Mela Koehlers Mädchen mit Blumenstrauß – eine Künstlerpostkarte der Wiener Werkstätte

Zwischen 1907 und 1919 entstanden die berühmten Postkarten der Wiener Werkstätte (WW). Diese „Kleinkunstwerke“ wurden in externen Druckwerkstätten in Wien produziert. Im Rahmen ihrer Masterarbeit Postkarten der Wiener Werkstätte. Überlegungen zu Drucktechnik und Herstellung (2022) untersuchte Helene Eisl anhand von ausgewählten Originalen aus der Sammlung der Universität für angewandte Kunst und Vergleichsobjekten des MAK die drucktechnische Produktion dieser Bildpostkarten. In ihrem Beitrag widmet sie sich einem Beispiel der exzellenten Grafikerin Mela Koehler.

Mela Koehler, Entwurf für die WW-Postkarte Nr. 363, 1911 (zugleich ein Selbstporträt der Künstlerin) © MAK

Mela Koehler, Entwurf für die WW-Postkarte Nr. 363, 1911 (zugleich ein Selbstporträt der Künstlerin)
© MAK

Das MAK verwahrt im Wiener-Werkstätte-Archiv die meisten Entwürfe, Andrucke und Postkarten(motive) der WW, wodurch die Sammlung als essenzielle Anlaufstelle für die Forschung gilt. Eine besonders komplex gestaltete und gedruckte Postkarte stellt Mela Koehlers Mädchen mit Blumenstrauß (Nr. 307) (1910) dar (Abb. 1). So wie dieses Beispiel, wurden die meisten Postkarten der Wiener Werkstätte mittels lithografischer Druckverfahren vervielfältigt. Neben den gängigen Techniken der Volltongestaltung kamen auch besonders häufig Gestaltungsstrategien der Tonwertauflösung wie die Tangier-, Punktier-, Kreide- oder Spritzmanier zum Einsatz.

 

Im MAK existiert nicht nur die Postkarte Mela Koehlers, sondern auch ein zweischichtiger Entwurf dazu, sowie eine weitere Motiv-Variante, die aufgrund des fehlenden Rückseitenaufdrucks wohl nicht für den Postversand gedacht war (Abb. 2). Mithilfe erhaltener Vorzeichnungen ist es möglich, Überlegungen zur konkreten Produktion und dafür notwendige Übersetzungen anzustellen. So zeigt der Entwurf der Postkarte, dass sich das Motiv aus zwei Layern zusammensetzt: einem transparenten, konturgebenden Motiv-Layer und einer darunterliegenden farbigen Ausgestaltung des Blumenmädchens (Abb. 3, 4).

 

Betrachtet man nun die beiden gedruckten Versionen fällt auf, dass sich einerseits die relative Größe des Mädchens und andererseits die konkrete Gestaltungsweise unterscheidet. Während die als Postkarte realisierte Variante farblich mehr dem farbigen, untenliegenden Entwurf gleicht (Abb. 1), wurde bei der zweiten Variante auf den kombinierten (zweischichtigen) Entwurf zurückgegriffen, was sowohl über die Art der Konturierung als auch die Farbigkeit feststellbar ist (Abb. 2).

Nicht nur diese motivische Varianz ist bei Koehlers Postkarte bemerkenswert, sondern auch die drucktechnische Umsetzung. Während die Analysen im Rahmen der Masterarbeit ergeben haben, dass der Großteil der untersuchten Postkarten zwischen vier bis acht verschiedene Druckfarben (Druckdurchgänge) aufweist, besticht diese Postkarte durch die herausragende Anzahl von elf Druck-Layern bei der Vorderseite und kurioserweise zwei Druck-Layern auf der Rückseite.

Die Vorderseite mit der Darstellung des Blumenmädchens setzt sich aus mehreren, subtil und vor allem passgenau zusammengesetzten Druck-Layern zusammen, wobei auffällt, dass das Weiß des Papiers als Farbe bewusst eingesetzt worden ist, indem mittels Beige eine Hintergrundfarbe (mit ausgesparten weißen Motivpartien) realisiert wurde.

