12. Mai 2023
Anna-Sophie Berger: Fashion is Fast
Ab 13.5. ist Anna-Sophie Berger mit der Ausstellung The Years im Rahmen der Reihe (CON)TEMPORARY FASHION SHOWCASE zu Gast im MAK Geymüllerschlössel. Für The Years inszeniert sie eigene Kleidungsstücke, u. a. aus ihrer Diplomkollektion Fashion is Fast (2013), sowie Kunstwerke aus den Sammlungen des MAK und des Theatermuseums im historischen Interieur des Geymüllerschlössels. Matthew Linde, Kurator und Modehistoriker stellt für den MAK Blog die Kollektion Fashion is Fast vor.
„An einigen Orten ist sie konstant und sicher; wie in ganz Asien und in Spanien; aber in Frankreich, England und an anderen Orten ändert sich die Tracht; Mode oder die Veränderung der Kleidung befördert den Handel in hohem Maße, weil sie Ausgaben für Stoffe verursacht, bevor die alten abgenutzt sind: Sie ist der Geist und das Leben des Handels; sie löst Zirkulation aus und verleiht durch Abwechslung allen Arten von Waren einen Wert; sie hält den großen Handelskörper in Bewegung. Es ist ihre Erfindung, einen Mann zu kleiden, als ob er im ewigen Frühling lebte; den Herbst seiner Kleider sieht er nie.“ Nicholas Barbon (in: Discourse of Trades, Baltimore 1690, 32)
Für ihre Diplomarbeit 2013 Fashion is fast beschäftigte sich Anna-Sophie Berger mit dem organisatorischen Überbau von Modekollektionen. Ihre Kollektion umfasste eine Reihe einfacher, modulartiger Kleidungsstücke wie Röcke mit Bodys, Jeans, Anzüge, die mit Halstüchern kombiniert werden, Pullover mit Jogginghosen und rudimentär ausgeführte Ballkleider. Sie wurden sowohl in RGB- als auch in CMYK-Primärfarben angefertigt, den beiden optimierten Modi zum Mischen von Farben für digitale beziehungsweise gedruckte Produkte. Segmente der Kleidungsstücke wurden mit schwarzen, fett gedruckten Ziffern versehen, die den veränderten Maßen des modulartigen Schnittmusters entsprachen: An den Röcken wurden die erhöhten Schwunggrade notiert; die Maße von Brust, Taille und Hüfte prangten auf Ballkleidern; Schuhgrößen wurden auf der gesamten Vorderseite von Sandalen aufgedruckt. Fashion is fast sollte die rhythmische „Poiesis“ einer Kollektion, die gerade von einem Designer-Debüt erwartet wird, als Aneinanderreihung streng kalkulierter Messgrößen verdinglichen. Auch das NATO-Buchstabieralphabet wurde vertikal auf Hosenbeine und Strumpfhosen gedruckt. Kleider als semiotische Codesysteme.
Fashion is fast – wie ein Algorithmus, der uns entsprechend programmiert. Dieses Phänomen ist heute aus der Perspektive globaler Lieferketten und der titelgebenden Fast-Fashion-Industrie am auffälligsten, in der sich Asien mit seiner Marktmacht die Reproduktion von Designs und deren Verbreitung angeeignet hat. Die Shenzhen-Kopie verdeutlicht die Geschwindigkeit der Mode auf erstaunliche Weise. Es ist keine Überraschung, dass Shein, der chinesische Online-Fast-Fashion-Händler, von einem Spezialisten für Suchmaschinenoptimierung gegründet wurde. Die Mikrotrends der Mode werden hier auf ökonomische Weise für maximalen Konsum optimiert. Aber die algorithmische Schnelligkeit der Mode ist nicht einzigartig für das virtuelle 21. Jahrhundert. In den 1860er-Jahren führte Charles Frederick Worth das Design-Label mit seinem Namen als sein Markenzeichen in seine Couture-Kleider ein, um die Söldner der Designpiraterie einzudämmen. Er scheiterte kläglich, als sich ein globaler Markt für Prêt-à-porter-Stile, die die Pariser Couture imitierten, ausbreitete. Ab den 1910er-Jahren unterzeichneten Couturiers Verträge für billigere Vertriebslinien für amerikanische Hersteller. Die „Originalität“ der Designs wurde paradoxerweise durch seine industrielle Reproduktion garantiert. Es war die Kopie, nicht das Original, die die finanziellen und ästhetischen Motoren der modernen westlichen Mode befeuerte.
Schon vor der industriellen Erneuerung der Kleidung durch die Couture durchdrang den Modediskurs eine Dynamik des schnellen Kopierens und der ständigen Wiederverwertung. Fast 100 Jahre vor Worths Designerlabel fasste Rose Bertin, die persönliche Modistin von Marie Antoinette, diese Stimmung in ihrer Erklärung zusammen: „Es gibt nichts Neues außer dem, was vergessen wurde.“ Das deutet auf eine fast postmoderne Auffassung von Mode hin, die sich so schnell entwickelt hat, dass sie die Ziellinie bereits erreicht hat. Die ersten Modezeitschriften der 1670er-Jahre ähneln mit ihrer Berichterstattung über die neusten flüchtigen Details in Mützen oder Saumbrokaten gespenstisch den TikTok-Videos über zeitgenössische Mikrotrends. Der englische Ökonom und Finanzspekulant Nicholas Barbon lobte schon damals das Geheimnis der kapriziösen Veränderung der Mode, denn er verstand, wie Shein heute, dass sie den Handel am meisten beförderte.
Das heißt, Mode wird nicht von uns gemacht, sondern sie macht uns, wie eine Art Proto-Algorithmus, der von außen auftaucht.
Dass diese Dynamik in Bergers methodischer Kollektion lebendig werden kann, ist sowohl Zeugnis für den Algorithmus als auch für die Künstlerin.
Ein Beitrag von Matthew Linde, Kurator und Modehistoriker