vagina dentata – eine neue Arbeit von Toni Schmale in der MAK-Sammlung

5. Februar 2021

Insights

Die Sammlung des MAK, das als Museum für Kunst und Industrie gegründet wurde, ist reich an Gegensätzen und Objekten, die im Zeichen von Kulturclashes und des Zusammenspiels verschiedener Disziplinen stehen: Bildende Kunst interagiert mit Architektur, angewandte Kunst mit neuestem Design. Die Sammlung folgt einer einzigartigen, inneren Logik – die auch im Œuvre von Toni Schmale (* 1980) erkennbar ist. Ihre Arbeiten umfassen Gender Clashes ebenso wie Mash-Ups aus Körpern. Aus diesen Gründen wurde Bärbel Vischer, Kustodin der MAK-Sammlung Gegenwartskunst, auf Schmale aufmerksam. Im Sommer 2020 kam es zu ersten Gesprächen mit der Künstlerin. Am MAK-Blog gibt Vischer Einblick in Schmales Werk und stellt mit vagina dentata (2020) einen neuen Sammlungszugang vor.

Experimentell, präzise, sportlich – Toni Schmale testet die Materialität und Sprache der Bildhauerei. Die in Wien lebende Künstlerin zerlegt die klassische Skulptur und entwickelt hybride Werke, die auf den ersten Blick wie Maschinen wirken. Das Handwerkliche bestimmt ihre Skulpturen. Konkrete und imaginäre Körper oder Körperteile entwickeln ein Eigenleben. Schmale lotet Leerstellen aus, die durch Projektionen der Betrachter*innen besetzt werden. In aktuellen Projekten überträgt sie das Skulpturale in den Raum, in das urbane Environment und in die Architektur. Stahl und Beton sind die Materialen ihrer Wahl, aus denen sie utopische Eigenschaften und Oberflächen zieht oder als genormte Formen und Module einsetzt. Das performative Moment, das Ritual, der Code sind in ihre Skulpturen eingeschrieben wie ein Subtext. Ausgehend von diesem besonderen künstlerischen Ansatz wollten wir Schmale eine Plattform geben, gegen die Strömung der MAK-Sammlung zu schwimmen – gemeinsam mit Künstler*innen, die ähnliche Gedankensprünge über kontextuelle und mediale Grenzen hinweg machen.

 

Im Jahr 2020 konzipierte Toni Schmale eine aus zwei Skulpturen bestehende, facettenreiche Arbeit, die für die MAK-Sammlung Gegenwartskunst angekauft wurde. Sie korrespondiert mit den ebenfalls in der MAK-Sammlung vertretenen Werken von Rosemarie Castoro (1939–2015), Geta Brătescu (1926–2018), Verena Dengler (* 1981), Bruno Gironcoli (1936–2010), Birgit Jürgenssen (1949–2003), Walter Pichler (1936–2012), Lili Reynaud-Dewar (* 1975) und Franz West (1947–2012). Der Dialog dazu begann Anfang Juli in ihrem Atelier, als sie noch dabei war, die Skulpturen zusammenzusetzen.

„Mit den Händen denken, mit den Augen denken“ notierte Toni Schmale neben schablonenhaften Skizzen in ein Projektbuch zur Arbeit. Im Setting einer Präsentation bestimmen die Skulpturen, die zwischen zwei Polen pendeln, den Raum. vagina dentata – der Titel der Arbeit von Schmale – liest sich als post-feministisches Statement, das Genderrollen, deren Zuschreibung und Reflexion hinterfragt. Schmale begegnet uns mit der Offenheit von Generationen und lässt in ihrer Auseinandersetzung mit Gender und der Verknüpfung von Identitäten einen fließenden Raum für Verhandlungen, Brüche, Witze oder das Unbewusste. In einer Zeit, in der das typografische Gender-Sternchen die deutsche Sprache und binäre Denkräume langsam aufbricht, dreht Schmale weiter an den Schrauben. Sie weckt die Neugierde der Betrachter*innen, sich mit diversen Geschlechterkonzepten und Sex auseinanderzusetzen – stets unter Einbezug der eigenen Rolle und Haltung.

Skizzenbuch zur Arbeit vagina dentata

Toni Schmale, Skizzenbuch zur Arbeit vagina dentata
© Toni Schmale

Skizzenbuch zur Arbeit vagina dentata

Toni Schmale, Skizzenbuch zur Arbeit vagina dentata
© Toni Schmale

Im Gegensatz zur Intimität der Vagina ist der Zahn bzw. Zahnschmuck auch ein Symbol des öffentlichen Raums mit historischem wie zeitgenössischem soziokulturellem Kontext, besonders in der Rap- und Hip-Hop Szene. Die Künstlerin spielt mit dem Prinzip des Dualismus, mit Zeichen und Bedeutungsebenen und schreibt ihre eigene Erzählung. Toni Schmale zeichnet ein Tableau vivant, eine Szene mit zwei Akteur*innen. Die Skulpturen sind in einer dynamischen Sequenz miteinander verbunden. Ihre fächerhaften Facetten sind einander zugewandt und spiegeln sich wie in einem Akt. Die Handlung bleibt im Narrativ.

Toni Schmale, vagina dentata, 2020

Installationsansicht, 2020
Toni Schmale, vagina dentata, 2020
© MAK/Georg Mayer

Die dysfunktionalen Objekte sind identisch und unterscheiden sich nur durch den Kontrast von Schwarz und Weiß. Sie bestehen aus geometrischen, in Stahlblech geschnittenen Formen, die aneinandergereiht sind. Alle Teile sind beweglich, ein- und aufklappbar. Das Raster erinnert an die Stoffe von Reformkleidern der Wiener Moderne, als sich das Ornament als Flächenschmuck über Objekt, Persona, Raum und Architektur ausbreitete und die industrielle Revolution und Massenproduktion begleitete. Dieses Moment greift auch die französische Designerin Charlotte Perriand (1903–1999) in einem Stuhl auf, der ein Theaterkostüm interpretiert. Die dreieckige Form der Teile von Schmales Skulpturen ist genormt. Die Stahlblätter überlappen einander wie in einer Linse oder einem Kaleidoskop, wodurch die Skulpturen wie kinetische Objekte wirken.

Toni Schmale, vagina dentata, 2020

Toni Schmale, vagina dentata, 2020
© MAK/Georg Mayer

Toni Schmale, vagina dentata, 2020

Toni Schmale, vagina dentata, 2020
© MAK/Georg Mayer

 

Das Moment der Bewegung entsteht durch die Projektion und den Diskurs, die Toni Schmale öffnet. Schmales Verweis auf das Organ als Skulptur, Körper und Maschine korrespondiert mit den Vorstellungen des Künstlers, Designers und Architekten Friedrich Kiesler (1890–1965). Ihre Skulpturen stehen ausschließlich auf Spitzen, die inneren Verbindungen bestehen aus einer mechanischen Konstruktion, die sie in zahlreichen Schritten entwickelte, dokumentiert in Zeichnungen und einem Modell. Ausgangspunkt von vagina dentata war ein Stuhl von Koloman Moser (1868–1918). Aus der Sitzmaschine machte Schmale eine Rakete.

Ein Beitrag von Bärbel Vischer, Kustodin MAK-Sammlung Gegenwartskunst

Die Arbeit vagina dentata von Toni Schmale ist bis 7. März 2021 im MAK FORUM zu sehen.

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