunkt für unser eigenes Kopieren.

Robert: Adolf Loos brachte nach seinem ersten Aufenthalt in den USA dieses Konzept der American Bar nach Wien, in einer Zeit, als es bei uns nur Weinstuben oder Wirtshäuser gab. Wir brachten das Konzept dann wieder zurück nach Los Angeles.

Christoph: Das spezielle an der originalen Loos Bar ist, dass es eine eigene Identität hat. Es ist ein sehr kleiner Raum, der aber gleichzeitig durch diese Spiegelungen eine wahnsinnige Generosität vermittelt. Man glaubt sich in einem exklusiven Klub zu befinden, aber links und rechts von einem in der kopierten nächsten Box sitzen die anderen.

Ute: Ein Ort, der sich nach allen Seiten hin öffnet, in dem Sinn ein ausgesprochen demokratischer Ort.

Ausstellungsansicht RELAX, 2022
Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski
© Gregor Titze/MAK

Es ist nun bereits das vierte gemeinsame Projekt in dieser Serie. Was zeichnet eure Zusammenarbeit aus? Wie geht ihr bei der Entwicklung eurer Projekte vor?

Robert: Wir sind normalerweise alle räumlich getrennt voneinander und meistens gibt es immer eine Vorlaufzeit, in der sich jeder Gedanken macht. Wenn wir dann alle wieder zum ersten Mal zusammentreffen, sprudeln die Ideen einfach nur so raus. Meistens sind wir uns dann auch sehr schnell einig. Dadurch, dass wir in Wirklichkeit auch sehr unterschiedlich sind, ist dann unsere Schnittmenge meistens sehr stabil.

Lukas: Wir haben auch einen gewissen Humor, der uns verbindet.

 

Nach dem DIY Projekt in L.A. habt ihr 2017 mit STROOKOFFER die Inneneinrichtung der Loos Bar in Brüssel mit Strohmatten verkleidet – wie hat sich dieses Konzept entwickelt?

Christoph: Wir wurden damals eingeladen im Keller des von Künstler*innen betriebenen ETABLISSEMENT D’EN FACE in Brüssel eine Bar zu gestalten. Da die Location ein Keller war, haben wir auch unterhalb der originalen Los Bar nachgeschaut, was dort ursprünglich war. Und dort gab es damals diesen „Strohkoffer“.

Robert: Wir wollten also nicht die Loos Bar nachbauen, sondern wirklich den „Strohkoffer“. Das Problem war, dass zum originalen Strohkoffer nur wenige Fakten bekannt waren. Da der Kellerraum im etablissment d’en face wirklich 44% länger war, als die originale Loos Bar, haben wir alles gestretcht. Auch die Musik wurde immer um 44% langsamer abgespielt.

Lukas: Das Kopieren ist etwas wahnsinnig Produktives. Einerseits hilft einem die Vorlage als Leitlinie, andererseits lädt der Prozess als solches zum Fehler machen ein. Wir haben deshalb versucht, uns immer an einzelnen Proportionen und Fakten (ob räumlich, materiell, örtlich, zeitlich, historisch etc.) zu orientieren und dann mit bestimmten Eingriffen unseren Kopiervorgang absichtlich zu verzerren, so auch im STROOKOFFER.

 

Ausstellungsansicht RELAX, 2022
Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski
© Gregor Titze/MAK

RELAX ist die reduzierteste aller bisherigen Varianten der Loos Bar. Wie ist die Idee dafür entstanden und woher habt ihr eure Anregungen und Inspirationen bezogen?

Christoph: Das hat sehr stark mit der MAK DIREKTION zu tun, und der Tatsache, dass wir in Los Angeles mit dem ehemalige MAK-Direktor Peter Noever in Kontakt waren. Er hat damals sofort auf unsere LOS BAR reagiert und uns dieses Foto von seiner zweiten MAK-Ausstellung geschickt, bei dem er das Portal der originalen Loos Bar in der Säulenhalle aufgestellt hatte. Das war im Grunde genommen im Großen, was wir im Kleinen gemacht haben. Dieses Bild ist uns nie aus dem Kopf gegangen. Als dann die Anfrage kam, etwas in der DIREKTION zu machen, war dieses Bild der Nährboden, bei dem wir angesetzt haben. In diesem Raum hatte Peter Noever wahrscheinlich auch die Idee zu seinem Projekt. Wir wollten im Grunde genommen dieses Foto mit unserer Decke der LAX BAR nachstellen.

