„Ich stelle mir die Objekte gerne so vor, als würden sie sich unterhalten“

Gastkuratorin Alice Stori Liechtenstein zur MAK Ausstellung GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr

Vor zwanzig Jahren, als ich gerade nach Österreich gezogen war, führte mich ein täglicher Spaziergang von der Margaretenstraße zum Graben – um bei Berlitz mühsam die Grundlagen der deutschen Sprache zu lernen. Auf dem Rückweg blieb ich, ganz im Sinne des Flaneurs, vor einem der historischen Geschäfte zwischen dem Hohen Markt und der Oper stehen und gönnte mir einen Schaufensterbummel. Wenn der Laden nicht zu klein oder zu einschüchternd war, ging ich hinein und verbrachte dort gerne eine Stunde. Es war eine Art Pilgerreise: Demel, Rozet & Fischmeister, Altman & Kuhne, Manz’sche Verlage, Knize, Meinl, Rothe & Neff, Braun & Co und natürlich Lobmeyr.

MAK Ausstellungsansicht, 2023 GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr MAK Ausstellungshalle © MAK/Georg Mayer

MAK Ausstellungsansicht, 2023
GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr
MAK Ausstellungshalle
© MAK/Georg Mayer

Einige dieser Geschäfte gibt es nicht mehr, umso mehr bewundere ich diejenigen, die es geschafft haben, mit den Ketten und Megamarken Schritt zu halten. Lobmeyr hat im letzten Jahr seine Fassade von Hubmann Vass Architekten / Erich Hubmann und Andreas Vass sanieren lassen. Das dreistöckige Holzportal hat wieder seine ursprüngliche Farbe erhalten: einen Rotton. Eine mutige Entscheidung, mit der das Unternehmen ein Verständnis für seine Geschichte und eine gesunde Portion Selbstvertrauen zeigt.

MAK Ausstellungsansicht, 2023 GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr MAK Ausstellungshalle © MAK/Georg Mayer

MAK Ausstellungsansicht, 2023
GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr
MAK Ausstellungshalle
© MAK/Georg Mayer

Jedes Unternehmen, das sein 200-jähriges Bestehen feiert, verdient Lob und Bewunderung, umso mehr, wenn es ununterbrochen von ein und derselben Familie geführt wurde. Die Firma Lobmeyr, die im Laufe von zwei Jahrhunderten mit allen bedeutenden Architekt*innen und Designer*innen Wiens (und darüber hinaus) zusammengearbeitet hat, und außergewöhnliche Beispiele des Kunsthandwerks geschaffen hat, wird nun im MAK mit einer Ausstellung gewürdigt; Seit jeher standen das MAK und Lobmeyr in intensivem Austausch.

Die Jubiläumsausstellung im MAK spielt mit den optischen Reizen des Lobmeyr-Glases und seinem Lichteinfall und würdigt damit die außergewöhnliche Kontinuität im Bestreben der Glasmacherdynastie, Innovation mit Handwerk zu verbinden und Glas als zeitgemäßen Werkstoff für angewandte Kunst und Design zu erhalten.

Es gibt Unternehmen, die ständig in die Zukunft blicken: Sie sind innovativ und konzentrieren sich darauf, Neues zu schaffen und zu modernisieren. Im Gegensatz dazu – und im Sinne einer gesunden Ausgewogenheit – machen es sich einige Unternehmen zur Aufgabe, die Vergangenheit zu bewahren und Traditionen zu pflegen. Nur wenige Unternehmen sind wie der römische Gott Janus, der mit einem Gesicht in die Vergangenheit und mit dem anderen in die Zukunft sehen kann. Man kann sagen, dass Lobmeyr – oder besser gesagt, die Familie, die hinter dem Unternehmen steht – in der Lage ist, Veränderungen und Übergänge zu steuern, wie den Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft, von einer Vision zur anderen.

MAK Ausstellungsansicht, 2023 GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr Luster für das Auditorium der Metropolitan Opera (originaler Prototyp) Entwurf: Hans Harald Rath, 1963 MAK Ausstellungshalle © MAK/Georg Mayer

MAK Ausstellungsansicht, 2023
GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr
Luster für das Auditorium der Metropolitan Opera (originaler Prototyp)
Entwurf: Hans Harald Rath, 1963
MAK Ausstellungshalle
© MAK/Georg Mayer

