Das MAK-KAMINZIMMER: ein räumliches Gesamtkunstwerk

8. November 2021

Forschung & Sammlung

Kaminzimmer mit Lambris und Glasvitrinen der Fachschule für Holzbearbeitung in Bozen mit eingefassten Rubenskopien Zustand 2021
© Georg Mayer/MAK

Durch eine kleine, eher unscheinbare Tür im Säulenumgang im 1. Stock gelangt man in eines der eindrucksvollsten Zimmer des MAK: das Kaminzimmer. Kein Raum des Museums spiegelt die Programmatik des Aufbruchs in die Wiener Moderne besser wider. Peter Klinger, stellvertretender Leiter der MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung, begibt sich für die MAK-Blog-Serie zum Jubiläum 150 Jahre MAK-Gebäude am Stubenring auf eine Spurensuche nach der Genese dieses räumlichen Juwels, als dessen „Spiritus Rector“ der 1897 ernannte Direktor Arthur von Scala fungierte.

Anonym, Porträt Arthur von Scala, um 1895
© MAK

Ursprünglich war das MAK-Kaminzimmer in zwei, durch eine Tür getrennte Räume unterteilt. Drei Jahrzehnte lang (1871–1901) diente es als Arbeitszimmer für den ersten Kustos des Museums. Leider sind keinerlei Unterlagen über die ursprüngliche Gestaltung überliefert. Was wir jedoch wissen ist, dass diese Räume, so wie die Schausammlungssäle des Hauses, mit grünen und roten Tapeten der Firma Knepper & Schmidt nach Entwürfen von Heinrich von Ferstel ausgekleidet waren.

Heinrich von Ferstel: Tapeten von Knepper & Schmidt, vor 1871
© MAK

Kurz nach der Eröffnung des Hauses im November 1871 schrieb die Neue Freie Presse: „…man wird darunter die Tapeten in einfarbigen gemusterten in Roth und warmem, stark gebrochenem Grün als gelungen und für die Wohnung sehr empfehlenswerth anerkennen müssen…“

Reste dieses Dekors, das durch seine dezente vegetabile Musterung von Zeitgenossen als sehr gefällig angesehen wurde, wurden im Zuge der Renovierung des MAK Anfang der 1990er-Jahre gesichert. Ab Mitte der 1980er-Jahre erhielt der Raum seinen heutigen Namen: Kaminzimmer.

Die Ära Scala und der „englische Stil“
Der ehemalige Direktor des Handelsmuseums Arthur von Scala setzte seine modernen Zielvorstellungen von Anfang an gegen die konservativ agierenden Kräfte des Kunstgewerbevereins durch. Seine Amtsvorgänger trugen die Programmatik im Geiste Rudolf Eitelbergers weiter. Die enge Verflechtung von Verein und Museum und deren starke Einflussnahme auf alle das Museum betreffenden Entscheidungen waren Scala ein Dorn im Auge. Adolf Loos – der „eifrige Anwalt des Hofraths“, wie ihn Karl Kraus nannte – stellte sich hinter Scala und verfasste 1898 die polemische Schrift „Das Scala-Theater in Wien“. Sie zeichnet ein Sittenbild auf die Museumspolitik des Hauses vor und nach Scalas Dienstantritt:

Vorspiel
Spielt in der VOR-Scala-periode / Vestibül des Österreichischen Museums

Besucher: Kann ich den herrn direktor sprechen?
Diener: Nein, der herr direktor kommt erst so um zwölfe.
Besucher: Und wann geht er denn wieder fort?
Diener: Auch … so um zwölfe.
(Auszug aus: Adolf Loos, Das Scala-Theater in Wien, 5. November 1898, in: Die Wage, 1898, Heft 45, S. 749).

Scala stellte das Haus auf den Kopf: Quasi als Entree seiner Direktion kam es 1898 zur Ablöse der kleinformatigen Hauszeitschrift Mittheilungen des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie durch das mondän wirkende Kunst und Kunsthandwerk. Als Autoren gewann er unter anderem das literarische Sprachrohr der Secession Ludwig Hevesi.

