5. Juli 2021
Der Kunst- und Kabinettschrank von David Roentgen: Eine neue Serie am MAK-Blog widmet sich dem herausragenden Sammlungsstück
Über drei Jahre lang hat sich das MAK der Restaurierung eines seiner wertvollsten Sammlungsobjekte gewidmet – des 1776 in Neuwied am Rhein entstandenen großen Kunst- und Kabinettschranks von David Roentgen. Anlässlich der Rückkehr des Roentgenschranks in einen der prominentesten Säle des Museums – die von dem US-amerikanischen Künstler Donald Judd gestaltete MAK-Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus – lassen wir in einer Serie am MAK-Blog Expert*innen zu diesem außergewöhnlichen Automatenmöbel zu Wort kommen.
In aufwendiger Detailarbeit hat die Restaurierabteilung des MAK in Kooperation mit externen Restaurator*innen den Roentgenschrank wiederhergestellt. Es wurden nicht nur die fehlenden Appliken ergänzt und die feinen Marketeriearbeiten der Möbeloberfläche gereinigt, auch das komplexe Innenleben wurde wieder in Gang gesetzt: Neben dem Uhr- und dem Spielwerk zählen dazu auch die Mechanismen, mit denen der Kunstschrank auf Knopfdruck vollautomatisch Türen öffnet, geheime Fächer freigibt, Schubladen hervorschießen lässt, einen Münzschrank zutage fördert, ein Noten- und Lesepult entfaltet und Musik abspielt. Johannes Ranacher, Marianne Siegl und Nils Unger sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich für die Instandsetzung des Kunstschranks gedankt.
David Roentgens Kunst- und Kabinettschrank zählt zu den historisch bedeutendsten Exponaten der MAK-Sammlung. Er wurde in der Roentgenschen Werkstatt in Neuwied am Rhein angefertigt und an den österreichischen Statthalter der Niederlande, Prinz Karl Alexander von Lothringen, verkauft; um 1776 wurde er in das königliche Palais in Brüssel geliefert. Als letzter Statthalter der Österreichischen Niederlande übersiedelte Erzherzog Karl den Kunstschrank dann höchstwahrscheinlich 1794 nach Wien. 1823 schenkte er ihn mit den vier anderen heute im MAK befindlichen Arbeiten Roentgens – zwei Spieltischen sowie zwei großen Marketeriebildern – dem Wiener Polytechnikum. 1872 wurden diese Werke in das MAK übernommen, wo sie heute zu den wertvollsten Beständen der Möbelsammlung zählen.
Sowohl hinsichtlich Marketerie als auch Mechanik markiert der über drei Meter hohe und von einer vergoldeten Apollonfigur bekrönte Kunst- und Kabinettschrank einen Höhepunkt europäischer Kunsttischlerei. Unter den drei vergleichbaren Schränken, die für europäische Herrscher in der Werkstatt Roentgens hergestellt wurden, war dieses Exemplar das kostspieligste. An der Oberfläche zeigt das mit feiner Holzmarketerie bekleidete Möbel Motive aus Kunst, Wissenschaft und Handel. Roentgen und seine Werkstatt waren dafür bekannt, mit verschiedenen kostbaren Hölzern – darunter Riegelahorn, Rosen- und Myrtenholz sowie andere gefärbte Holzsorten – Malerei zu imitieren.
Auch die komplexe Konstruktion des Automatenmöbels kann als technische und künstlerische Spitzenleistungen wahrgenommen werden – sie stellte die MAK-Restaurierung vor besondere Herausforderungen: David Roentgen war bereits zu Lebzeiten eine Legende der Kunstschreinerei; seine Luxusmöbel versah er mit hochkomplexen mechanischen Inneneinrichtungen. Beim Kunstschrank des MAK lassen sich per Knopfdruck etwa automatisch ein Lesepult ausfahren sowie ein Münzschrank, der mit einem Flötenspielwerk verbunden ist, das beim Öffnen zu spielen beginnt – ein äußerst eleganter und wohlklingender Sicherheitsmechanismus.
Dieser integrierte Musikautomat mit seinem Walzenspielwerk mit vier Melodien für ein aus 40 Holzflöten bestehendes Orgel-Instrument beziehungsweise eine Zymbal (zitherähnliches Saiteninstrument) stellt gewissermaßen das Herzstück des Schranks dar. Für das Spielwerk ebenso wie für das Uhrwerk war der ebenfalls in Neuwied ansässige Mechaniker Peter Kinzing zuständig, mit dem Roentgen bei solch komplizierten Projekten meist zusammenarbeitete. Entsprechend aufwendig und lanwierig gestaltete sich die Restaurierung der technischen Funktionen des Kunstschranks in den letzten Jahren.
Nach dieser allgemein orientierenden Ankündigung des Blogs folgt – quasi als genaueres Inhaltsverzeichnis für die Serie – ein Beitrag von Anne Biber, Leiterin der Restaurierabteilung des MAK. Sie gibt eine detaillierte Übersicht über die verschiedenen Arbeitsschritte der Wiederherstellung. Zudem werden Beiträge international renommierter Restaurator*innen, Musikwissenschaftler*innen und Kunsthistoriker*innen das sensationelle Möbelstück, das unbestritten zu den Höhepunkten der Möbelgeschichte gehört, in einem breiteren wissenschaftlichen Kontext würdigen. In den kommenden Wochen und Monaten werden an dieser Stelle also auch Berichte von Maren-Sophie Fünderich, Helmut Kowar, Petra Krutisch, Achim Stiegel, Nadja Wallaskovits und Bernd Willscheid zu lesen sein.
Ein Beitrag von Sebastian Hackenschmidt, Kustode MAK-Sammlung Möbel und Holzarbeiten.