15. Dezember 2020
Der Reisesekretär von Adolf Loos
Erstmals ist im MAK im Rahmen der Ausstellung Adolf Loos. Privathäuser ein Möbel ausgestellt, das, wie wohl kein anderes, die kreativen Lebensabschnitte eines der wichtigsten Architekten, Kulturreformers und –theoretikers der Wiener Moderne begleitet hat: der Reisesekretär von Adolf Loos. MAK-Kustode Rainald Franz analysiert mit dem auf Möbel von Adolf Loos spezialisierten Restaurator Stefan Voglhofer das im MAK vorgestellte Möbel und erzählt seine Geschichte.
In einer berühmt gewordenen Karikatur aus den 1920er-Jahren, der Ankündigung für einen Vortrag, erscheint Adolf Loos als „Loos von Wien, tschechoslowakisch-anglofranzösisch, amerikanischer Architekt im Expresszug zwischen London-Paris-Wien-Brünn und Prag und retour“. Diese Charakterisierung entspricht dem unsteten Leben, das der am 10. Dezember 1870 in Brünn geborene Sohn des gleichnamigen akademischen Bildhauers und ausführenden Steinmetzes ab seiner Schulzeit führte. So divers wie seine Aufenthaltsorte waren auch Loos´ Interessen und die Themen seiner Vorträge sowie der ab 1896 regelmäßig erscheinenden Beiträge für Wiener Zeitungen.
Zu dieser Unstetheit passte auch Loos´ Schreibmöbel, der einzige bekannte Gegenstand, den Loos offensichtlich schon vor und nicht nur in der seit 1903 bestehenden privaten Wohnung in der Bösendorferstrasse benützte. Er führte den Sekretär auch auf seinen Reisen und längeren Auslandsaufenthalten, etwa ab 1923 in Paris sowie an der Cote d’Azur mit sich. Loos vererbte ihn an seine langjährige Haushälterin Mizzi Schnabel. Von ihr wiederum erwarb Prof. Johannes Spalt das Möbel im Jahr 1970 und publizierte dazu. Das im Privatbesitz befindliche Möbel wird vom MAK nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Reisesekretäre sind seit der Renaissance bekannt, etwa die spanischen Varguenos, von denen das MAK auch ein Beispiel besitzt. Bei dem Möbel aus dem Besitz von Adolf Loos handelt es sich, wie so oft in seinem Fall, um einen englischen Möbeltypus, der spätestens seit dem englischen Hochbarock Georgian verbreitet war. Loos war dieser Epoche sehr zugetan, verwendete er doch in seinen Wohnungen und Villen immer wieder englische Vorlagen wie z.B. die Klapptische, Hocker, Fauteuils und Speisezimmerstühle, oder auch Kopien nach Stühlen, die der Architekt und Entwerfer Thomas Chippendale (1718–1779) entworfen hatte. 1754 wurden sie erstmals veröffentlich in der Publikation The Gentleman and Cabinet-Maker’s Director.
Der English Campaign or Traveling Desk ist ein bis heute in Großbritannien beliebtes Reisemöbel. Der in Mahagoniholz und Messing gefertigte Reisesekretär aus dem Besitz von Adolf Loos, gewissermaßen ein prädigitaler Laptop, lässt sich aufklappen, wobei die Deckplatte mittels eines typischen Wiener „Klappscharniers“ fixiert werden kann. Im Korpus des zweiteiligen, durch Bandschaniere verbundenen Möbels finden sich diverse aufklappbare Innenfächer, eine mit Filz bezogene Schreibfläche und eine „Galerie“ in der Deckplatte, in der man Korrespondenz und Briefpapier bewahren konnte.
Sie zeigen die für Möbel von Adolf Loos charakteristischen, versenkbaren Messinggriffe, sogenannte Einlassgriffe, die Loos bereits vor der Jahrhundertwende und auch später immer wieder in Verwendung hatte. Ähnlichkeiten zu den in Österreich in der Biedermeierepoche beliebten Verwandlungssekretären sind evident. Das Möbel ist mit (zwei) Tragegriffen versehen. Diese kennen wir auch als Ladengriffe an Möbeln in von Loos geplanten Einrichtungen, ebenfalls in Messing ausgeführt. Zur Fixierung ist der Reisesekretär versehen mit zwei Messinghaken mit Öse, zum Versperren dient ein Einlassschloss. Die fixierbaren Balusterfüße des Möbels lassen sich einklappen.
Aufgrund dieser Charakteristika dürfte es sich um eine kurz vor 1900 in Österreich entstandene Ausführung bzw. Kopie eines englischen Möbeltypus handeln, etwa durch Beifügung der klappbaren Balusterfüße optimiert. Adolf Loos hatte sicherlich durch seine Reisen nach Amerika und England diese Art von Möbeln kennengelernt und in seine architektonischen Raumkonzepte aufgenommen. Vielleicht handelt es sich dabei um eines der frühesten Beispiele der Möbel nach englischem Vorbild, die Loos für seine Einrichtungen in Wien fertigen ließ: so wie etwa auch den berühmten, schon 3000 v. Chr. nachweisbaren, von der Arts & Crafts-Bewegung wieder aufgenommenen Theben- oder Liberty-Hocker, heute ein signature piece für Inneneinrichtungen von Adolf Loos.
Im (und auf dem) Sekretär befanden sich zahlreiche persönliche Schriftstücke des Architekten: Entwurfszeichnungen für einen Innenraum und einen Stuhl, Fotos, ein Plakat zu seinem Vortrag 1927 „Das Wiener Weh (Wiener Werkstätte). Eine Abrechnung“ (1927), Ausgaben von Karl Kraus´ Zeitschrift Die Fackel, Exemplare seiner Zeitschrift Das Andere. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich und weitere persönliche Besitztümer – vom Tintenfass bis zu seinem Brieföffner.
Das Möbel ist ein sprechendes Beispiel für die Verwurzelung Adolf Loos in der angelsächsischen Handwerkskunst und seiner kreativen Aneignung und Verbesserung der Formen für den jeweiligen Verwendungszweck. Mit den Worten von Adolf Loos: „Wenn wir einen Gegenstand kopieren, so müssen wir ihn genau kopieren. Wer vor der eigenen Zeit keine Hochachtung empfindet, dem fehlt sie auch vor der Vergangenheit.“
Die Ausstellung ADOLF LOOS. Privathäuser ist bis zum 14. März 2021 in der MAK-Schausammlung Gegenwartskunst zu sehen.
Ein Beitrag von Rainald Franz, Kustode MAK-Sammlung Glas und Keramik
Immer schön einen guten Artikel zu finden