Paris pulsiert – Kunstmesse und neue Ausstellungen, die man nicht verpassen sollte

14. November 2024

NOW, Outside MAK

Bärbel Vischer

Bärbel Vischer war auf der heurigen Art Basel Paris. Für den MAK Blog zeigt die Kuratorin für Gegenwartskunst ihre persönlichen Highlights der aktuellen zeitgenössischen Ausstellungen und Messen in der pulsierenden Kunstmetropole Paris auf.

Der Auftakt zur Pariser Kunstwoche war die Eröffnung der Paris Internationale am 16.10.2024. Die internationale Kunstmesse startete erstmals 2015 mit fünf Galerien und stellt nun mit über 70 Teilnehmer*innen einen Fixpunkt für Sammler*Innen und Kurator*innen dar. Dieses Jahr waren hier die Wiener Galerien Dawid Radziszewski und Lombardi-Kargl vertreten, während Felix Gaudlitz oder Sophie Tappeiner auf die Art Basel Paris (18.–20. Oktober 2024) wechselten. LambdaLambdaLambda aus Prishtina, Kosovo, war im Grand Palais mit Katharina Schendl vertreten, die als Einführung in ihr Programm auch eine Ausstellung in einer Pariser Wohnung organisierte. Den Bogen zwischen den Generationen spannten auf der Messe die Galerien Layr und Thaddaeus Ropac.

Grand Palais Art Basel Paris 2024 © Bärbel Vischer

Grand Palais, Paris
Art Basel Paris 2024
© Bärbel Vischer

Das anlässlich der Weltausstellung 1900 konzipierte Grand Palais wurde durch die vor wenigen Monaten fertiggestellte Renovierung von Chatillon Architectes zum schönsten Veranstaltungsort einer internationalen Messe – der Art Basel Paris. Die weltweit bedeutendste Kunstmesse hat seit ihrer ersten Ausgabe 1970 in Basel ihre Standorte mit Miami Beach, Hong Kong und ab 2022 mit Paris erweitert. Bereits vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) war in Paris eine dynamische Bewegung in der Kunstszene und am Kunstmarkt spürbar, der Brexit verstärkte diese Tendenz. Engagierte Projekte, Pariser*innen den öffentlichen Raum der Stadt zurückzugeben und die Umwelt klimafreundlich machen, sowie die beispiellose Choreografie der Olympischen Sommerspiele 2024 gehen Hand in Hand mit dem Konzept Paris als wichtigste Kunstmetropole Europas.

Schon in den ersten Stunden der Eröffnung der Art Basel Paris wimmelten sich in der Messehalle die Besucher*innen, neben Sammler*innen, Kurator*innen und Künstler*innen traf sich hier auch die Modeszene – parallel dazu lief als Rahmenprogramm im Palais d’Iéna eine Performance, die die Künstlerin Goshka Macuga in Zusammenarbeit mit Miu Miu entwickelte: Tales & Tellers beleuchtet feministische Narrative – Frauen erzählen ihre eigene Geschichte. Die großen internationalen Galerien waren im Parterre der Messehalle zu finden, in den oberen Bereichen und Umgängen zeigten die jüngeren Galerien konzeptuelle Programme und experimentelle Kunst bzw. Einzelpositionen. Erstmals initiiert wurde ein eigener Bereich der Messe für moderne Kunst – en miniature mit neun Galerien. Als Teil des Public Program war vor dem Grand Palais in der Avenue Winston Churchill u.a. das mobile 6 x 9 Demountable House (1944) von Jean Prouvé zu sehen, das der Architekt und Designer aus vorgefertigten Elementen herstellen ließ. Ausgestattet mit großzügiger Fensterfront und markantem Stahlträger, wirkt der Innenraum der provisorischen Notunterkunft geräumig und zeitlos.

