Der Kunst- und Kabinettschrank von David Roentgen: Wie ein Ohrwurm aus dem 18. Jahrhundert zum Leben erweckt wurde

Anne Biber, Leiterin der MAK-Restaurierung, gibt in diesem dritten Beitrag der Serie über den Kunst- und Kabinettschrank von David Roentgen Einblick in alle Phasen der Restaurierung dieses herausragenden Mobiliars mit seinem musikerzeugenden Innenleben.

Im Frühjahr 2021 durchdrangen merkwürdige Töne die Restaurierungsabteilung des MAK. Ein Klangewirr aus Pfeifen, Flöten und Trillern, das, zunächst noch disharmonisch, sich bald als echter Ohrwurm entpuppte. Dies war wenige Wochen, bevor ein mehrjähriges Restaurierungsprojekt an einem der wertvollsten Möbel des MAK abgeschlossen wurde und der Schreibschrank von David Roentgen wieder in die MAK-Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus zurückkehrte.

Die bewegte Geschichte des Möbels, das seit 1873 Teil der MAK-Sammlung ist, spricht der Kustode für Möbel und Holzarbeiten des MAK, Sebastian Hackenschmidt, in seinem Blogbeitrag an. Unschöne Spuren hinterließ die Auslagerung an einen Bergungsort während des Zweiten Weltkriegs. Im Archiv des MAK fanden sich folgende Notizen zum Zustand, datiert mit 9. September 1948: „Es fehlt das Türchen in der Mitte des Aufsatzes. Am Sockel des zimmerartigen Faches fehlt ein Profilkopf in Bronzeauflage. An der Basis des Aufsatzes fehlt die rechte Leiste. Linker rückwärtiger Fuß fehlt, der rechte abgelöst, vorhanden. Bei drei Bronzevasen auf dem Aufsatz fehlen die Deckel. Uhrglas gebrochen. Blaue Seidenbespannung hinter Bronzedurchbrüchen zerrissen. Tintenfass fehlt. Teile von Bronzeleisten fehlen, zwei davon vorhanden. Mechanismus z.T. zerstört. Furnierschäden. Teile der Rückwand fehlen.“

In den 1950er-Jahren wurden bereits Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt. Allerdings blieben die Beschädigungen aus früheren Zeiten erkennbar und der Zahn der Zeit nagte weiter an der Substanz. 2017 waren Messingbeschläge oxidiert oder fehlten, Holzoberflächen waren trüb geworden, Furnierteile waren locker, Bretter hatten Risse, Profilteile waren unvollständig. Insbesondere die Mechanik und das Musikspielwerk des Möbels waren in einem schlechten Zustand. An eine Inbetriebnahme war nicht zu denken. So wurde unter Federführung des Kustoden Sebastian Hackenschmidt und des ehemaligen Leiters der Restaurierungsabteilung, Manfred Trummer, die Restaurierung beschlossen. Eine so komplexe Aufgabe erforderte die Zusammenarbeit von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen.

Detail Kunstschrank von David Roentgen

Das Spielwerk vor der Restaurierung: Der Blasebalg war stark beschädigt, mehrere Holzflöten und das Zymbal fehlten, Messingoberflächen waren oxidiert
© Johannes Ranacher/MAK

Der Hauptanteil in der Ausführung oblag dem seit 2021 pensionierten Holzrestaurator Johannes Ranacher. Er konservierte die Oberflächen des Korpus und restaurierte die wertvolle Marketerie. Diese Einlegearbeiten aus unterschiedlich gefärbten Hölzern sind eine Spezialität der Möbel von David Roentgen. Ihre beeindruckende Farbigkeit wird mit bemaltem Porzellan verglichen. Es liegt jedoch in der Natur der gefärbten Hölzer, dass sie mit der Alterung verblassen. Reaktivieren kann man die Farben nicht. Dank der von Johannes Ranacher gesetzten Maßnahmen ist jedoch nun wieder erkennbar, wie unterschiedliche Holzarten kombiniert wurden, um kräftige Hell-Dunkel-Effekte zu erzielen. Außerdem wurden Messingelemente abgeformt, um fehlende Elemente in einer Kunstgießerei nachzugießen.