Ute: Gleichzeitig führen wir die Geschichte durch diese Inszenierung wieder an einen Anfangspunkt zurück. Wie nach einem Reset, öffnen sich mit dieser entmaterialisierten Version gerade wieder alle Möglichkeiten.

Hermann Czech, Rekonstruktion des originalen Portals der Loos Bar, Ausstellungsansicht Wiener Bauplätze. Verschollene Träume – Angewandte Programme, MAK-Säulenhalle, 1986
© Hermann Czech/MAK

Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski, RELAX, 2022
MAK-Säulenhalle
© Gregor Titze/MAK

Worauf nimmt der Name RELAX Bezug?

Christoph: Wir haben uns wochenlang über den Namen den Kopf zerbrochen. Die LOS BAR, der Strookoffer und die LAX BAR haben natürlich alle einen Bezug zur Bar an sich und lenken die Erwartungshaltungen sehr stark in eine gewisse Richtung. Das wollten wir vermeiden. Mit RELAX wollten wir viel mehr eine Atmosphäre kreieren. Natürlich ist der Name auch eine Anspielung auf die vorherige LAX BAR und bezieht sich zeitgleich stark auf das Atmosphärische.

Robert: Das Gute ist, dass der Name viel offen lässt. Man kann nicht wissen, ob der Name als zynische Antwort auf die Dystopie gemeint ist, als Verweis auf die Lax Bar oder als ernstgemeinte Handlungsanweisung.

Wie ist das Soundkonzept der Bar entstanden?

Robert: In dieser Bar gibt es keine Barkeeper und auch keine Musik und die Menschen dürfen darin auch nicht trinken. Deshalb war klar, dass der Sound nur von den Automaten selbst produziert werden kann. Wir verstärken alles, was schon da ist. In jedem Automaten gibt es zwei Mikrophone. Eines verstärkt das Brummen der Kühlschränke und das andere das Fallen der Waren. Zusätzlich ist es auch mit der Decke verbunden. In der LAX BAR haben wir die Decke wie eine Lichtorgel konzipiert, die auf den Sound reagiert. Je lauter desto heller. Das wollten wir auch in dieser Version der Bar haben. Es war naheliegend, dass es Sound auf die reduzierte Interaktion geben muss.

Ute: Das ist ein sehr performativer Moment. Man befindet sich in dieser Bar, wirft Münzen in den Automaten, ein Getränk fällt herunter und man wird zum Akteur, beeinflusst die Atmosphäre des Ortes.

 

Was erwartet die Besucher*innen bei einem Barbesuch in der MAK DIREKTION?

Christoph: Wir enttäuschen das Publikum in seiner Erwartungshaltung, in eine Bar zu gehen. Genau diese Erwartung wird generiert durch das Vorwissen, das wir davor drei Bars gemacht haben. Jetzt befinden wir uns aber in einem Museum während einer Pandemie. In dem Satz stecken schon zwei große Argumente, warum man keine Bar machen sollte.

Robert: Was die Besucher*innen bekommen, ist ein Raum, den sie während eines Museumsbesuchs, aber auch bei einem Barbesuch nicht erwarten würden. Im Grund genommen ist es eine Reduktion auf die gängigen aktiven Tätigkeiten, die man in einem Museum oder in einer Bar machen kann. Es ist die Abstraktion dieses Moments in einem Museum zu sein und die Abstraktion des Moments in einer Bar zu sein.

Ausstellungsansicht, RELAX, 2022
Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski
im Bild: Künstler*innen-Edition aus Aluminiumdosen gegossener Aschenbecher – inspiriert von der früheren Ausstattung der Loosbar
© MAK/Marlies Wirth

Die performative Rauminstallation RELAX ist noch bis 6. März 2022 in der MAK DIREKTION für Besucher*innen geöffnet. Es ist das erste Projekt in der ehemaligen MAK DIREKTION, die nun als Raum für Interventionen, Diskursveranstaltungen, Ausstellungen oder Performances für das Publikum zugänglich gemacht wird.

Das Interview führte Ulrike Sedlmayr, MAK-Presse und Öffentlichkeitsarbeit

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