Das Tor zum Ring

12. November 2021

Forschung & Sammlung

Als das MAK – Museum für angewandte Kunst Anfang der 1990er Jahre nach einer Generalsanierung mit einem musealen Gesamtkonzept, das zeitgenössische Kunst und Architektur in den Kontext der MAK-Sammlung stellte, wiedereröffnete, sendete das Museum ein Signal in die Stadt und die österreichische wie internationale Kunstszene. Anhand der Intervention Tor zum Ring (1992) zeigt Bärbel Vischer, Kustodin der MAK-Sammlung Gegenwartskunst, für die MAK-Blogserie zum Jubiläum 150 Jahre MAK-Gebäude am Stubenring beispielhaft die Auseinandersetzung des Museums mit zeitgenössischen Strömungen auf.

James Wines / SITE, Tor zum Ring

James Wines / SITE, Tor zum Ring, 1992
© Gerald Zugmann/MAK

In der Wiener Museumslandschaft war das MAK, ehemals k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie, Teil eines großen kulturpolitischen Engagements, das die Kunst der Gegenwart und ihre Institutionen in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft stellte und für Generationen prägte. Das Konzept des Museums als Experiment und Plattform für kritischen Diskurs wurde durch die Intervention Tor zum Ring (1992) von James Wines/SITE als Zeichen im öffentlichen Raum sichtbar gemacht. Die Besucher*innen treffen unmittelbar an der Wiener Ringstraße auf ein Fragment der  Fassade des unter Denkmalschutz stehenden Hauses. Das Tor zum Ring wurde zum Treffpunkt, hier kamen wir als Student*innen zusammen, angezogen von der damals mit Interventionen der Künstler*innen und Architekt*innen Barbara Bloom, Eichinger oder Knechtl, Günther Förg, GANGART, Franz Graf, Jenny Holzer, Donald Judd, Manfred Wakolbinger und Heimo Zobernig neuen  permanenten MAK-Schausammlung.

An markanter Stelle öffnet sich das Museum mit einem Symbol nach außen, die Mauern des Backsteinbaus im historistischen Renaissancestil sind durchbrochen. Geplant wurde die Intervention ursprünglich auch in ihrer Doppelfunktion als Zugang zum ehemaligen Buchgeschäft für Kunst und Architektur. Mit dem Tor zum Ring reagierten der amerikanische Architekt James Wines (* 1932) und das multidisziplinäre Studio SITE, das er 1970 in New York als Sculpture in the Environment mitbegründete, auf die Öffnung des Museums und seinen gesellschaftspolitischen Auftrag sowie das spannungsreiche Verhältnis von Kunst und Architektur, das zu einem immanenten Thema des MAK wurde.

Das MAK bespielt mit Interventionen, Installationen und Skulpturen, an mehreren Stellen den öffentlichen Raum und setzt damit sichtbare Zeichen im städtischen Gefüge. Oftmals sind diese Werke ursprünglich im Rahmen von Ausstellungen entstanden, wie zum Beispiel die Installation Stage Set (1991) von Donald Judd im Stadtpark, oder der Skyspace The other Horizon (1998/2004) von James Turrell im Garten des Geymüllerschlössels.

Stage Set Donald Judd

MAK im öffentlichen Raum
Donald Judd, Stage Set, 1996
Stadtpark, Wien 3
© Gerald Zugmann/MAK

Das Tor zum Ring von James Wines/SITE liest sich als ein präzises Segment aus unterschiedlichen Materialien, Oberflächen und Strukturen der Außenmauer und Innenmauer des Museums, nimmt den urbanen Raum ein und schafft dabei einen neuen Zugang in das Haus am Stubenring. Als Gegenstück dazu bildet Walter Pichlers künstlerische Intervention Tor zum Garten (1990) eine Öffnung des Museums in den Garten, an den auch die Universität für angewandte Kunst angrenzt.

Walter Pichler, Tor zum Garten

Walter Pichler, Tor zum Garten, 1990
© Gerald Zugmann/MAK

Interessiert an öffentlicher Kunst und kommunikativer Architektur realisierten James Wines/SITE Projekte in Einkaufszentren, thematisierten die Bildung von Gemeinschaft im urbanen Raum und beleuchteten Architektur als Spiegel sozialer Probleme. Das Tor zum Ring von 1992 versteht sich als Eingriff und Verschiebung. Wines/SITE transferierten akribisch ein Element der Fassade und einen Teil des Innenraumes des Museums auf den Bürgersteig. Das Tor fungiert einerseits als Monument, das die Geschichte des Hauses an der Wiener Ringstraße reflektiert und andererseits als Einladung, sich auf zukunftsweisende Ideen und Konzepte des Museums einzulassen.

Schnitte und Verschiebungen von Räumen und Gebäuden stehen auch im Fokus der architektonisch-künstlerischen Projekte von Gordon Matta-Clark und Vito Acconci, die in der MAK-Sammlung vertreten sind. Matta-Clark, der Architektur prozessorientiert und als skulpturale Form interpretierte, schnitt in seinen Arbeiten Building Cuts (1972–78) radikal durch Gebäude und entfernte daraus Teile. In seiner MAK-Ausstellung The City Inside Us (1993) ließ Acconci die Glasdecke der großen Ausstellungshalle nachbauen, in Schräglage kippen und für Besucher*innen begehbar machen. Neben Matta-Clark und Acconci standen James Wines/SITE auch mit Künstler*innen wie Nancy Holt, Robert Smithson oder den Architekten Robert Venturi, COOP HIMMELB(L)AU und Antifarm im Austausch.

 

Das Symbol – das Mauersegment – von James Wines/SITE wird zu einem inneren Bild, das mit kollektiven Bildern der 1970er–1990er Jahre in Verbindung steht. Das 1979 veröffentlichte Album The Wall von Pink Floyd stellte mit dem Lied Another Brick in the Wall die Autorität und Hierarchie in Bildung und Erziehung in Frage. Der Fall der Berliner Mauer 1989 und der Zerfall der Sowjetunion, eines globalen politischen Machtsystems, prägten die Zeit der 1990er Jahre in Wien und Europa. Die Intervention von James Wines/SITE ist gleichzeitig ein Schnitt, ein Zeitschnitt. Die Institution Museum bleibt ein Ort permanenter Verschiebung und Veränderung.

Ein Beitrag von Bärbel Vischer, Kustodin MAK-Sammlung Gegenwartskunst

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