Noch einmal zu Heinz Frank (1939–2020)

21. August 2023

Insights

Vor drei Jahren, am 23. August 2020, ist der Wiener Künstler Heinz Frank verstorben, dem das MAK 1992 eine Solo-Ausstellung widmete. Mit dem Titel seiner Schau bezog sich Frank seinerzeit auf eine Ausstellung, die schon einige Jahre zuvor im MAK zu sehen war: Bernard Rudofskys Sparta /Sybaris – Keine neue Bauweise, eine neue Lebensweise tut not (1987). Frank konterte mit Nicht weniger mehr sondern mit allem Nichts, tut not – womit schon einiges über den Künstler gesagt wäre.

Seit seiner Ausstellung Anfang der 1990er Jahre war Heinz Frank ein häufiger und gern gesehener Gast im MAK, vielen Mitarbeiter*innen des Museums fühlte er sich freundschaftlich verbunden. Und seine Besuche waren ein Ereignis: Durch seine Kleidung und seine Erscheinung, vor allem aber durch seine Sprache und seinen bis ins Abgründige gesteigerten Wortwitz produzierte er sich fortwährend als Personenkunstwerk. Auf ganz eigene Weise interpretierte er damit den Anspruch der modernen künstlerischen Avantgarden, Kunst und Leben ineinander aufgehen zu lassen. Diese Verbindung von Kunst und Leben hat sich auch in Heinz Franks Wohnung in der Guntherstraße 13 im 15. Wiener Gemeindebezirk manifestiert: Sie ist das einmalige Zeugnis eines Gesamtkunstwerks, das durch den „Lebenskünstler“ Frank komplettiert wurde: Lebenskünstler nicht im Sinne eines „Originals“ (das er zweifellos auch war), sondern als jemand, der sich – um einen Aphorismus seines Künstlerkollegen Robert Filliou zu verwenden – bewusst war, dass Kunst das Leben interessanter macht als Kunst.

Heinz Frank vor seiner Unikat-Liege aus Aluminium und Klistierspritzen (ca. 1971) im MAK 2008 © MAK/Sebastian Hackenschmidt

Heinz Frank vor seiner Unikat-Liege aus Aluminium und Klistierspritzen (ca. 1971) im MAK 2008
© MAK/Sebastian Hackenschmidt

Seine Wohnung, in der er bis zuletzt lebte und die seither unverändert geblieben ist, hat Heinz Frank künstlerisch konzipiert: Zwei Wohneinheiten eines Zinshauses in unmittelbarer Nähe der Schmelz wurden zusammengelegt und mit eigenen Werken und Einbauten sowie mit einer persönlichen Sammlung an Möbeln, Souvenirs, Fundstücken, Objekten mit Ready-made-Charakter und anderen Einrichtungsgegenständen zu einem durchästhetisierten, aber durchaus wandelbaren Gehäuse ausgestattet. Die gewöhnliche räumliche Trennung einzelner funktionaler Wohnbereiche wurde dabei aufgelöst – etwa durch die direkte Nachbarschaft von Badewanne und Schreibsekretär oder den Einbau eines an ein japanisches Teehaus erinnernden Ruheraums unmittelbar hinter dem beweglichen Küchenblock. Auch der zentrale zweigeteilte Wohnraum – der eine Teil mit Bett, der andere mit Sitzgruppe – wurde durch eine über die gesamte Fensterfront reichende und in einzelnen Modulen hochklappbare Arbeitsfläche funktionsübergreifend verklammert.

 

Als persönlicher „Kosmos“ gewährt Heinz Franks Domizil nicht nur einen Einblick in die Persönlichkeit eines außergewöhnlichen Künstlers, sondern auch über das „Gewohnte“ hinausgehende Einsichten in die Wiener Architektur- und Kulturgeschichte: Für Heinz Frank, der selbst noch bei Ernst Plischke Architektur studiert hatte, waren die Architekten Adolf Loos und Josef Frank wichtige Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit einer spezifisch wienerischen Tradition, die über die Wohnkultur der Zwischenkriegszeit bis auf das Wien der Jahrhundertwende zurückreicht. So verweist die Bemalung sämtlicher Wände der Wohnung bis zu einer Höhe von 1,69 Meter mit einer rot-braunen Faux-bois-Maserung nicht allein auf die Körpergröße des Künstlers. Als das verbindende ästhetische Element der gesamten Wohnungseinrichtung, lässt sie sich zugleich als Neuinterpretation der charakteristischen horizontbildenden Holzvertäfelungen in den Interieurs von Adolf Loos betrachten.

