Provenienzforschung und Restitution: Silberobjekte im MAK aus Zwangsablieferungen in der NS-Zeit

3. Dezember 2020

Insights

Der Provenienzforscher Leonhard Weidinger gibt uns Einblicke in die Provenienzforschung im Rahmen von Zwangsablieferungen von Edelmetallen, Juwelen und Perlen während der NS-Zeit. Seine spannenden Recherchen zu früheren Besitzverhältnissen und die Vorgehensweisen bis zur Restitution schildert er auf dem MAK-Blog.

 

Zwischen Dezember 1941 und Jänner 1943 kaufte Direktor Richard Ernst (1885–1955) für das Staatliche Kunstgewerbemuseum in Wien, das heutige MAK, im Auktionshaus Dorotheum insgesamt 77 Silberobjekte: 25 Leuchter, fünf Kannen, sechs Teller, zwei Samoware, zwei Deckelhumpen, zwei Näpfe, eine Schüssel, einen Becher, einen Deckelpokal und ein 32-teiliges Schachspiel. Noch im Lauf des Jahres 1943 gab das Museum 13 der Objekte im Tauschweg an Kunsthändler ab. 64 Silberobjekte verblieben im Besitz des MAK. 1998 begann die Kommission für Provenienzforschung, die Sammlungen der Bundesmuseen auf in der NS-Zeit entzogene Stücke zu überprüfen.

Die 64 Silberobjekte standen rasch im Verdacht, bedenkliche Erwerbungen zu sein. Angekauft worden waren sie in der NS-Zeit beim Dorotheum, das als staatliches Auktions- und Pfandhaus tief in die „Verwertung“ von entzogenen oder unter Zwang verkauften Kunstwerken und Einrichtungsgegenständen bis hin zu Automobilen verwickelt war. Im Dorotheum hatten die vom NS-Regime als JüdInnen verfolgten WienerInnen ab Frühjahr 1939 ihre Gegenstände aus Gold, Silber und Platin sowie Juwelen und Perlen abzuliefern. Zehntausende dieser Objekte wurden eingeschmolzen, einige blieben aber erhalten. Aus diesen Stücken konnte das heutige MAK eine Auswahl treffen und Objekte günstig erwerben. Auf den Rechnungen des Dorotheums an das Museum waren zwar Nummern verzeichnet, jedoch gab es keine konkreten Hinweise auf die früheren EigentümerInnen.

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des NS-Regimes fragte lediglich die Familie Ziegler im MAK an, ob es Silberobjekte aus der Sammlung Jacques Ziegler erworben habe. Das Museum gab an, zwei der gesuchten Stücke vom Dorotheum angekauft zu haben, eines sei 1943 im Tauschweg abgegeben worden, das zweite befinde sich im MAK. Tatsächlich hatte das MAK noch ein drittes Objekt aus der Sammlung Jacques Ziegler vom Dorotheum erhalten. Zu einer Restitution kam es in der Folge aber nicht.

Aufgrund des Staatsvertrags vom 15. Mai 1955 richtete die Republik Österreich die Sammelstellen A und B ein, die das nach der NS-Zeit vorhandene „erblose Vermögen“ erfassen und den Opfern des Nationalsozialismus zukommen lassen sollten. Die Sammelstelle A wertete die noch im Dorotheum vorhandenen Unterlagen zu den Zwangsablieferungen aus und erfasste die abliefernden Personen, die Ablieferungsnummern und die abgelieferten Objekte in einer Kartei, die schließlich fast 20.000 Blätter umfasste. Sie befindet sich bis heute im Österreichischen Staatsarchiv und ist soweit bekannt die einzige noch vorhandene, umfassende Quelle zu den Zwangsablieferungen. Diese Kartei ist nach Namen sortiert, wobei die Ordnung zum Teil nicht erhalten blieb. Sie manuell erfolgreich nach Nummern zu durchsuchen war für die Provenienzforschung im MAK unmöglich. Nur zu den Stücken aus der Sammlung Jacques Ziegler konnte auf Basis der Anfrage aus der Nachkriegszeit ein Dossier erstellt werden. Für die zwei noch vorhandenen Objekte empfahl der Kunstrückgabebeirat 2003 die Restitution, die im selben Jahr erfolgte.

 

Die Zuordnung weiterer Nummern zu konkreten Namen wurde erst durch den Einsatz von digitaler Technik möglich. In einem Kooperationsprojekt der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und des Dorotheums wurde im Jahr 2007 die Kartei zu den Zwangsablieferungen gescannt und maschinell textgelesen. Nun konnten die Karteikarten am Computer durchsucht werden. Wenn zu den Nummern auf den Dorotheumsrechnungen im MAK Namen gefunden wurden, erstellte die Provenienzforschung Dossiers, die anschließend dem Kunstrückgabebeirat vorgelegt wurden. Bisher empfahl der Beirat in sieben Fällen die Restitution. In Folge dessen wurden elf Objekte an die ErbInnen von Samuel und Gittel Bauer, Erny und Richard Gombrich, Emil Iwnicki, Anna Kutscher, Elise und Erich Müller, Hermine Schütz und Isak Wunderlich zurückgegeben.

 

Zu 48 Silberobjekten und zum 32-teiligen Schachspiel konnten die früheren EigentümerInnen noch nicht ermittelt werden, die Recherchen dazu laufen weiter. Jeder Hinweis kann zur Klärung eines Falles beitragen.

Ein Beitrag von Leonhard Weidinger, Provenienzforscher im MAK im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung

 

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