150 Years After – Wiener Weltausstellung und Erster Kunstwissenschaftlicher Congress

24. Oktober 2023

Forschung & Sammlung

Vor fast genau 150 Jahren stellte der Erste Kunstwissenschaftliche Congress parallel zur Wiener Weltausstellung Weichen für die moderne Kunstgeschichte. Kathrin Pokorny-Nagel, Leiterin der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv, blickt zurück auf dieses wesentliche kunsthistorische Ereignis, dem bei der Tagung 150 Years After am 6. Oktober 2023 im MAK zahlreiche Vorträge gewidmet wurden.

In diesem Jahr begeht Wien das 150-Jahr-Jubiläum der Wiener Weltausstellung mit einer Vielzahl von Ausstellungen, Veranstaltungen und Tagungen in diversen Institutionen. Auch das MAK widmete diesem Großereignis die Ausstellung WIENER WELTAUSSTELLUNG 1873 REVISITED. Ägypten und Japan als Europas „Orient“, um die damalige Präsentation des Orients (Ägypten und Japan) zu thematisieren und richtete am 6. Oktober 2023 die ganztägige Fachtagung 150 YEARS AFTER. Der Erste Kunstwissenschaftliche Congress, die Wiener Weltausstellung und die Museen im Vortragsaal aus. Diese Konferenz sollte den Stellenwert aufzeigen, den die Weltausstellung auch für das MAK (damals k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie) hatte. Außerdem sollte sie auf ein Ereignis aufmerksam machen, das bisher im Hintergrund stand, das aber für die weitere Entwicklung der Kunstgeschichte von wegweisender Bedeutung war: der Erste Kunstwissenschaftliche Congress. Dieser wurde in gewisser Weise aus Anlass der Wiener Weltausstellung im MAK abgehalten.

Ehemaliger Vortragsaal des MAK, in dem der Erste Kunstwissenschaftliche Congress stattfand, um 1900, Fotografie von Rudolf Lechner

Ehemaliger Vortragsaal des MAK, in dem der Erste Kunstwissenschaftliche Congress stattfand, um 1900, Fotografie von Rudolf Lechner

Mit den Vorbereitungen zum heurigen Jubiläumsjahr begann das MAK bereits vor drei Jahren, indem erste Ideen zu einem Symposium entwickelt und große Digitalisierungsprojekte realisiert wurden: so konnten sämtliche im MAK befindlichen Kataloge der Wiener Weltausstellung (immerhin 217 Exemplare) gescannt und online gestellt werden, die Mittheilungen des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie sind nun im Web verfügbar und geben ausführlich Einblick in die Aktivitäten der Weltausstellung und den Inhalt des Ersten Kunstwissenschaftlichen Congresses. 1500 Akten des Hausarchives der Jahre 1871 bis 1875 wurden gescannt und bearbeitet, wodurch zum Beispiel nicht nur die Teilnehmerliste, sondern auch die Liste der zum Congress Eingeladenen, ans Tageslicht kamen.

Elektronisches Skioptikum im Ehemaligen Vortragssaal des MAK, in dem der Erste Kunstwissenschaftliche Congress stattfand, um 1900, Fotografie Rudolf Lechner

Elektronisches Skioptikum im Ehemaligen Vortragssaal des MAK, in dem der Erste Kunstwissenschaftliche Congress stattfand, um 1900, Fotografie Rudolf Lechner

Aber wie kam dieser Kongress tatsächlich zustande? Einige Anekdoten seien hier zusammengefasst, die die Rolle des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie aufzeigen: Anlässlich der Eröffnung der Weltausstellung bekam man in den Mittheilungen des Museums folgende kritische Bemerkung zu lesen: „Mit dem heutigen Tag wird die Wiener Weltausstellung feierlich eröffnet. Das Oesterr. Museum begrüsst dieses Unternehmen mit aufrichtiger Freude, wenn es auch demselben nicht gestattet wurde, in den Räumen der Weltausstellung selbst so ausstellen zu können, als es die gemeinsamen Interessen des Museums und der Kunstgewerbeschule des Museums unerlässlich gefordert hatten.“ Diese Zeilen stammen aus der Feder einer der wohl schillerndsten Persönlichkeiten in der damaligen Kunst- und Kulturpolitik: Rudolf von Eitelberger, Gründungsdirektor des Museums, der daran angeschlossenen Kunstgewerbeschule, des Instituts für Kunstgeschichte und Netzwerker in sämtlichen Kunstangelegenheiten der 1850er–80er Jahre, Rudolf von Eitelberger.

