Die Geschichte eines Spieltischs. Ein Beispiel gelebter Provenienzforschung

10. April 2019

Insights

Anlässlich des ersten Internationalen Tages der Provenienzforschung, der heute, 10. April 2019, stattfindet, erzählt der Provenienzforscher Leonhard Weidinger die spannende Geschichte eines chinesischen Spieltischs. Der Weg des Möbelstücks führt über geschichtsträchtige Orte wie das „Reichskunstdepot Kremsmünster“ oder das Salzbergwerk Altaussee. Wie der Tisch schließlich in die MAK-Sammlung gelangte, schildert Weidinger in diesem Protokoll zu den Recherchen.

Der im MAK befindliche chinesische Spieltisch wurde um 1825 gefertigt. Seine Tischplatte ziert reiche Lackmalerei in Gold auf schwarzem Grund. Sie zeigt Landschaftsdarstellungen mit vielfiguriger Staffage und Kampfszenen unter Bambusstauden. 1964 wurde der Spieltisch als Leihgabe des Bundesdenkmalamtes inventarisiert. Seine früheren EigentümerInnen waren unbekannt – bis 2009. (MAK Online Sammlung)

 

Laut einer Notiz im MAK-Inventar war der Spieltisch für das „Führermuseum“ in Linz bestimmt. Am Tisch befindet sich ein Aufkleber mit der Nummer „KKU 895“ – für „Kremsmünster Kunstgewerbe 895“.

 

Der Spieltisch war also in den frühen 1940er Jahren im „Reichskunstdepot Kremsmünster“ eingelagert und dort in der Inventarliste als „neue Nr. 895“ und „alte Nr. 872“ verzeichnet.

 

Um ihn vor Luftangriffen zu schützen wurde der Spieltisch 1943 oder 1944 ins Salzbergwerk Altaussee transportiert und dort als Nr. 2410 registriert. Bei der Verzeichnung der KKu-Nummer kam es zu einem Zahlendreher: Aus „895 872“ wurde „859 872“.

 

Ab 1945 suchten die amerikanischen Kunstschutzoffiziere, bekannt als „Monuments Men“, und das Bundesdenkmalamt die früheren EigentümerInnen der in Altaussee gelagerten Objekte. Zum Tisch wurde handschriftlich notiert: „Ö AR? “. Das bedeutet wahrscheinlich „Österreich Alphonse Rothschild?”.

Geschichte eines Spieltischs

„895“ oder „859“ war die Kremsmünster-Kunstgewerbe-Nummer. „2410” war die Altaussee-Nummer. War „872“ die Objektnummer in einem Inventar der beschlagnahmten Sammlung von Alphonse Rothschild?

Geschichte eines Spieltischs

In keinem der Inventare von Alphonse Rothschild fand sich unter der Nummer 872 ein Spieltisch – aber auf der Zentraldepot-Karteikarte 872 der Sammlung Louis Rothschild war dieser vermerkt.

 

Nun konnte ich ein Dossier erstellen und am 9. November 2009 empfahl der Kunstrückgabebeirat die Rückgabe des Spieltischs. Hier der gesamte Beiratsbeschluss.

 

Am 2. März 2010 wurde der Spieltisch an die Erbin nach Louis Rothschild restituiert, die das Objekt wiederum dem MAK schenkte. Es ist das einzige von rund 200 restituierten Rothschild-Stücken, das zurück ins MAK kam.

Ein Beitrag von Leonhard Weidinger, Provenienzforscher im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung

 

Die Geschichte eines Spieltisches findet sich auch auf Twitter: @MAKWien #DayofProvenanceResearch #TagderProvenienzforschung #StoryOfAGamingTable

Weitere Informationen
zur Provenienzforschung im MAK,
zur Kommission für Provenienzforschung und weiteren Aktionen zum Tag der Provenienzforschung in Österreich,
zum Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. und weiteren Aktionen zum Tag der Provenienzforschung in Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz.

 

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