In der Direktionszeit Arthur von Scalas (1897–1909) kam es durch die Bestellung von jungen und kreativen Kräften wie Josef Hoffmann, Kolo Moser, Felician Myrbach, Alfred Roller oder Arthur Strasser als Professoren an der Kunstgewerbeschule zu einer Neuorientierung des Hauses und somit auch zu einer Reorganisation im Bereich der Schulpläne. In der Kuratoriumssitzung vom 30. Jänner 1899 stärkte Otto Wagner in einer Brandrede vor dem Kuratorium Scala den Rücken: „Das Gewerbe schreit nach Brot, nach nahrhafter, lebenserhaltender Speise und will sich nicht mit schwer verdaulichen Steinen, wie sie Tradition, Archäologie und Wissenschaft bieten, den Magen verderben […] Was dem Institute Noththut, „Warum es verschweigen?“ ist eben Kunst, Wirkliche Kunst, Moderne Kunst“ (in: MAK Aktenarchiv 1899-252).

Im Jahr 1900 wurde im Museum ein Zeichenatelier installiert: „mit lebhafter Freude wurde auch die Errichtung eines Zeichenbureaus am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie begrüsst, welches die gewerblichen Lehranstalten fortlaufend mit neuen Vorbildern für den Unterrichtsgebrauch […]versieht und dadurch den Schulen die Möglichkeit bietet, neben ihrer Lehrthätigkeit wichtigste Aufgabe, die directe Einflussnahme auf locale Bewerbetreibende, viel wirksamer als bisher und auf breiter Basis zu gestalten“, schrieb der Senior der Fachschulinspektoren, Director Rosmael in: Kunst und Kunsthandwerk, Heft 4, 1901, S. 199.

In diesem Zeichenbüro wurden Entwürfe angefertigt, die die Schüler der Fachschulen umsetzen sollten. Einer dieser Entwürfe war die Neugestaltung der Direktion in den Räumlichkeiten des heutigen Kaminzimmers. Vermutlich im Winter 1902 bezog Arthur von Scala seine neue Räumlichkeit: ein Gesamtkunstwerk, in dem Harmonie und Modernität kongenial aufeinandertreffen.

Kaminzimmer, 2012, ©Katrin Wißkirchen/MAK

Die Innenausstattung wurde nach Entwürfen des Architekten Rudolf Hammel in den Jahren 1901–1902 ausgeführt. Schreibtisch, Schreibpult, Lambris, Kästen und Kamine, wurden von ihm im – von Arthur von Scala bevorzugten – „englischen Stil“ entworfen. Scala selbst überwachte den Baufortschritt. Für die Ausführung wurden dem Museum nur die Material- und Frachtkosten verrechnet, die Fachschulen mussten ihre Arbeitskraft unentgeltlich zur Verfügung stellen.

Türschnalle zum Kaminzimmer, Zustand 2021 © Georg Mayer/MAK

Als zentrales gestalterisches Element galt es den sechsteiligen Bilder-Zyklus des Decius Mus, eine Kopie nach Ölgemälden von Peter Paul Rubens, in das Raumensemble einzufügen. Der Zyklus, den der Porzellanmaler Leopold Lieb 1815/16 in der Sammlung Liechtenstein kopierte, beschreibt die letzten Tage des römischen Konsuls und Soldaten Publius Decius Mus, der in der Schlacht der Römer gegen die Latiner seinen Tod durch Selbstopferung findet.

Leopold Lieb nach Peter Paul Rubens, Der Tod des Decius Mus in der Schlacht, 1815
© Georg Mayer/MAK

Lieb bekam für seinen Eifer eine zweimalige Gratifikation zu je 500 Gulden von der Porzellanmanufaktur zugesprochen. Der Zyklus kam 1866 im Zuge des Nachlasses der k. k. Porzellanmanufaktur Wien an das Museum.

Die Herstellung der Lambris mit den kleinen Ablageschränkchen und den zwei Glasvitrinen in Mahagoni wurde an die k. k. Fachschule für Holzbearbeitung in Bozen herangetragen. Ein halb elliptischer, mit Mahagoni verkleideter Raumteiler sorgte für eine optische Unterteilung des Zimmers.

Die unterschiedlichen Rot-Töne verleihen dem Raum Wärme und akzentuieren das kräftige Farbenspektrum des Bilderzyklus. Der vordere Teil dieses Raum-Ensembles wurde im April 1901 im Zuge der „Ausstellung von Arbeiten der k. k. kunstgewerblichen Fachschulen“ präsentiert. Leiter der künstlerischen Ausstattung war der spätere Architekt des MAK-Gebäudes in der Weiskirchnerstraße Ludwig Baumann.

