Judith Schwarz-Jungmann, Leitung MAK Presse und Öffentlichkeitsarbeit
„Textil und Keramik sind nicht nur harmlose Alltagsmaterialien“
Die MAK Ausstellung HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst ermöglicht ein beeindruckendes Erleben von Kunstwerken aus den Materialien Textil und Keramik. Die Kurator*innen Bärbel Vischer und Antje Prisker im Interview zur Magie von Werkstoffen, die es – in den Händen von Künstler*innen – vermögen, Material- und Größenbeschränkungen zu überwinden und kulturelle und soziale Themen zu transportieren.
MAK
Wie kam die Idee zustande diesen beiden Werkstoffen eine gemeinsame Ausstellung zu widmen?
Bärbel Vischer (BV)
Die Auseinandersetzung mit den Materialien Textil und Keramik spielt seit der Avantgarde in der bildenden Kunst eine große Rolle. Auf den Kunstakademien wurde in den Klassen für Textil und Keramik mit diesen flexiblen und teilweise ephemeren Materialien experimentiert. So wurden neue Formen der klassischen Tapisserie entwickelt und der Skulpturenbegriff erweitert, was sich bis heute fortsetzt. Die historische Sammlung des MAK ist darüber hinaus entsprechend dem Ordnungsprinzip von Gottfried Semper nach Materialien geordnet – was einen revolutionären Diskurs auslöste und zu einer Re-Interpretation des Angewandten führte. Praktiken und Diskurse des Textilen basieren hier auf Semper und Alois Riegel, der 1887 bis 1897 Kustode der Textilsammlung des MAK, damals k.k. Museum für Kunst und Industrie, war. Insofern war es ein Anliegen für diese Ausstellung, einerseits im Zeichen von Semper die Materialien sprechen zu lassen und andererseits den Faden Riegels aufzunehmen und kulturelle und sozialpolitische Themen zu diskutieren.
Antje Prisker (AP)
Seit etwa zehn Jahren zeichnet sich vor allem in der mitteleuropäischen Gegenwartskunst eine deutliche Tendenz ab, sich wieder verstärkt und intensiv mit den oftmals nicht so ernst genommenen Materialien Textil oder Keramik auseinander zu setzen. Vor allem eine meist aus der Skulptur oder der Malerei kommende, junge Künstler*innengeneration eignet sich diese handwerklichen Techniken unvoreingenommen an, experimentiert, recherchiert, spielt mit Materialgrenzen und -zuschreibungen. Diese Entwicklung sowie auch den Anknüpfungspunkt zur MAK Sammlung – etwa ein Drittel der gezeigten Positionen stammen aus der Sammlung –, wollten wir mit der Ausstellung sichtbar machen.
MAK
Wie erklärt sich die Kombination – warum nicht Textil und Glas oder Glas und Metall?
AP
Die beiden Materialen verbindet ihre schwere Einordenbarkeit bezüglich Haptik und Qualitäten, sie sind hart und weich zugleich. Das wollten wir auch mit dem Ausstellungstitel hard/soft zum Ausdruck bringen. Ton ist ungebrannt weich und formbar, erst durch das Brennen oder Austrocknen wird er hart, aber gleichzeitig unglaublich fragil. Textiles assoziieren wir mit Wärme und Gemütlichkeit, es ist jedoch ein sehr robustes Material, das dreidimensional zu Skulpturen verdichtet werden und „harte“ oft politische Inhalte transportieren kann. Als Gebrauchsmaterialien sind Textil und Ton leicht zugänglich, man braucht weniger Equipment, oft nicht einmal eine Töpferscheibe oder eine Nähmaschine. Im Gegensatz dazu ist die Glas- und Metallverarbeitung aufwendiger und nicht so niederschwellig.
BV
Textil und Keramik ergänzen sich in ihrer Materialsprache und erzeugen eine dichte visuelle Erzählung. Sie betonen das Körperliche und sind flexibel. Einige Künstler*innen arbeiten mit beiden Materialien oder finden beispielsweise durch ihre Praxis mit Keramik wiederum zum Textilen und vice versa. In der Kunst- und Kulturgeschichte spiegelt sich das Vokabular des Ornaments und seiner Abstraktionen sowohl in der Keramik und Architektur als auch im Interieur und auf Teppichen. Textil und Keramik sind Materialien unseres Alltags, sie umgeben uns und symbolisieren auch das Miteinander und die Gemeinschaft. Gleichzeitig sind sie kulturelle Träger und ermöglichen interdisziplinäre Synergien. Die Ausstellung dreht sich um die Verbindungen von Textil und Keramik zu Architektur, Musik, Tanz, Performance, Theater und zum digitalen Raum.
