16. Juli 2020
Der Schlangenschirmständer aus dem Hause Thonet
+++ Wolfgang Thillmann, Gastkurator der MAK-Ausstellung BUGHOLZ, VIELSCHICHTIG. Thonet und das moderne Möbeldesign, zu einem der Highlights der Schau +++
Neben ihren Bugholzmöbeln stellten die Gebrüder Thonet ab der Pariser Weltausstellung 1867 immer wieder auch Halbfertigwaren oder einzelne Bugholzteile aus, welche nicht für den Verkauf gedacht waren, sondern die perfekte Beherrschung des Biegeverfahrens zeigen sollten. Zu diesen Exponaten gehörten spiralförmig gebogene Hölzer, deren Herstellung einerseits technisch sehr anspruchsvoll war, die zugleich aber auch demonstrierten, welche Holzstärken man mittlerweile massiv biegen konnte. So gab es dreidimensionale, schraubenförmige Objekte mit eher dünnen Holzquerschnitten, aber auch solche, die lediglich in einer Ebene gebogen wurden, somit einer überdimensionierten hölzernen Uhrfeder glichen, wobei man hier wesentlich stärkere Querschnitte verwenden konnte als bei ersteren.
Die eher zweidimensionalen Formen finden sich häufig bei den klassischen Bugholzmöbeln – so beispielsweise als Rücklehneinsätze oder Armlehnen für die Fauteuils oder Canapés. Doch ist nur ein einziges Möbel bekannt, das tatsächlich eine schraubenförmige Spiralform aufnahm: der im Katalog von 1904 erstmals abgebildete Schlangenschirmständer.
Offensichtlich war es schon in der Bopparder Zeit möglich, solche Formen herzustellen, allerdings noch nicht in der Technik des Massivbiegens, sondern schichtverleimt. Neben einer Skizze der Formen für das Biegen der Seitenteile des Bopparder Sessels war dem Österreichischen Patentantrag vom 14. Mai 1842 auch die Darstellung einer kurbelartigen Vorrichtung beigegeben, mit deren Hilfe solche spiralförmigen Bauteile erzeugt werden konnten. Es ist zu vermuten, dass diese Teile für die Untergestelle kleiner Tische verwendet wurden, so, wie wir es bei dem vermutlich für die Weltausstellung 1855 in Paris angefertigte Tischchen sehen können.
Dessen spiralförmige Säule besteht aus insgesamt 6 schichtverleimten Stäben, die sich schraubenförmig zu einem halbkugelförmigen Oberteil winden. Diese Säule wäre alleine zu schwach gewesen, das Oberteil zu tragen, weshalb man mittig durch diese noch einen furnierumwickelten Eisenstab steckte, der mit dem Eisengussfuß und einer in diesem angebrachten halbkugelförmigen Bleigewicht stabilisiert und beschwert wurde.
Von ähnlichem Aussehen ist der 1851 auf der Weltausstellung in London gezeigte kleine Tisch mit seiner aus acht Stäben gefertigten spiralförmigen Säule. Die Stäbe bestehen allerdings nicht aus schicht- sondern aus stabverleimten Hölzern. Bei dieser Konstruktion stand nicht der technische Aspekt im Vordergrund, sondern ein ästhetischer: Nur bei dieser Bauart ließen sich die den Windungen folgenden Messingbänder einbauen.
Erstmals massives Holz verwendete man bei einer ebenfalls als Einzelanfertigung für Weltausstellungen gefertigten Blumensäule, die auch als Büstenständer verwendet werden konnte. Aus Gründen der Stabilität und um ein Schwanken der Säule um die Längsachse zu verhindern, bestehen die Windungen der Spirale aus sehr massiven Holzstäben, die unten und oben von einem Ring zusammengehalten werden. Ein Eisenstab wie noch bei dem 1855 Tischchen ist nicht mehr notwendig.
Die Fertigung solch eines Möbels für den allgemeinen Verkauf wäre vermutlich zu aufwendig und damit entsprechend teuer gewesen, weshalb am Ende der Schlangenschirmständer tatsächlich das einzige Möbel blieb, welches diese dreidimensionale, schraubenförmige Spiralform in massiver Ausführung zeigt. Das immer vorhandene Problem der lateralen Stabilität dieser speziellen Form wurde so gelöst, dass sie nicht direkt auf dem Boden steht, sondern an vier, innen liegenden klauenartigen Tierfüßen befestigt ist.
Der Schlangenschirmständer wurde zu einem Preis von 24 Kronen angeboten, dem vierfachen eines Stuhls Nr. 14.
Im Jahr 1906 wurden insgesamt nur 19 Stück dieses Luxusmöbels hergestellt, was seine große Seltenheit erklärt. Bereits in dem Gesamtkatalog von 1911 ist er dann nicht mehr erhalten. Bei dem hier abgebildeten Schlangenschirmständer mit der aufwendigen Vergoldung und Bemalung dürfte es sich darüber hinaus um eine Sonderanfertigung handeln; es ist der einzig bekannte in dieser Ausführung.
Die MAK-Ausstellung BUGHOLZ, VIELSCHICHTIG. Thonet und das moderne Möbeldesign war von 18. Dezember 2019 bis 6. September 2020 im MAK zu sehen.