Plakat zur Tagung 150 YEARS AFTER im MAK © Maria Anna Friedl

Plakat zur Tagung 150 YEARS AFTER im MAK
© Maria Anna Friedl

Eitelberger glaubte in mehrfacher Hinsicht, mit seinem Museum der Bedeutung des Prestigeprojektes Weltausstellung entsprechen zu müssen und ging mit großem Enthusiasmus an die Planung und Vorbereitung. Bereits ab 1871 inserierte er in der „Wiener Weltausstellungs-Zeitung“: „Jetzt, anlässlich der Vorbereitungen zur Weltausstellung erläßt der Direktor des österreichischen Museums die Erklärung, daß diese Anstalt stets bereit sein wird, die Industriellen in Allem, was sie für diese Ausstellung zu unternehmen gedenken, zu unterstützen.“

In der 22. Gruppe des geplanten Programmes der Wiener Weltausstellung „Darstellung der Wirksamkeit der Museen für Kunstgewerbe“ sah er den geeigneten Ort das damalige MAK zu präsentieren. Als dann der Generaldirektor der Weltausstellung Wilhelm von Schwarz-Senborn bekanntgab, dass das Museum keinen Alleinanspruch auf alle das Kunstgewerbe auf der Weltausstellung betreffenden Aktivitäten innehabe und auch keinen eigenen Pavillon bekomme, war die Enttäuschung bei Eitelberger so groß, dass er entschied sein Museum gar nicht vor Ort zu präsentieren. Wer aber glaubt, Eitelberger hätte sich jetzt beleidigt von allen Aktivitäten zurückgezogen, der sollte sich täuschen. Vielmehr fasste er den Entschluss, parallel zur Weltausstellung eigene Veranstaltungen und Ausstellungen im Museum am Stubenring durchzuführen. Er organisierte eine „Specialausstellung“ mit Exponaten aus dem Museumsbestand, um die Tätigkeit und Leistung des Museums und der Kunstgewerbeschule darzustellen. Und Bruno Bucher, der ab 1895 selbst Direktor des Museums werden sollte, kommentierte diese Spezialausstellung dahingehend, dass die Besucher*innen in den gezeigten Exponaten „vielleicht den Boden erblicken wird, aus dem so mancher der Keime herstammt, die dort auf der Weltausstellung in erfreulicher Blüthe erscheinen.“ Damit unterstrich er einmal mehr die Vorbildrolle, die dem k. k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie zukam.

Kathrin Pokorny-Nagel als Begrüßende bei der Tagung 150 YEARS AFTER © MAK

Kathrin Pokorny-Nagel als Begrüßende bei der Tagung 150 YEARS AFTER
© MAK

Zur Museumsausstellung veröffentlichte das MAK gleichsam als Katalog eine umfassende und aufwendig ausgestaltete Festschrift, die den beiden Erzherzögen Carl Ludwig, als Protector der Weltausstellung, und Rainer, als Präsident der Weltausstellungs-Commission, gewidmet war. Während der Dauer der Weltausstellung hielt Eitelberger an jedem Samstag von 19-21 Uhr in der Bibliothek Vorlesungen über die Kunst auf der Wiener Weltausstellung für Studierende der Universität, und zahlreiche Mitarbeiter des Museums wählten die Weltausstellung zum Thema ihrer Arbeiten.

Mio Wakita-Elis als Vortragende, Einblick in die Tagung 150 YEARS AFTER im MAK Vortragssaal © MAK

Mio Wakita-Elis als Vortragende, Einblick in die Tagung 150 YEARS AFTER im MAK Vortragssaal
© MAK

Den Höhepunkt seiner Aktivitäten im Jahre 1873 setzte Eitelberger aber mit der Einberufung des Ersten kunstwissenschaftlichen Congresses für die internationalen Vertreter der noch jungen Disziplin. Eitelberger wollte mit diesem Kongress die Protagonisten der Kunstwissenschaft, wie dies etwa bei anderen Fachinteressierten wie Ärzten bereits üblich war, versammeln und „durch persönliche Annäherung der Berufsgenossen dem wissenschaftlichen Leben förderlich sein“, wie er es formulierte. Da man anlässlich der Weltausstellung ohnehin sämtliche Kunstinteressierte in Wien erwartete, lud Eitelberger von 1. bis 4. September 1873 ins k. k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie. Es kamen vierundsechzig – natürlich ausschließlich männliche – Teilnehmer aus ganz Europa, um die wissenschaftlichen und praktischen Probleme ihrer Disziplin, wie Restaurierung, Katalogisierung und die Verwendung von Hilfsmitteln zu diskutieren. Eitelberger verschaffte sich und dem Museum mit dem erstmaligen Einberufen dieser Veranstaltung einen europaweiten Ruf.

Zur Tagung 150 YEARS AFTER lud das MAK in den Vortragssaal © MAK

Zur Tagung 150 YEARS AFTER lud das MAK in den Vortragssaal
© MAK

Auch wenn das MAK auf der Wiener Weltausstellung nicht direkt vertreten war, wurden aus ihr heraus somit wichtige Impulse für die Zukunft des Museums gesetzt. In der Fachtagung 150 YEARS AFTER wurde die Komplexität dieses Unterfanges in zwölf Vorträgen und einer Podiumsdiskussion erläutert. Die Vortragenden hielten dabei nicht nur Rückschau, sondern nahmen gleichzeitig eine Standortbestimmung für Institutionen wie das heutige MAK vor.

Die Tagung, ein Kooperationsprojekt des MAK mit der Universität Wien, Institut für Kunstgeschichte, war, wie die Symposien zu Alois Riegl (2005) und Rudolf von Eitelberger (2015), eine weitere gelungene Zusammenarbeit der beiden Institutionen.

Die Vorträge der Tagung 150 YEARS AFTER sind unter diesem LINK auf You Tube nachzusehen.

Ein Beitrag von Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar