19. März 2020
RE-IMAGINING: Hokusai 1901
Die Verkaufsausstellung des berühmten japanischen Malers und Ukiyoe-Meisters Katsushika Hokusai im Jahr 1901 im k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie – heute MAK – war eine besondere Ehre für die Stadt Wien, da die Schau eigentlich in Paris, dem damaligen Zentrum des Japonismus, zu erwarten gewesen wäre. Diese umfangreiche europäische Werkschau Hokusais nahmen die Ukiyoe-Spezialistin Sophie Adensamer und die beiden StudentInnen Jackie Maurer und Joël Macher im Rahmen eines Studienprojekts am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien zum Anlass für eine Spurensuche, die schließlich zur Rekonstruktion der Ausstellung sowie des Ausstellungskatalogs führte. Im Blogbeitrag schildern sie ihren Forschungsstand.
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„Zwei Umständen hat es das Wiener Publicum zu danken, dass es uns ermöglicht war, eine „Specialausstellung Hokusai“ […] zu Stande zu bringen: Erstens der liebenswürdigen Unterstützung, welche uns Herr S. Bing in Paris […] zu Theil werden liess, zweitens der Gastfreundschaft, welche die löbliche Direction des k.k. österreichischen Museums dieser Sammlung zu gewähren, die Güte hatte.“
(aus: Werke Hokusai’s, E. Hirschler und Comp., Wien 1901, S. 4.)
Das k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie präsentierte folglich von Februar bis März 1901 eine Werkschau Hokusais, die über den begleitenden Katalog überliefert ist. Die Publikation, herausgegeben von der Kunsthandlung E. Hirschler und Comp., umfasst 630 Werke, deren präzise Auflistung eine – zumindest teilweise – Rekonstruktion der Ausstellung im Saal 5, der heutigen MAK-Schausammlung Renaissance Barock Rokoko, ermöglichte. Unklar ist jedoch, welche Werke exakt präsentiert wurden. Einzig deren Beschreibungen im Katalog bieten einen Anhaltspunkt und lassen Vermutungen zu.
Die gezeigten Arbeiten wurden in der Publikation in die folgenden vier Kategorien unterteilt:
Kakemono (Japanische Hängebilder, die als Originalgemälde bezeichnet werden), Originalzeichnungen, Nishikiye(Farbholzschnitte; heute geläufigerer Begriff ukiyoe) und
Bücher
Mit 494 Einträgen nahmen die Farbholzschnitte den Großteil des Katalogs ein. In unserer Analyse der Ausstellung und der Publikation lag deshalb ein verstärktes Augenmerk auf diesen Arbeiten. Mithilfe von Vergleichen der Beschreibungen aus Online-Datenbanken internationaler Museen gelang es, mehr als die Hälfte der Werke zuzuordnen. Die Ergebnisse wurden tabellarisch erfasst und mit Kommentaren versehen. Besonders erstaunlich dabei ist, dass viele populäre Serien in ihrer Vollständigkeit vertreten waren. So konnten BesucherInnen der Ausstellung beispielsweise die gesamte Serie der 36 Ansichten des Fuji, verschiedene Versionen der 53 Stationen des Tokaido, als auch die Reise um die Wasserfälle bestaunen.
LOST IN TRANSLATION: Rätselhaftes Eheglück
Die Spurensuche war aber auch gezeichnet von Hürden und leeren Enden. Die größten Herausforderungen bereiteten die abweichenden Beschreibungen, die aufgrund der Disparitäten der damaligen und heutigen Betrachtung sowie der Unterschiede in der japanischen und österreichischen Symbolik entstanden.
Beispielhaft sei hier Kat. Nr. 223 mit dem Titel „Die Symbole des Glücks der Ehe. Meeresstrand. Surimono. 19 : 53 cm. Privatbesitz.“ genannt. Ein Hinweis von Mio Wakita-Elis, Kustodin der MAK-Sammlung Asien, wies den Weg zur Identifizierung. Das Blatt zeigt ein älteres unter Kiefern stehendes Paar bei Sonnenaufgang am Neujahrsmorgen. Dieses Motiv geht auf ein Nō-Theaterstück – einer klassischen japanischen Form des Theaters zu meist mythologischen Inhalten – zurück, das von den Personifikationen zweier entfernt – in den ehemaligen Städten Takasago und Sumiyoshi – stehenden Kiefern handelt.
