Die Khevenhüller-Chronik – eine berühmte Familienchronik des 17. Jahrhunderts

20. Mai 2022

Insights

Die Khevenhüller-Chronik ist eine einzigartige Familienchronik der seit Mitte des 14. Jahrhunderts in Kärnten nachweisbaren und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in den Adel aufgestiegenen Familie Khevenhüller. Im Rahmen der heute, 20. Mai, stattfindenden Langen Nacht der Forschung 2022 gibt das MAK einen detaillierten Einblick in die Khevenhüller-Chronik, die derzeit Inhalt eines der spannendsten Restaurierungsprojekte des MAK der vergangenen Jahre ist. Beate Murr, Restauratorin im MAK, stellt das herausragende Werk der MAK Sammlung für den MAK Blog vor.

Die Chronik beinhaltet sehr genaue topografische Darstellungen Kärntens (Abb. 1) und einiger anderer Regionen um 1620, dazu im Vordergrund jeweils Porträtdarstellungen tatsächlich existierender und fiktiver Mitglieder der Khevenhüller-Familie in aufwendiger Kleidung. (Abb. 2) Als Vorlage für historische Figuren dienten unter anderem das kurz vorher vollendete Grabmal Kaiser Maximilians I in der Innsbrucker Hofkirche, aber auch Gemälde z.B. aus der Ahnengalerie auf Hochosterwitz, einem der Stammsitze der Khevenhüller.

 

Um 1620, zirka fünf Jahre vor Entstehung der Khevenhüller-Chronik, schrieb Graf Franz Christoph Khevenhüller die Khevenhüller-Historie, ein 4.762 Seiten umfassendes Werk in lateinischer Sprache. Es sollte den Werdegang, das Wirken und die familiären Verknüpfungen der Khevenhüller dokumentieren. Da diese Historie selbst dem Autor sehr umfassend schien, schuf in dessen Auftrag Georg Moshamer, der bereits an der Historie mitgearbeitet hatte, um 1625 eine „Kurzfassung“ in deutscher Sprache mit letztendlich 776 Seiten. Diese Ausgabe beinhaltet 47 Illustrationen, davon 19 einseitige und 28 doppelseitige Darstellungen. Die 19 einseitigen Illustrationen (Abb. 3) stammten aus der lateinischen Khevenhüller-Historie und wurden in das neue Werk eingefügt. Auf der Rückseite stand der lateinische Text (Abb. 4), der mit einem unbeschriebenen Papier überklebt wurde, um sie der deutschen Fassung einzugliedern.

 

Der Hauptteil des Werks besteht aus Textseiten in deutscher Sprache, die Verdienste und Verwandtschaftsverhältnisse einzelner Mitglieder der Familie Khevenhüller beschreiben. 28 bemalte Doppelseiten mit Porträt-und Landschaftsdarstellungen wurden für die Chronik angefertigt oder nachträglich eingeklebt und eingebunden. Das Werk sollte offensichtlich kontinuierlich erweitert werden, das belegen unter anderem zahlreiche unbeschriebene, aber in die fortlaufende Seitennummerierung einbezogene Blätter und Lagen. (Abb. 5, Abb. 6, Abb. 7)

 

1903 verkaufte Ida Horvath Gräfin von Khevenhüller die Khevenhüller-Chronik an den Kunsthändler, Antiquar und Auktionator Samuel Kende. Von ihm erwarb sie der Kunstsammler Albert Figdor. 1935 gelangte sie schließlich über die Dr. Albert Figdor-Stiftung im Rahmen einer Widmung an das Kunsthistorische Museum und schließlich 1937 an das Museum für Kunst und Industrie, das heutige MAK.

Ein entscheidender Eingriff

Der Archivar, Historiker und Sachbuch-Autor Karl Dinklage (* 10. Oktober 1907 in Dresden; † 29. August 1987 in Klagenfurt) machte sich über 30 Jahre lang die minutiöse Erforschung der Khevenhüller-Chronik und der damit in Zusammenhang stehenden Schriften, historischen Belege und Quellschriften zur Aufgabe. Wie er im Vorwort seines Werkes Kärnten um 1620 – Die Bilder der Khevenhüller-Chronik (Edition Tusch Buch- und Kunstverlag Ges.m.b.H. Wien, Wien 1980) schrieb, benutzte er seit 1953 einzelne Abbildungen der Chronik zur Illustration seiner wirtschaftshistorischen Publikationen (Abb. 8). In gebundener Form waren die originalen Gouachen allerdings nicht so leicht zugänglich, unter anderem, weil die doppelseitigen Abbildungen im Falz nicht völlig sichtbar waren und dadurch der Mittelteil der Abbildungen gewissermaßen fehlte. Zudem ließ sich aufgrund durchscheinender Schriftpassagen erahnen, dass sich auf der überklebten Rückseite der Einzelblattdarstellungen ein Text befand. (Abb. 9) Um diesen zu lesen, musste die Kaschierung abgelöst werden.