MAK
Die Ausstellung zeigt an die 40 Künstler*innen und damit ein breites künstlerisches Spektrum – von Dorothea Tannings surrealistischer Rauminstallation Hôtel du Pavot, wo Figuren aus Wänden und Mobiliar hervortreten, bis hin zu Beat, ein Werk von Dorota Jurczak – ein Vogel oder Pinguin – für den sie sowohl mit Textil als auch mit Keramik arbeitete. Was ist alles möglich mit den beiden Materialien?
AP
Keramikskulpturen überwinden Größenbeschränkungen, handwerkliche Techniken und Materialeigenschaften, werden beispielsweise nicht geformt, sondern etwa wie bei Michele Pagel aus Bauziegeln geschnitten und glasiert. Oder können fast hautähnliche, weiche Körper werden, so entstehen die Skulpturen von Ranti Bam durch Umarmungen des feuchten Tons. Auch den Zugang zum Textilen haben wir hier weitgefasst. Neben klassischen Textilskulpturen, Soft Sculptures, Tapisserien – wie einer 3D Tapisserie im Gobelin Stil von Goshka Macuga zum Klimawandel – oder malerischen Patchwork- und Quilt-Techniken in den Arbeiten von Malgorzata Mirga-Tas, zeigen wir auch eine Skulptur von El Anatsui, die aus einem mit Kupferfäden vernähten Geflecht aus Metallabfällen besteht und nur mehr formal an traditionelle Kente Weberei aus Ghana erinnert. Aber auch die hart wirkenden, monumentalen gewebten Körperskulpturen aus Seilen von Magdalena Abakanowicz sind ein gutes Beispiel, wie Materialeigenschaften aufgelöst werden. Zudem sind Textil und Keramik sind nicht nur harmlose Alltagsmaterialien, sondern als Bedeutungsträger äußerst politisch einsetzbar.
MAK
Welche sind wesentliche künstlerische Positionen in der Ausstellung, die eventuell auch neue Trends in diesem Bereich begründen?
BV
In der Ausstellung entstehen Synergien zwischen unterschiedlichen künstlerischen Zugängen und Praktiken, die wir in ihrer außergewöhnlichen Vielfalt vermitteln – ich kann hier nur einige benennen. So experimentierte Dorothea Tanning seit den 1950er Jahren mit weichen textilen Materialien und prägte die Entwicklung der Soft Sculpture und junge Generationen von Künstler*innen. Ihre Installation Chambre 202, Hôtel du Pavot (1970) dreht sich um den Fetisch und die sexuelle Lust, die sich in den Körpern und Gliedmaßen ausdrückt, und wie diese mit ihrer Umgebung verschmelzen. Mit surrealen Formen zeichnet Tanning das Unterbewusste und Traumbilder oder auch die Vorstellung des Todes, hier durch einen Drogenrausch, nach. Klára Hosnedlová, korrespondierend mit Tanning und Abakanowicz, transformierte die Formenwelt der Tapisserie. In der Ausstellung entwickelte sie eine Szenerie monumentaler Skulpturen aus textilen Materialien wie Flachs, Hanf und Garn. In einen der Kokons schrieb sie das Fragment eines weiblichen Körpers ein, das sie nach einer digitalen Fotografie aus pinselstrichgleichen Seidenfäden stickte. Sonia Gomes verändert die Identität der Materialien und verdreht, näht und verknotet Textilien, um neue Formen und Strukturen zu schaffen. Ihre Skulpturen lädt sie durch Verweise auf das afro-brasilianische Rituale auf. Das Moment des Ephemeren und die Übersetzung von Symbolen des öffentlichen Raums in die Abstraktion, durch die textile Materialien und den Akt des Webens, ist Thema der Arbeiten von Hana Miletić.
MAK
Welche österreichischen Künstler*innen sind vertreten?
AP
In Österreich leben – oder lebten – Hildegard Absalon, Maria Biljan-Bilger, Verena Dengler, Gelatin, Nilbar Güreş, Peter Kogler, Ann Muller, Ulrike Müller, Michèle Pagel, Lucie Rie, Camila Sposati, Laurence Sturla, und Ingrid Wiener. Da Textil und Keramik als universelle Werkstoffe weltweit eingesetzt werden, versuchen wir, einen globaleren Blick auf das Thema zu werfen und zeigen viele internationale Künstler*innen, viele von ihnen zum ersten Mal in Österreich. So entstand ein Generationen- und Regionen-übergreifender Dialog bedeutender Positionen der 1960-80er Jahre mit der aktuellen zeitgenössischen Kunstproduktion, der die vielen Verbindungslinien, Einflüsse, Referenzen und manchmal auch Brüche aufzeigt.
MAK
In der Künstler*innenliste sind Männer in der Minderzahl. Warum?
