2. Oktober 2023
Eine andere Lesart der Geschichte: die Konstruktion des „Orients“ auf der Wiener Weltausstellung 1873
Die MAK Ausstellung Wiener Weltausstellung 1873 Revisited: Ägypten und Japan als Europas Orient beleuchtet die internationale Prestigeschau aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. In unterschiedlichen Erzählsträngen zeigt sie auf, wie Ägypten und Japan als Teil des „Orients“ konstruiert und präsentiert wurden. Mio Wakita, Kustodin der MAK Sammlung Asien, erklärt ihren im Spiegel der historischen Gegebenheiten sehr schlüssigen kuratorischen Zugang.
Die Idee, Ägypten und Japan in einer Schau gemeinsam zu zeigen, mag aus heutiger Sicht etwas ungewöhnlich sein. Dennoch hat sie in Hinblick auf die historischen Umstände ihre Berechtigung.
Die Ausstellungen Ägyptens und Japans waren nicht nur im Ostflügel des Hauptgebäudes der Wiener Weltausstellung (Industriehalle) in räumlicher Nähe zu sehen, die architektonischen Präsentationen Ägyptens und Japans waren auch auf dem Ausstellungsgelände im sogenannten Orientalischen Viertel in direkter Nachbarschaft zu besichtigen (Bild 2): Der ägyptische Pavillon, die sogenannte Ägyptische Baugruppe, stand direkt neben dem Grundstück, auf dem japanische Gebäude wie ein Shinto-Schrein, ein Schreintor, Verkaufsstände für Souvenir sowie ein japanischer Garten angelegt wurden.
Die beiden Länder teilten außerdem ein ähnliches Ziel für die Wiener Weltausstellung: eine möglichst große Wirkung in Wien für die Kurskorrektur geopolitischer und wirtschaftlicher Problemstellungen des jeweiligen Landes. Ägypten litt unter ungleichen Verträgen mit europäischen Mächten. Um diese Missstände zu korrigieren, hatte der Khedive der osmanischen Provinz Ägypten, Ismail Pascha (1830–1895) beabsichtigt, die internationale Bühne in Wien auszunutzen und vor allem den österreichischen Kaiser Franz Joseph (1830–1916) von der Größe Ägyptens zu überzeugen, um seine Zustimmung für Revision des Vertrags zu gewinnen. Japan hatte ebenfalls mit ungleichen Verträgen mit westlichen Ländern zu kämpfen und versuchte deshalb durch ein direktes Exportgeschäft an ausländische Devisen zu kommen. Es sollten Produktionsmaschinen und militärische Ausrüstungen angekauft werden, um das Land zu stärken. Wien bot Japan daher die erste Gelegenheit für eine direkte Marktforschung an.
Was die beiden Länder am meisten verbindet, ist aber ihre kulturgeographische Zuordnung. Ägypten und Japan wurden zur damaligen Zeit in Europa kulturgeographisch oft unter der Kategorie „Orient“ zusammengefasst. „Orient“ wurde im späten 19. Jahrhundert oft als Sammelbegriff für außereuropäische Länder verwendet. Das „Framing“ von Ägypten und Japan als der Orient nach dem historischen Verständnis im späten 19. Jahrhundert ist ebenfalls nachvollziehbar, wenn man sich die Aktualität der Orientalismen im Geistesleben, in der Kultur und in gesellschaftlichen Diskussionen von damals vor Augen führt. Die Orientalismen von damals lassen sich in der bildenden Kunst (orientalistische Malerei der Salonmalerei) wie auch in zeitgenössischen populärwissenschaftlichen bis zu wissenschaftlichen Publikationen feststellen.
Verschiedene Betrachtungen
Ägypten erfreute sich bereits auf den vergangenen Weltausstellungen in London (1862) und in Paris (1867) durch seine prachtvollen, und teilweise mit zahlreichen Originalen bestückten Präsentationen eines großen Publikumserfolgs. Insbesondere befeuerten der aufwendige Ausstellungspavillon Ägyptens in Paris und zahlreiche altägyptische Originale die Begeisterung für das Land.
Japan hingegen trat als Nation nach der politischen Wende um 1868 zum ersten Mal in Wien offiziell auf der internationalen Bühne auf, auch wenn Objekte aus Japan auf früheren Ausstellungen etwa des Shogunats oder europäischer Privatsammlungen bereits gezeigt wurden.
Die MAK Ausstellung WIENER WELTAUSSTELLUNG 1873 REVISITED. Ägypten und Japan als Europas „Orient“ im Zentralen Raum des MAK Design Lab zeigt nicht nur seltene Archivmaterialien wie Entwürfe des ägyptischen Pavillons oder Glanzstücke wie japanische Lacke und Keramiken. Um das Phänomen des Wiener Orientalismus im Jahre 1873 in den Kontext der zeitgenössischen Diskurse zu stellen, thematisiert sie bewusst ein breites Spektrum an Themen und wirft eine Reihe essenzieller Fragen auf: Von welchen Akteuren wurden die Länderpräsentationen in Wien konzipiert und gestaltet? Welche politischen, kulturellen und diskursiven Rahmenbedingungen prägten die ästhetische Entscheidungsfindung? Auf welche Art und Weise wurden Orientalismen für die Wiener Weltausstellung ästhetisch-symbolisch und kulturpolitisch von den jeweiligen Ländern verhandelt und nach 1873 transformiert?
Die Schau ist so angelegt, dass sie je nach Blickwinkel und Sichtweise verschiedene Geschichten auf unterschiedlichen Ebenen beleuchtet, etwa die Aspekte des Wissens- und Objekttransfers, „Selbstbild/Fremdbild“ und die Asymmetrien in kulturideologischen und gesellschaftlichen Verhältnissen zwischen Europa und dem „Orient“.
Diese unterschiedlichen Erzählstränge spiegeln genau die für den Zeitkontext relevanten Aspekte, die damals als zentrale Themen wahrgenommen und oft zum Gegenstand hitziger Besprechung wurden. Sie sind auch heute immer noch in der postkolonialen kultur- und kunsthistorischen Forschung von großer Relevanz, insbesondere in Hinblick auf die Neubewertung der bisherigen Narrative.
Diese ungewöhnliche Perspektive der MAK Ausstellung ermöglicht eine – bisher weder in der Forschung noch im Ausstellungswesen beachtete – andere Leseart der Geschichte.
Die Ausstellung WIENER WELTAUSSTELLUNG 1873 REVISITED. Ägypten und Japan als Europas „Orient“ ist noch bis zum 22. Oktober 2023 im MAK zu sehen.
Am 6. Oktober, 10.30–20 Uhr, findet im MAK bei freiem Eintritt die Tagung 150 YEARS AFTER. Der Erste Kunstwissenschaftliche Congress 1873, die Wiener Weltausstellung und die Museen statt. Anmeldung erforderlich. Weitere Information unter LINK.
Ein Beitrag von Mio Wakita, Kustodin MAK Sammlung Asien und Kuratorin der Ausstellung WIENER WELTAUSSTELLUNG 1873 REVISITED. Ägypten und Japan als Europas „Orient“
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