Jean Prouvé, 6 x 9 Demountable House, 1944 © Bärbel Vischer

Jean Prouvé, 6 x 9 Demountable House, 1944
© Bärbel Vischer

Der Kunstparcours setzt sich in den zahlreichen Museen und Institutionen fort, wie in der Pinault Collection, Bourse de Commerce mit einer emblematischen Arte Povera Ausstellung (9.10.2024−20.1.2025). Der Rundgang mit Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev begann in der Rotunde, wo Werke von Jannis Kounellis, Marisa Merz, Mario Merz, Michelangelo Pistoletto oder Giuseppe Penone ein Tableau vivant bilden; jenen Künstler*innen sind auch retrospektive Einzelpräsentationen im Obergeschoss gewidmet. In ihren konzeptuellen Werken verbinden sie natürliche Ressourcen und technologische Materialien. Sie lassen Bäume, Lehm, Steine, Tiere sprechen und formen hybride Welten aus der Natur und Artefakten.

Pinault Collection, Bourse de Commerce © Bärbel Vischer

Pinault Collection, Bourse de Commerce, Paris, 2024
© Bärbel Vischer

Ein Highlight in Paris ist die grandiose Ausstellung der Malerin Tarsila do Amaral im Musée du Luxembourg (9.10.2024−2.2.2025). Die Künstlerin hat die Moderne in Brasilien durch ihren humanistischen Zugang, interkulturelle Verbindungen, die sie aufzeigt, und eine fantasievolle, farbintensive Formensprache geprägt. Zu sehen sind ikonische Bilder wie Operários (1933) in der Manier des Sozialistischen Realismus, A Cuca (1924), das brasilianisches Brauchtum nachzeichnet, oder Batizado de Macunaima (1956), eine Hommage an den Roman Macunaíma von Mário de Andrade aus dem Jahr 1928, einem Hauptwerk der brasilianischen Literaturgeschichte der Moderne, das die Zerrissenheit Brasiliens skizziert.

A Cuca, 1924 © Ville de Grenoble - Musée de Grenoble photo J.L. Lacroix © Tarsila do Amaral Licenciamento e Empreendimentos S.A

Tarsila do Amaral, A Cuca [La Cuca], 1924
Centre national des arts plastiques, Paris
en dépôt au musée de Grenoble
© Ville de Grenoble – Musée de Grenoble / photo J.L. Lacroix
© Tarsila do Amaral Licenciamento e Empreendimentos S.A

Die Fondation Cartier widmet Olga de Amaral, einer Künstlerin aus Kolumbien, die in den USA studierte, eine von Chris Dercon programmierte Retrospektive. In raumgreifenden Skulpturen und Installation nimmt sie die Fäden historischer Traditionen aus ihrem Umfeld auf und verwebt textile Techniken zu Skulpturen und Installationen. In den Ausstellungsräumen der Fondation wurden Environments aus den Werken geschaffen, die zwischen Innen und Außen, Licht und Schatten, Natur und Kunst changieren. Die taktilen Materialien, die vibrierenden Formen und Nuancen erzeugen eine Monumentalität der künstlerischen Sprache und gleichzeitig wird durch die Ausstellung deutlich, dass es weitreichende Verschränkungen gibt in ihrer Generation von Künstler*innen, die das Textile ab den 1950er und 1960er Jahren neu interpretierten und zu denen auch die in Paris lebende amerikanische Künstlerin Sheila Hicks zählt, die 2020 die Einzelausstellung Garn, Bäume, Fluss (9.12.2020−18.4.2021) im MAK hatte.