Eine weitere technische Besonderheit stellt der Druck von potenziellen Mischfarben dar. Während man in der (industriellen, maschinellen) Druckgrafik bzw. der lithografischen Reproduktion Mischfarben meistens mithilfe von sich überlappenden Farbflächen produziert, wählte man bei Koehlers Postkarte eine andere Strategie. So setzt sich das Lila im bunten Blumenstrauß nicht wie erwartet aus der Kombination von roter und blauer Farbfläche zusammen, sondern es wurde eigens mit lila Druckfarbe gedruckt. Ein farbliches Detail stellen auch die zwei im Blumenstrauß vorkommenden Blautöne dar, die man ebenfalls nicht über Tonwertverminderung oder Mischung per Überlappung produzierte, sondern die tatsächlich aus zwei Motiv-Layer bestehen. Es erstaunt ungemein, wie viel motivische und auch drucktechnische Sorgfalt diesem Blumenarrangement beigemessen wurde, wenngleich es sich dabei um ein verhältnismäßig kleines Element des Gesamtmotivs handelt. An dieser Postkartenvorderseite offenbart sich die hohe drucktechnische Qualität, die die Wiener Werkstätte über die Kooperation mit externen Druckereien – wie Chwala’s Druck oder die Lithographisch-artistische Anstalt und Steindruckerei Albert Berger – stets zu erzielen versuchte.

Rückseite der WW-Postkarte Nr. 307, 1910 © MAK

Rückseite der WW-Postkarte Nr. 307, 1910
© MAK

Diesem Streben nach höchster Qualität und der Vermarktung der Bildpostkarten als Künstler*innengrafik im Sinne der Kleinkunst widerspricht die Rückseitengestaltung des Mädchens mit Blumenstrauß. So erstaunt es, dass man hier sehr offensichtlich und wenig subtil die typische Nummerierung der Postkarte korrigierte (Abb. 5): Die ursprüngliche Nummer (55) wurde überdruckt und eine neue Nummer (307) hinzugefügt. Hinsichtlich der drucktechnischen Umsetzung erstaunt die Wahl der Technik dieser Korrektur. Man würde hier einen modularen Hochdruck erwarten, der wie eine Art Korrektur-Stempel funktioniert. Dem ist jedoch nicht so. Im Abgleich mit einem weiteren Abzug dieser Postkarte (Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst, 13.604/1/Q) ist feststellbar, dass dieser Überdruck mithilfe eines wohl großangelegten maschinellen Druckvorganges lithografisch produziert wurde. Es ist vermutlich Kostenfragen und der Produktionseffizienz geschuldet, dass man nicht eine neue, korrigierte Rückseite produzierte, sondern die bereits gedruckte Rückseite adaptierte.

Über die Analyse von Mela Koehlers Postkarte Mädchen mit Blumenstrauß lassen sich sowohl (druck)technische als auch ästhetische Überlegungen zur Postkartenproduktion der Wiener Werkstätte ableiten. Erhaltene Entwürfe, wie der hier vorliegende, stellen einen Glücksfall für die Forschung dar, da hiermit Rückschlüsse auf die tatsächliche Umsetzung von Künstler*innen-Zeichnung zu Druckvorlage gemacht werden können. Die angestrebte – an der Vorderseite zur Perfektion getriebene – ästhetische und drucktechnische Qualität zeugt vom hohen Anspruch der WW an die (ausgelagerte) Produktion dieser Künstlerpostkarten. Brüche im Gestaltungskonzept, wie die auffällige Nummernkorrektur auf der Rückseite der Postkarte, veranschaulichen aber auch exemplarisch die Problematiken dieses sehr umfangreichen und langjährigen Projektes der Wiener Werkstätte.

Ein Beitrag von Helene Eisl, BA MEd, Doktorandin an der Universität Wien und Kunstvermittlerin

Zum Nachlesen

Brandstätter, Christian/Gregori, Daniela/Metzger, Rainer: Wien 1900. Kunst Design Architektur Mode, Wien 2018.
Eisl, Helene: Postkarten der Wiener Werkstätte. Überlegungen zu Drucktechnik und Herstellung, Masterarbeit, Universität für angewandte Kunst Wien, 2022.
Hansen, Traude: Die Postkarten der Wiener Werkstätte. Verzeichnis der Künstler und Katalog ihrer Arbeiten. Mit 18 Farbtafeln und 822 schwarzweißen Abbildungen sowie Wiedergabe der Monogramme, Augsburg, 1982.
Heller, Friedrich C.: Die bunte Welt. Handbuch zum künstlerisch illustrierten Kinderbuch in Wien 1890–1938, Wien 2008.
Schmuttermeier, Elisabeth/Witt-Dörring, Christian (Hrsg.): Postcards of the Wiener Werkstätte. A Catalogue Raisonné. Selecetions from the Leonard A. Lauder Collection, Ostfildern 2010. Darin: Schmuttermeier, Elisabeth: From Commercial Art to Work of Art, S. 23–37.
Schmuttermeier, Elisabeth: Kleinkunstwerk Postkarte 1907–1919, in: Thun-Hohenstein, Christoph/Rossberg, Anne-Katrin/Schuttermeier, Elisabeth: Die Frauen der Wiener Werkstätte, Basel 2020, S. 78–93.
Schweiger, Werner J.: Wiener Werkstätte Bilderbögen, Wien 1983.

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