DER KUNST- UND KABINETTSCHRANK VON DAVID ROENTGEN: RESTAURIERUNG VON UHR- UND SPIELWERK

11. Oktober 2021

Forschung & Sammlung

Im neunten Beitrag der Serie über den Kunst- und Kabinettschrank von David Roentgen gibt der Uhrenrestaurator Nils Unger Einblick in die Konstruktion sowie die Restaurierung von Uhr- und Spielwerk des Kunst- und Kabinettschranks. Ein Beitrag für Uhrenspezialist*innen und die, die es vielleicht noch werden wollen.

Als Antrieb der im Schrank verbauten Uhr und des einzigartigen „Musikautomaten“ verbergen sich im oberen Teil des Möbels präzise, aus Messing und Stahl gefertigte mechanische Werke. Zu Beginn der Restaurierungsarbeiten an den Mechanikkomponenten wurden diese von mir in sehr unterschiedlichen Zuständen vorgefunden. Das Uhrwerk war bereits vom ehemals im MAK tätigen und inzwischen pensionierten Uhrmacher Walter Frühwirth zerlegt, gereinigt und für eine Inbetriebnahme geschmiert worden. Das Flöten- und Zymbalspielwerk hingegen waren zwar schon teilweise zerlegt, aber noch unrestauriert. Bevor auf die Restaurierungsarbeiten eingegangen wird, sollen die konstruktiven Merkmale von Uhr- und Spielwerk Erwähnung finden.

 

Nur für technisch Versierte! Aufbau des Geh- und Stundenschlagwerks

Das Uhrwerk verfügt über Geh- und Stundenschlagwerk: Beide Räderketten werden zwischen Vollplatinen aus Messing gelagert, die von vier profilierten Pfeilern gehalten werden. Der Antrieb erfolgt über Seilzüge und Gewichte mit losen Rollen. Das Gehwerk weist eine wahrscheinlich nur in der Werkstatt des Neuwieder Uhrmachers Peter Kinzing (1745–1816) verwendete Modifikation der Amant-Hemmung auf, bei der statt einer langen Ankerschere ein kleiner, massiver Anker aus Stahl in das Hemmrad mit 15 halbierten Stiften aus Messing greift. Dabei kann die Hemmung als ruhend bezeichnet werden, auch wenn es keine klare Abgrenzung zwischen Ruhe- und Hebefläche an den beiden Ankerklauen gibt. Das dem Hemmrad folgende Sekundenrad dreht sich in der gleichen Achsflucht wie das Minutenrad, so dass die Uhr auf dem Zifferblatt − neben der Anzeige der Stunden, Minuten und des Datums − über eine aus dem Zentrum indizierte Sekunde verfügt. Diese schreitet aufgrund des kurzen, an Faden aufgehängten Pendels in Halbsekunden voran.

Kunst- und Kabinettschrank von David Roentgen

Rekonstruktion der ursprünglichen Position von Hämmern und Klaves
© Nils Unger

Das Stundeschlagwerk ist als Rechenschlagwerk mit Warnung vor der Schlagwerksauslösung konstruiert, bei dem der Rechen auf eine fest mit dem Stundenrohr verbundene Staffel fällt. Der Stundenschlag erfolgt mittels eines gefederten Hammers aus Stahl auf eine große, polierte Glocke aus Weißbronze. Das ist eher ungewöhnlich für die Bodenstanduhren und großen Kabinettschränke mit Musikspielwerken aus dieser Periode der Kinzingwerkstatt, welche immer über ein Viertelstundenschlagwerk verfügen. Die automatische Auslösung des Spielwerks erfolgt wie auch die Auslösung des Stundenschlags vom Wechselrad des Zeigerwerks her, ist jedoch nicht unmittelbar mit dem Stundenschlagwerk gekoppelt. Diese Konstruktion ermöglicht es, über zwei Hebel, deren Enden durch die Zifferblattplatine reichen und deren gegenüberliegende Seiten die schwingend gelagerten Auslösehebel für Stundenschlagwerk und Spielwerk außer Eingriff zu nehmen und somit separat an- beziehungsweise abzuschalten.