 

Aus heutiger Sicht würde man die intakte Bindung eines Buches von 1625 nicht lösen, auch wenn dadurch einzelne Seiten schwerer zugänglich wären. An oberster Stelle steht die Erhaltung des Originals in seiner ursprünglichen Form. Damals entschied man sich jedoch aufgrund anderer Prioritäten für das Zerlegen des Buches.
Schließlich wurde 1976 die Bindung der Chronik im Auftrag des Museums für angewandte Kunst in der Restaurierwerkstatt der Österreichischen Nationalbibliothek gelöst und das Buch in einzelne Blätter und Lagen zerlegt. Die doppelseitigen Gouachen wurden in Passepartouts montiert und in diversen Ausstellungen gezeigt, der Buchblock mit den einzelseitigen Gouachen wurde lose belassen, in säurefreies Archivpapier eingeschlagen und zuerst in der Restaurierwerkstatt des MAK, seit 1992 im klimatisierten Depot des MAK gelagert.

Konzept einer Konservierung-Restaurierung und digitalen Erfassung

Um die einzelnen Blätter der Chronik in der MAK-Online-Datenbank einem breiteren Publikum und der Forschung zugänglich zu machen, werden diese digitalisiert und die Texte transkribiert.
Vor einer digitalen Erfassung ist die Handschrift einer Einzelblattkonservierung zu unterziehen. Diese umfasst die Reinigung sämtlicher Blätter und die Behandlung verschiedener Schadensphänomene. Zu diesen gehören neben Rissen (Abb. 10), Fehlstellen, Farb- und Faserverlust auch Tintenfraß (Abb. 11, 12) und Kupferfraß. Letztere sind Zersetzungserscheinungen des Papiers, entstanden durch chemische Umwandlungen von Metallionen, die Bestandteil gewisser Farben und Tinten sind.

 

Dies führt bei Kupferfraß im fortgeschrittenen Stadium unter anderem zu einer Umkehr von Grün- und Blaupigmenten bzw. deren Ausmischungen in einen bräunlichen Farbton und zum Ausbluten (Auslaufen und Diffundieren) einzelner Farben (Abb. 13, 14). In letzter Konsequenz führen die Schädigung und der damit verbundene Abbau der Papierfasern bei Tintenfraß zum Ausbruch von Linien und Schriftzeichen (Abb. 15) oder im Fall von Kupferfraß zum Ausbruch ganzer Farbbereiche. All diese Schadensphänomene sieht man in unterschiedlich fortgeschrittenen Stadien an der Khevenhüller-Chronik, wobei vom Ausbruch der Schrift oder der farbigen Linierung nur wenige Blätter betroffen sind.

 

Aufgrund des komplexen Schadensbildes, aber auch der Herausforderung, Spuren der ursprünglichen Bindung und früherer Überarbeitungsphasen richtig zu deuten und zu berücksichtigen, ging das MAK eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Konservierung-Restaurierung der Akademie der bildenden Künste Wien (IKR) ein. Diese bringt neben dem eingebrachten akademischen Fachwissen auf neuestem Forschungsstand und dem Zugang zu naturwissenschaftlichen Analyseverfahren auch die Möglichkeit, die Khevenhüller-Chronik zum Thema einer Diplomarbeit zu machen.

Ziel dieser Diplomarbeit ist es, basierend auf eingehenden Untersuchungen ein Konzept zur weiteren Konservierung des Buchblocks und der herausgelösten Blätter zu erstellen. Dabei soll die Frage im Mittelpunkt stehen, ob die Khevenhüller-Chronik in seine ursprüngliche Form als Buch zurückgeführt werden soll oder kann:
Lassen sich exakt die ehemalige Abfolge der Blätter, die ursprüngliche Art der Bindung und Einbindung bzw. Einklebung der Ergänzungen späterer Phasen nachvollziehen?
Sind die Blätter soweit zu stabilisieren, dass sie als Buchseiten einer größeren mechanischen Belastung durch Umblättern standhalten können?
Kann man einen Kompromiss finden zwischen einer gleichzeitigen Präsentation der herausgelösten bemalten Blätter im Rahmen von Ausstellungen und der Rekonstruktion der Chronik in Form eines Buchblocks?
Von diesen Entscheidungen hängen auch weitere Arbeitsschritte ab, wie das Entfernen der Leimreste der ehemaligen Bindung, die Ergänzung der herausgetrennten Seiten, das Ansetzen von Fälzen, um eine Neubindung zu ermöglichen, sowie die Konservierung und Rekonstruktion des Ledereinbands. (Abb. 16)

Der Schweinsledereinband mit geprägten Ornamenten, ca. 1625
© MAK/Beate Murr

Die Vorarbeiten der Diplomarbeit wie Reinigung und Sicherung der einzelnen Blätter und die Stabilisierung der Metallionen basierend auf neuesten Forschungsergebnissen werden derzeit im Rahmen einer Semesterarbeit am IKR durchgeführt. Ein weiterer Blog-Beitrag wird die Maßnahmen und Ergebnisse dieses Projekts vorstellen. Die Digitalisierung soll Ende 2022 erfolgen, somit hoffen wir, die Khevenhüller-Chronik bald zugänglich machen zu können und ihr einen neuen Stellenwert zu geben. Dieses Projekt wird durch eine Kooperation des MAK mit der Burg Hochosterwitz und dem IKR ermöglicht.

Ein Beitrag von Beate Murr, Restauratorin im MAK

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