Symbol einer starken Ehe
Trotz der Distanz sind sich die beiden seelisch verbunden und treu. Umschlungen wachsende Kiefern gelten nämlich in Japan als Zeichen einer starken Ehe. Feierlichkeiten zu Langlebigkeit bieten zudem treffende Anlässe zur Darstellung der Geschichte. Vor allem der erste Sonnenaufgang des neuen Jahres soll Glück bringen, es ist daher ein beliebter Brauch diesen in Gemeinschaft zu betrachten. Eine kryptische Katalogbeschreibung und ein zuerst unzugängliches Sujet entfalteten sich somit nach unserer Recherche zu einer bildhaften Erzählung von Liebe und Verbundenheit.
RE-IMAGINING: Ohne Bilder geht gar nichts!
Im Zuge des Projekts haben wir uns zusätzlich Gedanken über eine mögliche Neuauflage des Katalogs gemacht. Zu diesem Zweck haben wir einzelne Katalogseiten beispielhaft für die Übersetzung in eine zeitgemäße Form graphisch aufgearbeitet. Gegenüberstellungen der damaligen und heutigen Beschreibungen sollten den neuen Wissensstand veranschaulichen. Illustrationen durften diesmal natürlich nicht fehlen.
Rekonstruktion des Ausstellungsraums
Wie schwierig sich die Arbeit ohne Bildquellen gestalten kann, zeigt sich auch in der Rekonstruktion des Ausstellungsraums. Zwar wissen wir aus Zeitungsberichten, dass es sich bei diesem um die heutige MAK-Schausammlung Renaissance Barock Rokoko handelte. Wie er aber räumlich aufgeteilt war und nach welchen Aspekten die Hängung stattgefunden hatte, ist kaum nachvollziehbar.
Wir vermuten, dass letztere mit der im Katalog angeführten Auflistung der Werke korrespondierte und sich somit nach Signatur gliederte. Wie es allerdings möglich war, 630 Exponate in dem bescheidenen Saal zu präsentieren, lässt uns wieder Rätsel raten: Hingen die Werke übereinander? Gab es eingezogene Wände, um mehr Präsentationsfläche zu schaffen? Vielleicht befanden sich die Farbholzschnitte in Mappen und Schaukästen, aus denen sie zur Betrachtung entnommen werden konnten? Vielleicht wurden auch nicht alle Werke ausgestellt und bei Kaufinteresse in den Räumlichkeiten der Kunsthandlung E. Hirschler in der Plankengasse vorgeführt? Diese Fragen müssen aus mangelnder Quellenlage unbeantwortet bleiben.
Einzig über die Präsentation der Bücher gibt uns Oscar Teuber in der Wiener Zeitung vom 26. Februar 1901 Hinweise: „Ein Theil der Bücher, die Hokusai gezeichnet hat, liegt auf. Es ist lohnend, hineinzublicken.“
Auszug aus der Wiener Zeitung vom 26. Februar 1901:
„Die »sechs Poeten« sind besonders charakteristisch. Die Contouren der Körper werden durch die Schriftzüge der Namen gebildet. Die Karpfen, Schlangen, Blumen sind genau so wahr wie die kleinen Geishas im Yoshiwara, im »goldenen Sumpf«. Die Reiher und Kraniche, die Spatzen und Stieglitze, Schmetterlinge und Libellen werden immer in den ihnen eigentümlichsten Bewegungen erfaßt. Lustig ist der fidele Faßbinder in seinem Riesenrade. Daneben grauenhafter Geisterspuk zum Fürchtenmachen. Die Nacht der Unterwelt vom Aufleuchten grotesken Humors erhellt! Der chinesische Dichter Lihatsu bewundert einen kerzengerad herabstürzenden blauen Wasserfall, ein anderer Poet reitet auf rothem Rosse durch den Schnee. Kriegsgeschichte und Feldgeschrei fehlen nicht. Hokusai malt Alles, zeichnet Alles, Ringer und Götzen das kleine Hans und die hohe Politik.“
Wie aufwändig die Realisierung der Ausstellung gewesen sein muss, lässt ein Zitat in den einleitenden Worten des Katalogs von E. Hirschler erahnen:
„Wenn dieser Sammlung Anerkennung und Verständnis entgegengebracht und hierdurch der in Wien arg vernachlässigten japanischen Kunst neue Freunde und Bewunderer zugeführt werden sollten, so erachten wir uns für unsere Opfer an Zeit und Mühe reichlich entschädigt.“
(aus: Werke Hokusai’s, S. 5)
Dem können wir in Anbetracht unserer umfassenden Spurensuche und erfolgreicher Rekonstruktion des Katalogs/der Ausstellung reichlich zustimmen!
Ein Text von Sophie Adensamer, Galerie bei der Oper. Jackie Maurer und Joël Macher in Zusammenarbeit mit Johannes Wieninger, ehemaliger Kustode der MAK-Sammlung Asien, im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien.