Das Raster als Mythos der Moderne: Jenni Tischer im Gespräch mit Bärbel Vischer zu ihrem Werk in der Ausstellung „SCHINDLER HOUSE LOS ANGELES“

9. Juni 2022

Insights

Anlässlich der MAK-Ausstellung SCHINDLER HOUSE LOS ANGELES. Raum als Medium der Kunst vertiefen die in Wien lebende Künstlerin Jenni Tischer und Kuratorin Bärbel Vischer in einem Gespräch die Idee und das Konzept der 2019 entstandenen Arbeit Perceptual Screen (Schindler’s Terrace, 4800 Hollywood Blvd., L.A.). Das Werk ist Teil der Ausstellung, die Rudolph M. Schindlers Architektursprache und Diskurse zu Raum, Form und Abstraktion skizziert. Der Titel der Ausstellung „Raum als Medium der Kunst“ nimmt ein Zitat Schindlers auf, das seinen spezifischen Zugang zu Architektur beschreibt, und öffnet den Raum für Künstler*innen. Teilnehmer*innen des MAK-Schindler-Stipendiat*innenprogramms und künstlerische Positionen, die in die Ausstellungsgeschichte des Hauses eingeschrieben sind, entwickeln konkrete und assoziative Erzählungen.

MAK-Ausstellungsansicht, 2022
SCHINDLER HOUSE LOS ANGELES. Raum als Medium der Kunst
Jenni Tischer, Perceptual Screen, Schindler’s Terrace, 4800 Hollywood Blvd, L.A., 2019
MAK DIREKTION
© MAK/Georg Mayer

Bärbel Vischer:
Das Wohnhaus des 1914 emigrierten österreichisch-amerikanischen Architekten Rudolph M. Schindler, der die Moderne in Kalifornien mit experimentellen Architekturprojekten prägte, ist das öffentliche Zentrum der MAK-Schindler-Initiative und des MAK Center for Art and Architecture. Im Rahmen des Schindler-Stipendiums hast du sechs Monate in den Pearl M. Mackey Apartments (R.M. Schindler, 1939) in Los Angeles gearbeitet und mit deinem in der Wiener Ausstellung in-situ präsentierten Werk Perceptual Screen (Schindler’s Terrace, 4800 Hollywood Blvd., L.A.) (2019) eine mehrteilige Installation entwickelt, die verschiedene Fäden aufnimmt.

Jenni Tischer:
In Perceptual Screen fungiert ein Modul der „Schindler Terrasse“ als Bezugspunkt für meine kritische sozio-strukturelle Analyse und Auseinandersetzung mit dem Raster als Mythos der Moderne. Den quadratischen, in Rastern angeordneten Betonfliesen sind die Vision einer universellen Formensprache und das Prinzip der Unendlichkeit ebenso inhärent, wie eine utopische Vision einer klassenlosen Gesellschaft. Die offene modular und ortsspezifisch angelegte Architektur von Rudolph M. Schindler beschreibt einen für alle zugänglichen öffentlichen Raum.

Der österreichisch-amerikanische Architekt R.M. Schindler realisierte 1925 die „Schindler Terrasse“ zusammen mit dem Architekten Richard Neutra im Auftrag der Mäzenin und Öl-Erbin Aline Barnsdall am südlich-östlichen Hang des damals neu und aufwendig gestalteten „Art Barnsdall Park“ in East Hollywood. Berühmt wurde dieser insbesondere durch die Architektur von Frank Lloyd Wright, die sich durch die Lieblingsblume der Auftraggeberin, der Hollyhock (Stockrose) und ihren Bezug zu deren Ornamenten auszeichnet, und durch ein für damalige Zeiten aufwendiges Gesamtkonzept. Es zielte darauf ab, die Öffentlichkeit durch Theater, Kunstprojekte und frei zugängliche öffentliche Parks zu involvieren. Schindler arbeitete in Wrights Architekturbüro und beaufsichtigte in dessen Auftrag die Arbeiten am Art Barnsdall Park.

Bei meinem ersten Besuch auf dem Olive Hill, einem berühmten Drehort für Hollywood und Netflix fiel mir die am Rande der Wiese von einem Metallzaun abgeschirmte und sich in ruinösem Zustand befindliche Schindler-Terrasse auf. Mich hat die Ruine mit ihren quadratischen Betonelementen irritiert und erst später erfuhr ich durch meine Recherche, dass es sich dabei um ein historisches Bauwerk von Schindler handelte: „Once, the terrace had a pergola above a children’s wading pool on its north end, and a crescent bench with a central fountain on the south.“ Die ebenfalls in einem Raster angelegte Stadt Los Angeles, auf die man von der Terrasse einen weiten Ausblick hat, findet sich in seiner Struktur in der gerasterten Terrasse wieder. Jedoch in einer stark abstrahierten Form, in einer Struktur, die sich durch Linien erschließt, wiederholt, immer gleich Flächen definiert, die nichts darstellen, nichts präsentieren oder repräsentieren. Die Terrasse bildet(e) einen Raum für soziale Aktivitäten, eine Bühne für Begegnungen fern jeder Konsumlogik. War dies der Anspruch? Die Idee und das Versprechen?

R.M. Schindler (mit Richard Neutra)
Schindler Terrace, Los Angeles 1925
Auftraggeber*in: Aline Barnsdall
© Jenni Tischer

Im Gegensatz zum Hollyhock House, scheint die Terrasse keinen subjektiven Bezug herstellen zu wollen – und repräsentiert damit auch keinen Eigentumsanspruch –, sondern adressiert im Gegenteil eine (abstrakte) Öffentlichkeit, die potentiell jede*n einschließt. Dies resoniert mit der Utopie der Moderne verbundenen Gleichheitsansprüchen, die teils gewaltvoll in unserer Gegenwart und Vergangenheit implementiert wurden und signifikante historische Gegebenheiten außer Acht ließen. Ich frage mich, wessen Boden hier unter den (nun von Pflanzen aufgesprengten) gleichförmigen Linien liegt, weit zurückblickend in die Gründungsgeschichte, lange bevor Los Angeles existierte. Könnten in und um das Pool für die Kinder von LA, diese unausgesprochenen, nicht dokumentierten, jedoch stets lebendigen und strukturell präsenten, in das Land eingeschriebenen Geschichten im (Be-) Spielen, erzählt werden?

Elizabeth A. T. Smith beschreibt in ihrem Essay Schindler’s contributions to and extensions of modernism away from an international style orthodoxy and towards a sensibility of experimentalism and hybridization (2001), wie Rudolph M. Schindlers Architektur sich in seiner besonderen Bezugnahme auf die spezifischen Bedürfnisse der Auftraggeber*innen und der Gegebenheiten des Ortes formuliert. Oder wie Esther McCoy es in Ihrem Essay Schindler, Space Architect von 1945 benannte: „Who else had that respect for the land, its moods and dignity? Who else had listened to it? Who else had let the land dictate the house, rather than imposing the house on the land? Wright, yes. Who else? Very few.“

R.M. Schindler (mit Richard Neutra)
Schindler Terrace, Los Angeles 1925
Auftraggeber*in: Aline Barnsdall
© Jenni Tischer

Bärbel Vischer:
Deine Installation nimmt das Spannungsfeld von Innen und Außen, Schindlers konzeptuelles Denken zum Ausgangspunkt. Gleichzeitig übersetzt du die Interpretation des öffentlichen Raums in die Gegenwart und zeichnest das serielle Raster in seiner Bewegung. Die Verknüpfung mit der als Raster angelegten Metropole spiegelt sich in der Zusammenarbeit mit dem Künstler Rand Sevilla aus Los Angeles wider, mit dem du ein Step and Repeat-Banner – wie sie für Foto-Shootings und Red Carpet Events verwendet werden – als Teil der Installation entworfen hast. Das Motiv der Stockrose und Logos, die mit dem Barnsdall Park assoziiert werden, werden im Verlauf der textilen Bildfläche als Pixel aufgefächert.

Der Titel deiner Arbeit Perceptual Screen bezieht sich auf den Text Grids (1997) der Kunstkritikerin Rosalind Krauss, die das Raster als ein Feld beschrieb, das zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit vermittelt. Das ortagonale Muster interpretiert sie als Grundmuster für die Entwicklung der modernen Kunst. Schindler interpretierte den Raum – sprich die Architektur – als Medium der Kunst. Dieses Motiv des Rasters nimmst du als Muster in Paneele auf, die wiederum als Module zusammengesetzt, eine Tafel ergeben, die von Schriften überzogen ist. Das lässt mich an das Gedicht Sprachgitter (1957) von Paul Celan denken, der hier die Ambivalenz des Gitters als Kommunikationsmedium nachbildet. Verbunden wird das Bildkonzept deiner Arbeit durch ein abstraktes Geflecht aus Kupferdrähten, aufgespannt durch Kupfernägel, die eine geometrische Linienführung erzeugen. Die einzelnen Paneele der Tafel hast du mit bedruckten sowie Vintage-Stoffen überzogen. Textil ist ein Medium, das Kleidung, Plastik und Architektur verbindet, wie von Gottfried Semper in Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten. oder PRAKTISCHE ÄSTHETIK. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (1860) analysiert.