 

Auf seinen „Namensvetter“ Josef Frank konnte sich Heinz Frank dagegen in anderer Hinsicht berufen. Bei der Gestaltung von Wohnhäusern, Innenräumen, Möbeln, und Gebrauchsgegenständen vertrat Josef Frank eine sachliche und unprätentiöse Zweckdienlichkeit, die auf eine eigenständig freie Lebenskultur jenseits formalistischer Dogmen und modischer Konventionen abzielte und in der pragmatischen Auffassung gipfelte: „Man kann alles verwenden, was man verwenden kann.“ Nicht nur scheint sich diese Auffassung, nach der Vorgefundenes und bereits Vorhandenes berücksichtigt und weiterentwickelt wird, mit Heinz Franks eigenem Motto – „Ungeformtes umformen in Formloses“ – zu treffen, sondern auch seine „Sachen“ zu charakterisieren: die Bilder, Skulpturen und Bonmots ebenso wie seinen künstlerischen Habitus und seine Wohnung. Als „formloses“, weil jenseits formalistischer Konzepte und gesellschaftlicher Normen „inhaltlich“ gelebtes Gesamtkunstwerk ist diese Wohnung ein einzigartiges Zeugnis für die künstlerische Kreativität und Originalität Heinz Franks.

 

Denkmalpflegerisch muss es höchste Priorität haben, diese gelebte Utopie für die Nachwelt zu bewahren: Als außergewöhnliches, das gewohnte Wohnen überschreitendes Domizil ist Franks Wohnung ein unschätzbares Zeugnis für die Aktualisierung einer Wohntradition, die sich in ihren wesentlichsten Aspekten für die Freiheit von formalen Vorgaben und repräsentativen Konventionen eingesetzt hat.

 

Der die gedanklichen und ästhetischen Positionen der Wiener Moderne transformierende und die Grenzen von Kunst, Design und Architektur transzendierende Rückgriff auf die Wiener Wohnkultur stellt Heinz Frank in eine spezifische Tradition, die dazu in der Lage war, sich kulturell weiterzuentwickeln, ohne ihre Wurzeln auszureißen und das Erbe der vorangegangenen Ära preiszugeben. Wie der Architekt Friedrich Kurrent einmal angemerkt hat, musste etwa Josef Frank als Vertreter der nächsten Generation im Widerstreit zwischen den beiden großen Antipoden der Jahrhundertwende um 1900 nicht Partei ergreifen. Vielmehr ließe sich behaupten, dass Josef Franks Weg eine Synthese zwischen den Positionen von Adolf Loos und Josef Hoffmann hergestellt habe, die zu ihrer Zeit unvereinbar schienen. Kurrent selbst gehörte einer Generation von Architekten an, die ebenfalls Synthesen bilden konnte und der es dadurch zu verdanken ist, dass die Wienerische Tradition kritischer Architekturreflektion auch nach dem Zweiten Weltkrieg bewahrt und fortgesetzt wurde – einer Generation, deren letzten Vertretern wir bis heute wichtige theoretische und praktische, aber auch entscheidende konservatorische Impulse verdanken.

Toriyama Sekien - Hahakigami und Boroboroton aus der Serie der Gazu Hyakki Yagyō, Japan, Holzschnitt, ca. 1776

Toriyama Sekien – Hahakigami und Boroboroton aus der Serie der Gazu Hyakki Yagyō, Japan, Holzschnitt, ca. 1776

Als eigenwilliger – und noch selbst bei Josef Franks Mitarbeiter Ernst Plischke „geschulter“ – Weggefährte dieser Architekten-Generation vertrat Heinz Frank keine „radikale“, sondern vielmehr eine „synthetische“ künstlerische Position: Die Funktionalismuskritik Josef Franks, die seinerzeit innerhalb der etablierten Architektenschaft fast ungehört verhallt war, konnte er für sich ebenso in Anspruch nehmen wie bestimmte animistische Vorstellungen, die Josef Frank wohl ferngelegen hätten. Um diesen Punkt abschließend noch kurz anzudeuten sei hier eine Doppelseite mit zwei spukhaften Haushaltsgegenständen aus dem Bestiarium des japanischen Zeichners Toriyama Sekien von 1776 einigen Architekturvisionen von Heinz Frank aus der MAK Sammlung gegenübergestellt. Wollte man eine Entwurfshaltung, die den körperhaften Organismus des Gebäudes in ein Lebewesen mit Gesicht umdeutet, dabei als „postmodern“ charakterisieren, ist allerdings der Punkt erreicht, an dem sich auch die heutige Generation der Wiener Architekt*innen noch ziemlich gespalten zeigt. Vielleicht wird es der nächsten Generation gelingen, solche hintergründig „umhergeisternden“ Ansätze aufzugreifen und innerhalb einer spezifisch Wienerischen Tradition von Architektur zu synthetisieren.

Ein Beitrag von Sebastian Hackenschmidt, Kustode MAK Sammlung Möbel und Holzarbeiten

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