3. August 2018
Als wären die Uhren stehen geblieben … Zu Gast in der MAK-Expositur Geymüllerschlössel
Einen außergewöhnlich lebendigen Eindruck der Biedermeierepoche vermittelt ein Besuch im Geymüllerschlössel im 18. Wiener Bezirk. Gleichzeitig scheint es, als wäre die Zeit hier stehen geblieben. Es wirkt, als hätten seine BewohnerInnen das Gebäude vor über 150 Jahren in diesem Zustand verlassen. Doch tatsächlich handelt es sich bei diesem originalgetreuen Einblick in die Vielfalt biedermeierlicher Ausstattungskunst um eine perfekte Inszenierung, die zu einem einzigartigen Erlebnis, einer regelrechten Zeitreise einlädt.
Die reale Geschichte des Geymüllerschlössels gestaltet sich komplex. Nach 1808 für Johann Jakob Geymüller erbaut, wechselte das „Sommergebäude“ in den letzten beiden Jahrhunderten mehrmals den Besitzer. 1888 gelangte es beispielsweise in den Besitz des jüdischen Textilindustriellen Isidor Mautner. Während dessen Erben zur Zeit des Nationalsozialismus zur Emigration gezwungen waren, wurde das mit einer Hypothek belastete Gebäude zum Bankeigentum. Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte der Gründer und Präsident des Bundes der politisch Verfolgten, Franz Sobek, dem dafür lebenslanges Wohnrecht eingeräumt wurde, das Schlössel für die Republik Österreich und begann mit dessen Renovierung. 1965 wurde es dem MAK angegliedert und Sobeks beachtliche Privatsammlung an Altwiener Uhren, die nun vor Ort besichtigt werden kann, ging als Schenkung an den österreichischen Staat – der sie wiederum dem MAK zusprach.
Ergänzt um zeitlich passende Möbelstücke aus dem Empire und Biedermeier, kann das von einem unbekannten Architekten mit gotischen, indischen und arabischen Stilelementen geplante Kleinod nun regulär sonntags – beispielsweise im Rahmen des jeweils um 15:00 Uhr stattfindenden Rundgangs – besichtigt werden. Sonderführungen für Einzelpersonen und Gruppen sind auf Anfrage auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Ein geführter Besuch bietet die Möglichkeit, sonst nicht erlebbare Funktionen von MAK-Sammlungsobjekten in dieser Expositur zu entdecken.
Zu diesen zahlreichen spektakulären Prunkstücken zählt etwa eine Singvogel-Automatenuhr aus der Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein mechanisches Uhrwerk, versteckt in einem mit vergoldeten Elementen akzentuierten Weichholzkörper, und durch einen Glassturz geschützte, bewegte Präparate südamerikanischer „Tangare“ formen eine Stutzuhr, die früher beispielsweise auf einem Kamin Platz gefunden haben könnte. Dank einer ausgeklügelten Mechanik kommen vier gefiederte Automatenvögel – wie kleine Roboter – ihrer Aufgabe nach: mit ihrem Zwitschern verkünden sie taktgenau das Anbrechen der vollen Stunde.
Ein Beitrag organisiert von Lara Steinhäußer, MAK-Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Video: © MAK/Paul Wünsche