Angerer & Göschl, Büroeinrichtung der Fachschule Bozen, in: Kunst und Kunsthandwerk, Heft 5, 1901, S. 239

Mit der Herstellung der Büromöbel wurde die Fachschule für Holzbearbeitung in Grulich (heute Králíky in Tschechien) betraut. Ein aufwendig gestalteter Schreibtisch aus Eichenholz mit Mahagoni- und Pappelfurnier, zehn Schubladen mit herzförmigen Messingbeschläge und an den Enden einklappbar, rundete das Gesamkunstwerk Kaminzimmer ab.

Angerer & Göschl: Schreibsekretär der Fachschule Grulich, in: Kunst und Kunsthandwerk, Heft 5, 1901, S. 237

Der Schreibtisch zierte zumindest bis 1933 den Raum. Das dazu passende Schreibpult mit gedrechselten Säulen ist bis heute im Vortragssaal als Rednerpult in Verwendung. Es wurde im Februar 1903 inventarisiert und vermutlich von der k. k. Fachschule für Holzindustrie in Bergreichenstein (heute Kašperské Hory in Tschechien) hergestellt.

Für physische Wärme sorgte ein weißglasierter Kachelofen mit dezenter vegetabiler Musterung im Bereich des Lüftungsschlitzes, der von der k. k. Fachschule für Tonindustrie in Bechyň angefertigt wurde.

Wilhelm Gmeiner: Majolika-Ofen der k.k Fachschule Bechyn, 1901
©MAK

Der erste Brand allerdings misslang und der Leiter der Fachschule Prof. Alois Porges sah sich gezwungen Scala zu berichten: „Die ursprünglich weissliche Emailglasur ist zwar recht gut gelungen, aber Theile der Kacheln hat durch Reduktionsfeuer derart gelitten, dass dieselben schwärzlich grau geworden sind und können dieselben der Einheitlichkeit wegen durch neue nicht ersetzt werden“ (in: MAK Aktenarchiv 1901-312).

Scala aber insistierte und bestand auf weiße Kacheln, damit der Kachelofen in Form und Farbe den perfekten Einklang mit der Büroeinrichtung herstellte, und schrieb: „Da es mir daran liegt den bewussten Camin, der ja ein permanentes Ausstellungsstück Ihrer Schule bei uns bilden wird, in Form und Farbe übereinstimmen mit meinem Bureau Mobiliar zu haben, bitte ich das Object in der ursprünglich bestimmten Farbe auszuführen“ (in: MAK Aktenarchiv, 1901-317).

Der Ofen wurde unter der Fachaufsicht des Werkmeisters Franz Lenner ausgeführt, im September 1901 montiert und erstmals anlässlich der Winterausstellung 1901 / 02 der Öffentlichkeit präsentiert. Im MAK ist neben dem Original ein kleineres Modell des Ofens in grüner Farbe erhalten, das als Anschauungsobjekt für Scala diente. Das Kaminbesteck ist im Bild gut zu erkennen und wurde von der Bromsgrove Guild of Applied Arts, die auch für die Gestaltung der Gitter rund um den Buckingham Palace verantwortlich zeichnen, designt.

Die Geschichte um das Kaminzimmer bleibt spannend. Es gilt mehr Informationen über den zweiten im rückwärtigen Raum aufgestellten kannelierten Kamin zu recherchieren und die Inventare nach weiteren ehemaligen Einrichtungsgegenständen zu durchforsten.

Anonym, um 1910

Heute wird das Kaminzimmer als Repräsentations- und Sitzungsraum genutzt: Ein langer Tisch von Claudia Cavallar ist mit einem Set von zeitgenössischen Armlehnsesseln von Hermann Czech bestuhlt. Czech nahm beim Design Anleihen an der historischen Produktionsgeschichte der Firma Thonet mit ihren unter Dampf gebogenen Holzstäben. Der Vorraum ist mit den Sitzmöbeln Le Corbusier LC2 (nach einem Corbusier Entwurf aus dem Jahr 1928) der Firma Cassina und Glastischen von Heimo Zobernig eingerichtet. An den Wänden hängende Bilder und Entwürfe von Vito Acconci, Heinrich Dunst, Peter Noever und Kiki Smith spannen den Bogen in die Gegenwart.

Ein Beitrag von Peter Klinger, stellvertretender Leiter der MAK-Bibliothek- und Kunstblättersammlung

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