Jenni Tischer:
Ja, die Frage die sich gegenwärtig bezüglich der Konzeption von öffentlichem und privatem Raum stellt ist vielschichtig und natürlich omnipräsent in Los Angeles mit seinen vielen eingezäunten Grundstücken und Gated Communities. Daher ist der Art Barnsdall Park aufgrund seiner Geschichte, mit seiner ursprünglichen Idee eines für alle zugänglichen Ortes der Freizeit und Kultur in den 1920er Jahren, besonders interessant. Kulturelles Eigentum, Denkmalschutz, Historisierung, Event- und Drehorte, nicht zugängliche, private Bereiche – wie derzeit die ruinöse Schindler Terrasse – und Besitzverhältnisse, die sich durch Logos und Branding definieren, zeichnen diesen Ort aus.

Das Step and Repeat-Banner nimmt einige dieser Zeichen des Brandings in meiner Arbeit auf, wie auch das Logo des MAK – Museum für angewandte Kunst – welches mir das Stipendium in Los Angeles ermöglichte –, die Stockrose (Hollyhock House von Frank Lloyd Wright) und das B von Aline Barnsdall, die den Art Barnsdall Park finanzierte.

Zusammen mit Rand Sevilla habe ich die Bewegung nachgezeichnet und reflektiert, die sich zwischen den Polen des Konkreten (Branding, Besitz, Kommodifizierung) und dem Abstrakten (Ornament, Raster, Pixel) vollzieht, denn sie sind nicht voneinander zu trennen und nur in Verbindung und Beziehung zueinander zu denken. So kann man die Auflösung vom gegenständlichen Motiv in das Pixel-Raster, welches sich mit dem gewebten Raster des Textils verbindet verstehen. In diesem Bereich zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten findet ja die Kunst statt und auch dort ist sie grundsätzlich immer in den Prozess der Kommodifizierung eingebunden und kann sich dazu verhalten.

In Bezug auf die Schindler-Terrasse klingt das sicher erstmal sehr abstrakt, und das ist es auch, aber eben nicht wie man das oft missversteht, als abgehobenes Gedankenkonstrukt, welches sich über die Bedürfnisse und Begebenheiten des Ortes und seiner Besucher*innen erhebt, sondern als Vorschlag, wie sich eine Idee des sozialen Miteinanders mit dem Ort verbinden kann. Darin sehe ich auch die Einzigartigkeit des Schindler Hauses, mit seinen Schlafkojen, die wie Zelte auf dem Dach thronen, mit der zurückhaltenden modularen Architektur, die sich zum Außenbereich hin öffnet und sich dadurch in Relation zum Ort erst konstituiert. Das Textile spielt daher auch eine Rolle in meiner Arbeit, da es einerseits für das nomadische, flexible und improvisierte steht, aber auch für das repräsentative, verhüllende und (ver-)kleidende, und somit für das Private als auch den öffentlichen Bereich relevant ist. Auf meinen vielen Streiftouren durch die Thrift Stores in Los Angeles und entlang der Küste in kleineren Orten, habe ich viele Stoffe und Stoffreste gefunden und war natürlich besonders von dem gerasterten mit silbernen Metallfäden durchzogenen Vintagestoff angetan.

 

Bärbel Vischer:
Die Bewegung und Spannung zwischen Abstrakt und Konkret, die du in deiner Arbeit generierst, zieht sich als Metapher durch die Ausstellung und verbindet die Werke der Künstler*innen in zwei unterschiedlich temperierten Räumen. Gemeinsam mit Dorit Margreiter, Gordon Matta-Clark, Florian Pumhösl, Stephen Prina und Vincent Fecteau beleuchtest du Aspekte der Neukontextualisierung des Objekts, des Fragments und die abstrakte Form. Die Frage der Repräsentation wird in diesen abstrakten und assoziativen Werken ebenso behandelt, während die auf den ersten Blick konkreten, beschreibenden, gegenständlich-repräsentativen Beiträge von Sasha Pirker und Candida Höfer durch narrative Handlungsräume als Subtext zur Architektur Schindlers aufgeladen werden.

Ein Gespräch von Jenni Tischer, Künstlerin, und Bärbel Vischer, Kustodin MAK Sammlung Gegenwartskunst

Die Ausstellung SCHINDLER HOUSE LOS ANGELES. Raum als Medium der Kunst ist noch bis zum 31. Juli 2022 in der MAK DIREKTION und im MAK-Kunstblättersaal zu sehen.

 

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