BV
Der Ausgangspunkt für die Auswahl war das Kunstwerk, geprägt durch das kuratorische Interesse am Thema der Gemeinschaft wie bei Gelatin oder Noa Eshkol und an feministischen Strategien wie beispielsweise in den Arbeiten von Agnieszka Brzeżańska, die die weibliche Brust als Form beleuchtet.
MAK
Textil und Keramik sind uns als Alltagsobjekte sehr vertraut, und auch Interieur-Design-Stores boomen. Wo ist die Grenze zwischen hochwertigem Gebrauchsgegenstand und Kunstwerken aus Textil und Keramik?
BV
Bildende Künstler*innen, und um diese geht es in dieser Ausstellung, arbeiten mit zahlreichen unterschiedlichen Materialien und Techniken, die mit angewandter Kunst, Design und Mode assoziiert werden – zum Beispiel mit Textil und Keramik. Dadurch verschieben sich die Grenzen zwischen Alltagsgegenstand und Kunst nicht. Anders als beim Gebrauchsobjekt entstehen Werke der Künstler*innen allerdings oftmals interdisziplinär.
MAK
In euren Erläuterungen zur Ausstellung erwähnt ihr die Bedeutung der Materialien in der Kunst im Hinblick auf feministische Anliegen. Was ist damit gemeint?
BV
Künstlerinnen wurden lange diskriminiert, sowohl von Museen und Institutionen in Bezug auf Ausstellungen und Sammlungen als auch bereits in der Ausbildung und am Kunstmarkt. Textil und Keramik war für viele daher eine Nische, die sie nicht immer freiwillig wählen konnten. Doch ihr großes Interesse an der Bildhauerei und Malerei sowie die Flexibilität der Materialien Textil und Keramik führten dazu, dass viel experimentiert wurde und damit gleichzeitig die Grenzen der Malerei und Bildhauerei gesprengt und diese neu erfunden wurden.
AP
Vor allem textile Techniken wie Nähen, Sticken oder Weben sind oft weiblich konnotiert, genau diese Zuschreibungen werden dann in den Arbeiten kritisch hinterfragt oder aufgebrochen. So beispielsweise thematisiert der gewebte Teppich Made in Western Germany (1987) von Rosemarie Trockel die Produktionsbedingungen und das „Labelling“ von Künstlerinnen, insbesondere auch, weil er nicht von der Künstlerin selbst sondern in einer Weberei in Indien produziert wurde.
MAK
Und letzte Frage: An welchen Punkten in der Ausstellung werden die Grenzen zu digitaler Kunst und Musik geöffnet?
BV
In Workshops und Ateliers wurde oft nicht nur produziert, sondern auch gesungen und getanzt. Gleichzeitig nehmen viele Werke der Ausstellung konkret Bezug auf die Bewegungsmuster des Tanzes, wie in den Patchworks von Noah Eshkol, während die Skulpturen von Camilla Sposati aus Keramik oder Balata, einem im Amazonas gewonnenem Material, auch als Trompeten fungieren könnten. Verena Dengler portraitierte in ihrem Stickbild Sponsors (2001–2014) einen Musiker während seines Konzerts in Wien. Willem de Rooij verweist in seiner neuen Konzeptarbeit Joint (2023) auf Morton Feldman, der seine Klänge analog dazu entwickelte, wie Weber*innen ihre Teppiche herstellten und in rhythmischen Mustern und Klängen asymmetrische Musterabweichungen und subtile Verschiebungen nachzeichnete.
AP
An den digitalen Raum knüpft in erster Linie schon 1805 die Erfindung des Jacquardwebstuhls mit seinen automatisierten Lochkarten an, der bereits den binären Code der Computerprogrammierung vorweggenommen hat. Diese enge Verbindung zeigt sich auch in der Rauminstallation mit dem Ameisenmotiv aus Jacquardgewebe von Peter Kogler, war doch mangels geeigneter großer Drucker das klassische Weben eine der wenigen Möglichkeiten, frühe digitale Entwürfe des Künstlers in den 1990er Jahren in ein analoges Medium zu „übersetzen“. Digitale Anknüpfungspunkte finden wir aber auch in den politisch subversiven Stoffentwürfen von Anna Andreeva, die schon den QR Code in ihren geometrischen Mustern vorweggenommen hat.
Danke für das Gespräch!
Das Interview mit den Ausstellungskurator*innen Bärbel Vischer, Kustodin MAK Sammlung Gegenwartskunst, und Antje Prisker, MAK Special Projects, führte Judith Schwarz-Jungmann, Leitung MAK Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Die Ausstellung HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst ist bis zum 20. Mai 2024 in der MAK Ausstellungshalle EG zu sehen.