„Ich wundere mich manchmal selber, wie viel ich eigentlich so erwerbe“

8. Dezember 2022

Insights

Friedrich C. Heller im Interview mit Kathrin Pokorny-Nagel über Sammlerleidenschaft anlässlich der MAK Ausstellung Bilderbuchkunst. Das Buch als künstlerisches Medium

Die im Oktober im MAK eröffnete Präsentation zu Bilderbüchern ist bereits das zweite Ausstellungsprojekt, das mit dem international renommierten Bilder- und Kinderbuchwissenschafter Friedrich C. Heller im MAK entstand. Nach der 2009 gezeigten Ausstellung Wiener Kinderbücher 1898–1938, beschäftigt sich die aktuelle Schau mit der Buchkunst der Gegenwart. Beide Themen konnten durch wesentliche Exponate aus den Sammlungen von Friedrich C. Heller bestückt werden und weisen den Experten als einen der wichtigsten privaten Sammler dieses Genres aus.

Im Interview wollten wir mehr über seine Sammlerleidenschaft erfahren.

Friedrich C. Heller in seiner Berliner Wohnung, 2009 © Oliver Mark

Friedrich C. Heller in seiner Berliner Wohnung, 2009
© Oliver Mark

Was hat den Anstoß für Ihre Sammlungstätigkeit gegeben?

Friedrich C. Heller: Ich habe schon als Gymnasiast Briefmarken gesammelt. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Briefmarkensammler, das war damals nach dem Krieg selbstverständlich, da Briefmarken auch eine Kapitalanlage waren. Mich hat aber bei den Briefmarken nicht ihr Wert, sondern die Drucktechnik interessiert. Ich kann mich erinnern, dass ich die Briefmarken immer angegriffen und versucht habe, die Drucktechnik zu erkennen. Und das hat mich bald dazu gebracht mich auch Büchern zuzuwenden. Zunächst waren es Viennensia, Lyrikbände und dann habe ich am Anfang meines Universitätsstudiums meine eigenen Kinder-Bilderbücher im elterlichen Bücherschrank wiederendeckt. Das waren Bücher aus den späten Kriegsjahren und aus der ersten Nachkriegszeit. Das hat mich sehr fasziniert, sie haben mich grafisch interessiert. Und das war der Anfang meines Sammelns von Bilderbüchern, da war ich 20. Und da ich jetzt über 80 bin, sind das jetzt 60 Jahre sammeln.

Friedrich C. Heller mit seiner Ehefrau Ursula Brandstätter beim Aufbau der Ausstellung im MAK, Oktober 2022 © MAK

Friedrich C. Heller mit seiner Ehefrau Ursula Brandstätter beim Aufbau der Ausstellung im MAK, Oktober 2022
© MAK

Gerade das Feld der Bilderbücher – noch dazu der internationalen – ist schier unendlich. Wenn man in Buchhandlungen geht, dann ist man zumeist überwältigt von der Quantität dieser Bilderbücher. Die Auswahl zu treffen, was in die Sammlung gehört, ist schwierig. Gehen Sie nach speziellen Kriterien beim Erwerb vor?

Friedrich C. Heller: Als privater Sammler kann ich es mir leisten das zu erwerben, was mir einfach gesagt, gefällt. Wobei dieses Gefallen sich seit langen Jahrzehnten auf den Umgang mit Bilderbüchern stützt. Der Unterschied bei der Alten Sammlung (Wiener Kinderbücher 1898–1938) war, dass es dort eine Art Kanon gegeben hat, den ich übrigens selber mitgebildet habe, muss ich gestehen. Denn seitdem man sich auf den Heller (Die bunte Welt 2008) berufen kann, kommen plötzlich Bücher teuer ans Tageslicht. Bei der Neuen Sammlung (Internationale Bilderbücher der Gegenwart) kann ich mich eigentlich nur in Bezug auf die Bilderbücher der 60er und 70er, vielleicht noch der 80er Jahre, auf bekannte Namen stützen, die ich noch in meiner Sammlung haben möchte.

Generell könnte ich jetzt natürlich sehr bieder antworten interessiert mich bei einem Buch die künstlerische Eigenart. Aber die meisten der Unmasse von Bilderbüchern sind ziemlich stereotyp, zeigen also Kinder mit Knopfaugen, weit auseinanderliegenden Augen, man hat immer das Gefühl die Kinder sind alle miteinander verwandt und sind vor allem immer irgendwie ironisch gezeichnet, oder wie Karikaturen. Das interessiert mich überhaupt nicht, das hat mit Künstlertum gar nichts zu tun. Handwerklich ist das sicherlich sehr oft sehr gekonnt, aber mehr auch nicht. Was ein Bilderbuch zum künstlerischen Bilderbuch macht ist die ästhetische Qualität, die man mit einiger Erfahrung auch sehr bald zu erkennen lernt. Und da lernt man auch die ganz unterschiedlichen Ansätze der Künstler*innen heutzutage erkennen.