Um dieses Alleinstellungsmerkmal von Lobmeyr zu unterstreichen, war es notwendig, in der MAK Ausstellung GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr eine chronologische Erzählung zu vermeiden und stattdessen parallele Erzählungen zu schaffen, die zeigen, wie Vergangenheit und Tradition untrennbar mit Innovation und Zeitgeist verbunden sind. Die ausgestellten Objekte veranschaulichen die große Bandbreite an Techniken und Formen, die das Unternehmen in den vergangenen zwei Jahrhunderten entwickelt hat. Graviertes und geschliffenes Glas, Bronzit- und Emaildekorationen, zarte Musselingläser, Kronleuchter und Geschirrsets umspannen die historischen und stilistischen Epochen der Moderne. In dieser Fülle von Objekten werden überraschende Zusammenhänge deutlich: Dieselben Formen und Dekore tauchen über Jahrhunderte hinweg wieder auf, wobei die Vergangenheit die Gegenwart und die Gegenwart die Zukunft inspiriert. Der Einfluss von Lobmeyr auf grundlegende Aspekte des Lebens – von der Inneneinrichtung bis zum Geschirr – ist spürbar. Seit der Zusammenarbeit mit der Firma Edison, als 1882 in Wien der erste elektrische Luster der Welt installiert wurde, ist es Lobmeyr immer wieder gelungen, technische und künstlerische Traditionen mit ästhetischen Innovationen zu verbinden.

 

Einzigartig in der Geschichte des Unternehmens ist auch das Engagement der Familienmitglieder. Viele davon waren nicht nur Kaufleute, sondern auch als Designer tätig. Seit Josef Lobmeyr, dem Gründer des Unternehmens im Jahr 1823, haben alle sechs Generationen an der Gestaltung von Produkten mitgewirkt. Am produktivsten war wohl Hans-Harald Rath, der u. a. den Starburst-Kronleuchter für die Metropolitan Opera in New York und das Alpha-Service aus Musseline-Glas schuf. Zu meiner Freude entdeckte ich auch, dass zu meinen persönlichen Favoriten in der MAK Sammlung die Werke von Hans-Haralds Zwillingsschwester Marianne Rath zählten. Sie war eine Designerin, die selbstbewusst mit Formen und Chemie experimentierte und nach ihrer Heirat aufhörte, für das Familienunternehmen zu arbeiten. Man kann nur erahnen, was für erstaunliche Werke sie hervorgebracht hätte, wenn sie in einer Zeit gelebt hätte, die für kreative Frauen günstiger war.

Neben den eigenen Entwürfen gehören Serien, die in Zusammenarbeit mit Architekt*innen, Künstler*innen und Designer*innen entwickelt werden, seit jeher zu den Markenzeichen von Lobmeyr. Der kontinuierliche, intensive Kontakt zwischen Kreativen und der Glasmanufaktur hat über die Jahrzehnte für eine stets zeitgemäße Interpretation von Glas gesorgt. Die Liste der Architekt*innen und Designer*innen, die mit Lobmeyr zusammengearbeitet haben, ist lang und erfolgreich.

Neu sanierte Fassade des Stammhauses von J. & L. Lobmeyr in der Wiener Innenstadt © Kollektiv Fischka

Neu sanierte Fassade des Stammhauses von J. & L. Lobmeyr in der Wiener Innenstadt
© Kollektiv Fischka

Wenn ich eine Sache herausgreifen sollte, die Lobmeyr und mich verbindet, dann wäre es unser gemeinsames Verständnis von Design; genauer gesagt, die feste Überzeugung, dass ein*e (kompetente*r) Designer*in ein neues Verständnis und einen Mehrwert in ein Produkt einbringen kann. Jedes Produkt sollte mit einer ausgefeilten Ästhetik, einer intellektuellen Botschaft und einem tiefen Verständnis der für die Herstellung benötigten Materialien und Techniken hergestellt werden.

In meiner Arbeit als Gastkuratorin habe ich versucht, Gegenüberstellungen zu schaffen, die den Betrachter dazu bringen, etwas Neues zu entdecken und die Objekte in einem neuen Licht zu sehen. Durch den Vergleich ähnlicher Artefakte sieht man die Unterschiede und weiß die Details am besten zu schätzen. In diesem Sinne habe ich die Dutzenden von Gläsern, Schalen, Kronleuchtern und Vasen nach ihren Merkmalen und Eigenheiten gruppiert. Manchmal war die Zuordnung der Objekte ein intuitiver Prozess, und manchmal war sie sehr durchdacht. Ich stelle mir die Objekte gerne so vor, als würden sie sich miteinander unterhalten; der Betrachter kann dabei gerne lauschen!

Die Ausstellung GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr ist bis zum 24. September 2023 im MAK zu sehen.

Ein Beitrag von Alice Stori Liechtenstein, Gastkuratorin

Schreiben Sie einen Kommentar