Konstruktion des Antriebsmechanismus

Der Antriebsmechanismus des Spielwerks ist ähnlich dem Stundenschlagwerk konstruiert. Das mit einer Seiltrommel für Gewichtsantrieb mittels loser Rolle verbundene Antriebsrad treibt eine Räderkette aus drei Rädern an. Deren drittes Rad greift in das Trieb – so nennt man in Uhrwerken das kleinere von zwei Zahnrädern in einem Zahnradgetriebe – eines Windfangs ein, der außerhalb der massiven, von vier profilierten Pfeilern gehaltenen Messingplatinen gelagert ist. Anders als der Windfang des Stundenschlagwerks verfügt diese groß dimensionierte Luftwiderstandsbremse über zwei verdrehbare Lamellen, über deren Stellung die Laufgeschwindigkeit des Räderwerks und somit die Geschwindigkeit der Musik beeinflusst werden kann. Das Antriebsrad des Spielwerks überträgt seine Drehbewegung indirekt an ein großes, axial beweglich gelagertes Zahnrad, welches über einen Mitnahmestift mit der großen, aus Messing gefertigten Stiftwalze verbunden ist. Dieses aus 1,3 Zentimeter dickem Messing gefertigte Zahnrad samt seiner fast über die gesamte Breite geführten Welle ist axial beweglich. Das rührt daher, dass über ein Scheiben- und Hebelsystem vom Bogenfeld des Zifferblattes her die Achse in vier unterschiedlichen Positionen arretiert werden kann, um die in vier Spuren gespeicherten Musikstücke auf dem Umfang der Walze auf Hämmer und Ventile zu übertragen. Das diesem Walzenrad gegenüberliegende Lagerband ist mittels eines Bajonettverschlusses und eines Scharniers zu öffnen, wodurch die Stiftwalze entnommen werden kann. Eine auf der Stirnseite gravierte, arabische Drei lässt mehrere Walzen vermuten. Tatsächlich sind zwei weitere, mit höchster Wahrscheinlichkeit zu diesem Spielwerk gehörige Stiftwalzen im Bestand des Technischen Museums Wien aufgetaucht. Während des Spiels greift eines der nach dem Walzenrad geschalteten Räder in ein weiteres Trieb ein. Die dadurch über die gesamte Breite des Werkes geführte Welle dreht an einem anderen Ende eine Pleuelscheibe, die wiederum über Pleuelstangen und Winkel für eine alternierende Auf- und Abbewegung der beiden sogenannten Schöpfbälge sorgt. Diese aus Holz und Leder aufgebauten Bälge versorgen das über dem Rädermechanismus angeordnete Orgelwerk mit der nötigen Luft.

Was das Innenleben erzählt

Ausführung und technische Lösungen ordnen Uhr- und Spielwerk eindeutig der Kinzing-Werkstatt zu, obwohl auf keinem Bauteil eine Signatur vorhanden ist. Die in Bodenstanduhren und Kabinettschränke verbauten Mechaniken haben oft nahezu identische technische Anforderungen und die dazu notwendigen Lösungen, sind jedoch bei jedem Produkt ganz individuell konstruiert und zusammengesetzt. Ebenfalls typisch sind Umkonstruktionen, die sich oft durch wieder verschlossene Löcher in den damals sehr teuren Messingplatten ausmachen lassen. Auch im vorliegenden Beispiel finden sich derartige Umkonstruktionen, so an einem der Walzenradlager und auf einer der Platinen des Spielwerks.

 

Zur Restaurierung

Für die Restaurierung ist das Spielwerk in seine Einzelkomponenten zerlegt worden. Durch gealterte Schmiermittel, unsachgemäße Reparatureingriffe und zahlreiche Fingerabdrücke waren die Messingoberflächen bereits in Mitleidenschaft gezogen. Auf den aus Stahl gefertigten Komponenten fand sich teils fortgeschrittene Eisenkorrosion. Diese wurde mechanisch mit Skalpell und Stahlwolle  reduziert beziehungsweise entfernt. Die Oxidationen konnten mit Ethylendiamintetraessigsäure in leicht basischer Lösung reduziert werden. Die während früherer Eingriffe durcheinander geratenen Hämmer und Klaves wurden anhand historischer Markierung wieder in ihre richtige Reihenfolge gebracht. Um eine Spielbarkeit des Werkes zu Dokumentationszwecken gewährleisten zu können, mussten einige der Hämmer und Klaves neu justiert werden.

 

Video- und Tonaufnahmen als Beitrag zur langfristigen Erhaltung

Der ursprüngliche Plan sah vor, das Spielwerk dauerhaft zu betreiben. Während des Restaurierungsprozesses kristallisierte sich jedoch immer klarer heraus, dass das konservatorisch nicht ratsam ist. Bei jeder Inbetriebnahme geht durch den Abrieb zwischen den Metallkomponenten Material verloren. Mit der Zeit würde es zu starken Abnutzungserscheinungen kommen. Um trotzdem ein breites Publikum in den Genuss des Musikautomaten kommen zu lassen, wurden nach erfolgter Restaurierung Video- und Tonaufnahmen angefertigt.

Ein Beitrag von Nils Unger, Uhrenrestaurator

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