Es gibt überhaupt keine generelle Tendenz oder einen Trend. Weltweit, und ich sammle ja weltweit, ist es überwältigend, welche Fantasie und welche Kreativität in künstlerischer Hinsicht herrscht. Das Buch hat eigene Kriterien und Gesetze der künstlerischen Gestaltung, es hat ein bestimmtes Format, es gibt verschiedene Möglichkeiten dieses Format künstlerisch zu erfüllen. Deshalb ist die Buchkunst eine Kunst, aber nicht verwechselbar mit anderen Künsten, sondern sie hat ihre Spezifika und auf die gilt es zu achten.

Friedrich C. Heller bei der Eröffnung der Ausstellung BILDERBUCHKUNST im MAK, 11.10.2022 © MAK

Friedrich C. Heller bei der Eröffnung der Ausstellung BILDERBUCHKUNST im MAK, 11.10.2022
© MAK

Und wo finden Sie diese ganz speziellen qualitätsvollen Bilderbücher?

Friedrich C. Heller: Was das gegenwärtige Bilderbuch betrifft, und vor allem, wenn man das weltweit betrachtet, bin ich zunächst auf Entdeckungen angewiesen. Dann muss ich in den meisten Fällen rasch handeln und mir sagen „Ja, das möchte ich in der Sammlung haben“ und ich erwerbe es. Viele von diesen Büchern kommen schnell auf den Markt und sie verschwinden auch wieder sehr schnell.

Wenn man ein Sammeln ernsthaft betreibt, ist das schon ein ziemlich ausufernder Beruf. Also, zuerst einmal gibt es bestimmte Buchhandlungen, in die ich regelmäßig gehe. Im Inland eher weniger, weil wir hier eben kaum welche haben. Aber in verschiedenen Ländern, in Deutschland, Holland, Italien, Frankreich, der Schweiz, gehe ich konsequent hin. Da gibt es ganz bestimmte Buchhandlungen, wo man mich zum Teil schon kennt. Außerdem muss man im Internet bei den verschiedenen Verlagen, von denen man weiß, dass sie Bilderbücher machen, immer wieder schauen, was es an neuen Bilderbüchern gibt. Da kann es natürlich auch vorkommen – da man meistens nur maximal drei Seiten von diesen Büchern sieht, wenn nicht überhaupt nur den Einband – dass man eine Fehlerwerbung macht, das passiert mir immer wieder. Das wird halt dann nicht in die Sammlung aufgenommen, sondern kommt in eine Kiste und dann zum Antiquar. Anlaufstellen sind natürlich Museen und die Shops der Museen. Wobei man dort oftmals sehr enttäuscht werden kann, weil dort diese unsäglichen Bücher liegen, die es darauf anlegen, Kinder oder Jugendliche ins Museum zu bringen und das immer so machen, dass sie Wiedergaben von musealen Objekten bringen, dazu grauslichste Zeichnungen von stumpfsinnig aussehenden Figuren. Das ist nichts für mich, das ist meistens eine große Enttäuschung. Seit einigen Jahren kann ich auch sehr erfreut sagen, habe ich gute Kontakte zu Künstlern gewonnen und da kommen auch immer wieder Bücher ins Haus. Dann sind es natürlich auch Antiquariatsmessen, wo neuerdings auch neue Bilderbücher gehandelt werden. Dann gibt es die Künstlerbuch- und Kunstbüchermessen in verschiedensten Orten. Da muss man hingehen und man muss sich überall kundig machen und sozusagen seine Antennen ausstrecken.

Ich wundere mich manchmal selber, wie viel ich eigentlich so erwerbe. Es ist zu viel! Meine Sammlung besteht aus über 2.000 Büchern. Ich bin eigentlich schon dabei zu Ent-Sammeln, weil ich im Jahr mindestens 100 Bücher erwerbe. Ich habe angefangen shelf für shelf durchzugehen und bin erstaunt, was alles da ist, und habe auch einiges herausgetan, was ich heute nicht mehr sammeln würde. Das ist der Vorteil des privaten Sammlers, dass er gewissermaßen aussortieren kann. Er ist ja nicht gezwungen, seinen Bestand zu halten. Bei einem Museum ist das ganz etwas Anderes.

