3. Juli 2018
OTTO WAGNER – ein Architektur-Spaziergang in Wien
Begleitend zur MAK-Ausstellung POST OTTO WAGNER. Von der Postsparkasse zur Postmoderne (30. Mai – 30. September 2018) werden Architekturspaziergänge mit ExpertInnen durch Wien angeboten. Im Fokus stehen Gebäude von Otto Wagner sowie seiner Zeitgenossen und Schüler. Den Auftakt bildete am 10. Juni ein Spaziergang im Rahmen des ART NOUVEAU WORLD DAY 2018 zu Wohn- und Geschäftsbauten von Otto Wagner im Wiener Stadtraum. Jakob Vegh, Praktikant in der MAK-Abteilung Marketing und Kommunikation, begleitete die Tour und schildert den Einblick, der in das Wien der Gründerzeit und der Jahrhundertwende geboten wurde.
Von der MAK-Ausstellung beeindruckt, beginnen wir unseren Architekturspaziergang, bei dem wir im 1. und 7. Wiener Gemeindebezirk mit Anne-Katrin Rossberg, Kunstwissenschaftlerin, weniger bekannte Objekte des genialen Architekten Otto Wagner entdecken. Besonders im Wiener Wohnbau hat er seine unverkennbaren Spuren hinterlassen.
Grabenhof, Graben 14–15 (1875/Erweiterung 1883)
Unser erstes Ziel sind zwei Otto Wagner-Gebäude am Graben. Auf dem damals von barocken Bürgerhäusern geprägten Platz begann Otto Thienemann 1873 den Grabenhof zu bauen, bevor ihn Otto Wagner als Bauleiter ablöste. Wir erkennen Wagners Handschrift zum Beispiel am vergoldeten Balkongitter. Interessant ist die Erweiterung des Baus 1883, als Wagner dem Erdgeschoss eine (nicht mehr erhaltene) Glasfassade vorblendete. Eine ähnliche Lösung finden wir im nächsten Gebäude.
Ankerhaus, Graben 10 (1894)
Wagner schafft mit dem für die Versicherungsgesellschaft „Der Anker“ errichteten Gebäude eine neue Typologie des multifunktionalen Großstadthauses mit Geschäften, Büros, Wohnungen und Atelier. Auffällig ist hier einerseits die zweigeschossige Schaufensterzone mit dem gläsernen Wandvorhang („curtain wall“), andererseits das gläserne Atelier auf dem Dach, in dem Friedensreich Hundertwasser lange Zeit arbeitete. Der Dachaufsatz bei Wagner hatte damit eine funktionale Bestimmung im Gegensatz zu umliegenden Objekten, in denen Kuppeln und Aufbauten lediglich der Repräsentation dienten.
Wagners Elternhaus, Göttweihergasse 1 (1848)
Wagner wuchs mit der Architektur Theophil v. Hansens (1813–1881), eines dänisch-österreichischen Architekten, auf, dessen Stil der griechischen Antike verpflichtet war. Hansen errichtete 1848 Wagners Elternhaus und riet dem angehenden Architekten, an die Bauakademie nach Berlin zu gehen. Wagner hat später in Hansens Heinrichhof gegenüber der Oper gewohnt, in jenem Bau, der einmal als „schönstes Zinshaus der Welt“ gelobt wurde. Bei unserem Rundgang überzeugen wir uns vom Urteil Adolf Loos’ über Otto Wagners Elternhaus: Loos schwärmte von der herben Strenge der Architektur des Hauses, „die die überschäumende Fantasie des Architekten immer wieder gebändigt hat“.
Mietshaus Lobkowitzplatz 1/Führichgasse 12/Gluckgasse 5 (1884)
Von Weitem sehen wir das an drei Seiten freistehende, von einem überkuppelten Eckturm dominierte gelb leuchtende Gebäude. Der figurale Bauschmuck im Bereich der Attika ist ebenso beeindruckend wie die dorische Halbsäulenordnung, die das zarte Balkongeländer darüber kontrastiert. Auch Adolf Loos hatte hier bei seinen Stadtwanderungen Station gemacht und besonders das fein ornamentierte Portal gelobt. Den Auftrag zu dem Objekt erhielt Wagner von der Länderbank, deren Amtsgebäude er gerade in der Hohenstaufengasse realisiert hatte.
Mietshaus Bellariastraße 4 (1869)
Eines der ältesten Mietshäuser Wagners befindet sich neben Hansens Palais Epstein, das Wagner zur selben Zeit als Bauleiter betreute. Interessant ist zu sehen, was Wagner von seinem Vorbild übernimmt und inwiefern er sich davon abgrenzt. Allerdings ist der Originalzustand nicht mehr erhalten: die flankierenden Erker sind später hinzugekommen, der Dekor ist teilweise abgeschlagen. Auch hier „begegnen“ wir wieder Adolf Loos, der 1907 im 1. Stock eine Wohnung eingerichtet hat.
Mietshäuser Döblergasse 2/Neustiftgasse 40 (1909) und Döblergasse 4 (1911)
An der Ecke Döblergasse/Neustiftgasse errichtete Wagner mit eigenen Mitteln ein Mietshaus. Hier überzeugen wir uns von der revolutionären Baugestaltung des schon recht betagten Architekten, der deutlich Einflüsse seines Schülers Josef Hoffmann aufgenommen hat. Die grafische Gestaltung der Fassade mit den schwarzen Glaseinlagen erinnert an dessen Sanatorium Westend in Purkersdorf. Zwei Jahre später baute Wagner auf dem Nachbargrundstück ein ähnliches Gebäude: die Fassade sachlich, das Haustor mit Aluminium beschlagen, erinnert an die Postsparkasse. Nach außen hin fällt besonders der 1. Stock, die Beletage, ins Auge, wo Wagner eine 250 m² große Wohnung bezogen hatte und in der er 1918 starb. Sie ist zum Teil in originaler Ausstattung erhalten und wird vom Otto-Wagner-Archiv der Akademie der bildenden Künste Wien genutzt.
Wir sind am Ende unseres Spaziergangs durch das Wien der Gründerzeit und der Jahrhundertwende angelangt. Anne-Katrin Rossberg hat uns mit einem unbekannten Otto Wagner bekannt gemacht und zum Staunen gebracht.
Im September finden noch zwei weitere Architekturspaziergänge statt:
So, 2.9.2018, 14–ca. 16:30 Uhr, „Auf der Ringstraße des Proletariats“
mit Maria Welzig, Architekturhistorikerin
„Kommunizierende Fassaden“ mit Claudia Cavallar, Ausstellungsgestalterin und Architektin
Anmeldung unter www.MAK.at/post_ottowagner
Quellen:
Andreas Nierhaus/Eva-Maria Orosz (Hg.), Otto Wagner, Wien/Salzburg 2018
Adolf Loos, „Otto Wagner“, in: Reichspost 13.7.1911, 1–2
Ein Beitrag von Jakob Vegh für MAK-Marketing und Kommunikation
Sehr interessanter Beitrag, danke!