Fondation Cartier , Paris © Bärbel Vischer

Fondation Cartier , Paris, 2024
Olga de Amaral
© Bärbel Vischer

Das Textile, seine Fäden und Schichten, ist ein narratives Motiv der postmodernen Fassade des von Renzo Piano, Richard Rogers und Gianfranco Franchini geplante Centre Pompidou, das ab 2025 wegen Renovierung für fünf Jahre geschlossen wird. Die in Frankreich und Belgien in den 1920er Jahren entstandene Kunstbewegung des Surrealismus ist das Thema einer Großausstellung im Pompidou (4.9.2024−13.1.2025), in der Träume, Symbole und das Unbewusste künstlerische Rollen verhandeln. Zu sehen sind u.a. Gemälde der Künstlerin Dorothea Tanning und es gibt auch ein Wiedersehen mit der bis vor wenigen Monaten im MAK anlässlich der Ausstellung HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst (13.12.2023−20.5.2024) gezeigten Installation Chambre 202, Hôtel du Pavot (1970), dessen Akteur*innen als Ikonen der Soft Sculpture gelten. Einer der einschneidendsten Beiträge sind Fotografien des Künstlers Eli Lotar von 1929, die im Stil einer Reportage ein Schlachthaus und seine Eingeweide festhalten. So beschreibt Aux abattoirs de la Villette (Pierre Prévert) die Reaktion des Filmemachers Pierre Prévert, der durch den Anblick der Organe quasi hypnotisiert wurde. Später verwendete Georges Bataille einige Foto als Illustration für Critical Dictionary, einer surrealistischen Zeitschrift. Den nominierten Künstler*innen des Marcel Duchamp Prize 2024 ist im Centre Pompidou eine eigene Ausstellung (2.10.2024−6.1.2025) gewidmet, wobei vor wenigen Tagen die Künstlerin Gaëlle Choisne mit dem Kunstpreis ausgezeichnet wurde. Ihre Installation The Age of Aquarius versteht sich als Passage in die Zukunft durch Rituale und Spiritualität, die westliche Sichtweisen durchbrechen.

MAK Ausstellungsansicht, 2023 HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst Dorothea Tanning, Hôtel du Pavot, Chambre 202, 1970 MAK Ausstellungshalle EG © MAK/Georg Mayer

MAK Ausstellungsansicht, 2023
HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst
Dorothea Tanning, Hôtel du Pavot, Chambre 202, 1970
MAK Ausstellungshalle EG
© MAK/Georg Mayer

Im Musée D’Art Moderne de Paris kuratierte der Künstler Albert Oehlen eine Personale des Bildhauers Hans Josephsohn (11.10.2024−16.2.2025), der ihn seit langem inspiriert. Der Dialog mit dem Material, dem Körper und seiner Geste lässt die Betrachter*innen in die Entwicklung der Skulpturen eintauchen, die geometrische Abstraktion, das Volumen der Figuren und archaische Oberflächen verknüpfen. Die in Paris lebende amerikanische Künstlerin Barbara Chase-Riboud hingegen durchbricht die Parameter des klassischen Skulpturenbegriffs. In acht Museen und Institutionen – dem Musée du quai Brantly – Jacques Chirac, dem Musée d’Orsay, Musée du Louvre, Philharmonie de Paris, Musée Guimet, Palais de Tokyo, Palais de la Porte Dorée und Centre Pompidou – sind ihre visionären Objekte, Skulpturen, Installationen und Reliefs aus Textilien, Leder oder Metall im Rahmen einer Retrospektive (17.9.2024−13.1.2025) zu sehen.

Hans Josephsohn © Bärbel Vischer

Musée D’Art Moderne de Paris, 2024
Hans Josephsohn
© Bärbel Vischer

Eine außergewöhnliche Begegnung mit der Filmemacherin Chantal Akerman ermöglicht das Jeu de Paume (28.9.2024−19.1.2025), eine Schau, die den autobiografischen Blick der Künstlerin, der mit dem Gedächtnis Europas verknüpft ist, zum Klingen bringt.

Chantal Akerman Shooting photo of D'Est, 1993 © Marilyn Watelet © Adagp, Paris, 2024 Collection CINEMATEK & Fondation Chantal Akerman © Marilyn Watelet © Adagp, Paris, 2024

Chantal Akerman
Shooting photo of D’Est, 1993
Collection CINEMATEK & Fondation Chantal Akerman
© Marilyn Watelet
© Adagp, Paris, 2024

Ein Beitrag von Bärbel Vischer, Kustodin MAK Sammlung Gegenwartskunst

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