BILDERBUCHKUNST. Das Buch als künstlerisches Medium, MAK Direktion, Ausstellungsansicht, 2022 © MAK/Georg Mayer

BILDERBUCHKUNST. Das Buch als künstlerisches Medium, MAK Direktion, Ausstellungsansicht, 2022
© MAK/Georg Mayer

Können Sie bei einer derart umfangreichen Sammlung den Überblick behalten, was besitze ich bereits, wo habe ich es aufgestellt? Führen Sie Buch über Ihre einzelnen Erwerbungen?

Friedrich C. Heller: Das muss ich. Ich habe ein Erwerbsinventar, das sind inzwischen schon 13 Heftchen, jedes in ein anderes schönes Buntpapier eingebunden, verschiedene Papiere aus aller Welt. Darin wird genau vermerkt wo gekauft, wann, zu welchem Preis und Anmerkung, warum, was mich anspricht. Und wenn ich entsammle, dann muss ich das irgendwo vermerken, weil die Bücher jeweils einen Stempel erhalten. Da gehe ich eigentlich wie ein Museum vor.

Wichtig ist mir aber vor allem die Aufbewahrung der Bücher. Ein riesiges Buch neben einem ganz kleinen, das sich quasi darüber wölbt, sieht nicht nur schlecht aus, sondern tut den Büchern auch nicht gut. Und deswegen versuche ich zuhause immer nach Formaten aufzustellen, und dadurch wird es ein bisschen durcheinander. Das führt dazu, dass ich immer wieder archäologische Studien machen muss, um draufzukommen was alles da ist, weil ich die vielen Bilderbücher natürlich nicht alle im Kopf habe. Ich mache mir auch, wenn ich so auf Einkaufstour gehe, immer eine Liste, weil ich habe schon manchmal Doppelkäufe gemacht und das ist dann irgendwie misslich.

BILDERBUCHKUNST. Das Buch als künstlerisches Medium, MAK Direktion, Ausstellungsansicht, 2022 © MAK/Georg Mayer

BILDERBUCHKUNST. Das Buch als künstlerisches Medium, MAK Direktion, Ausstellungsansicht, 2022
© MAK/Georg Mayer

Und gibt es unter all diesen Büchern auch das Lieblingsobjekt? Oder bevorzugen Sie bestimmte Themen oder vielleicht künstlerische Ausführungen, Techniken, Herstellungsverfahren?

Friedrich C. Heller: Nein, als Sammler hat man keine Lieblingsstücke, sondern jedes Buch, das man in die Hand nimmt, ist im Augenblick, in dem ich darin blättere und ich es zu verstehen versuche, das Lieblingsstück und einen Moment später kann es ein anderes sein.

Es gibt gewisse Themen, die mich interessieren. In der Ausstellung ist zum Beispiel meine Lieblingsvitrine jene unter dem Thema „fast nichts“. Das sind Bilderbücher, die sehr minimalistisch sind und gewisser Maßen mit einem Minimum an Zeichensetzung unglaublich viel aussagen beziehungsweise für den Betrachter viele Möglichkeiten des Hineininterpretierens bieten, das ist also ein Lieblingsthema.

Dabei ist es gleichgültig, ob das tatsächlich mit einem Pinsel gemalt ist oder ob das digital gemalt wurde. Viele Künstler verraten nicht wie sie vorgehen, viele sagen, dass sie das Digitale ganz bewusst nicht einsetzen, viele andere setzen die digitalen Möglichkeiten bewusst ein. Es hat sich im Lauf der Jahrzehnte durchgesetzt, dass Bücher, die Originaltechniken aufweisen, mehr wert sind als Bücher, die mit einer Druckreproduktionstechnik erzeugt sind. Ich verstehe das nicht, weil heute, in Zeiten wo tatsächlich auch Künstler digitale Techniken verwenden, kaum mehr zu unterscheiden ist, wer eigentlich der ursprüngliche und originale Macher ist. Man könnte sagen, das ist der, der das Konzept des Buches entwirft, der sich Gedanken macht, was und wie er etwas zeigen will. Aber schon die Frage, was ist das Original, wenn es keine Vorzeichnungen mehr gibt, sondern alles am Computer gemacht wird, macht den gesamten Herstellungsprozess unerhört komplex und deshalb gehe ich bewusst von dem Gedanken ab, dass das eine mehr wert sei als das andere. Und gehe wieder zum Ergebnis. Bei Büchern spielt sicherlich die Wahl des Papiers eine große Rolle, die Wahl der Farben in Zusammenhang mit dem Papier. Das ergibt einmal Ergebnisse, die einfach wunderbar ästhetisch befriedigend sind und in einem anderen Fall, gut gemacht, aber nicht gut gedruckt sind. Tragisch. Wichtig ist das Ergebnis!

Das Interview führte Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv.

Die Ausstellung BILDERBUCHKUNST. Das Buch als künstlerisches Medium wird bis zum 5. März 2023 in der MAK Direktion gezeigt.

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