Kunstschrank von David Roentgen

Lockere und hochstehende Elemente der filigranen Holzeinlegearbeiten forderten konservatorisch-restauratorische Eingriffe
© Johannes Ranacher/MAK

Kunstschrank von David Roentgen

Die Marketerie konnte in vielen Arbeitsstunden des Holzrestaurators Johannes Ranacher gesichert werden
© Johannes Ranacher/MAK

Von besonderer Bedeutung war daneben der Einsatz Ranachers zur Restaurierung der Schubladenmechanik. Durch intensives Studium der komplexen Funktionsweise und durch minutiöses Einstellen der einzelnen Komponenten konnte er den Mechanismus wieder gangfähig machen. Beeindruckend ist, welche Kräfte auf das so feingliedrig gearbeitete Möbel wirken, wenn durch Knopfdruck Federn ausgelöst werden, mit lautem Knall Laden aufspringen, Schranktüren öffnen, Fächer herausfahren. Aus konservatorischen Gründen muss die Inbetriebnahme so selten wie möglich erfolgen, da jedes Betätigen der Funktionen auch ein Risiko für Schäden in sich birgt. Die Funktion wurde jedoch abgefilmt, sodass viele Interessierte in den Genuss des Schauspiels kommen können.

Kunstschrank von David Roentgen

Die Restaurierung der Schubladenmechanik durch Johannes Ranacher war ein weiterer umfassender Teil des Restaurierungsprojekts
© Johannes Ranacher/MAK

Ein weiterer sehr umfassender Schritt, für den die Musikinstrumentenrestauratorin Marianne Siegl zuständig war, war die Restaurierung und Teilrekonstruktion des Musikspielwerks, das im aufgesetzten Uhrkasten verbaut ist. Dieses umfasst eine Flöte und ein Zymbal, ein hackbrettähnliches Instrument. Auf einer Walze sind mittels eingesteckter Messingstifte vier Musikstücke „gespeichert“. Ein mechanischer Antrieb setzt die Walze in Bewegung. Über die Stifte werden Töne der Flöten und des Hackbretts ausgelöst. Das Spielwerk war in einem sehr schlechten Zustand und war nicht mehr vollständig. Flöten und das gesamte Zymbal wurden rekonstruiert. Der großen Kunstfertigkeit und Geduld von Marianne Siegl ist zu verdanken, dass das Instrument nun erstmals seit den Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg wieder erklingt.

Marianne Siegl stand dabei in engem Austausch mit Helmut Kowar, ehemals Direktor des Phonogrammarchivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Musikwissenschaftler hat die abstrakten Stiftanordnungen in Notenschrift übersetzt. Es ist ihm sogar gelungen, zwei der vier Stücke zu identifizieren, worauf er in seinem Beitrag näher eingeht. Ein schwieriges Unterfangen, da viele der Stücke, die zur Entstehungszeit von Möbeln in Art des Kunstschranks populär waren, heute kaum noch bekannt sind. So bekamen die Ohrwürmer Namen.

Das Spielwerk des Instruments ist nicht nur hinter dem Uhrwerk im Schrank positioniert, sondern teils auch an dieses gekoppelt. Das Uhrwerk wurde vom ehemals am MAK tätigen und inzwischen pensionierten Uhrmacher Walter Frühwirth restauriert. Die Herausforderung der Restaurierung des Spielwerks übernahm ab 2020 der Uhrmacher und Restaurator Nils Unger. Falsch angeordnete Elemente wurden an ihren vorgesehenen Platz gesetzt, Feinjustierungen wurden vorgenommen, die oxidierten Oberflächen mussten gereinigt werden, sodass alle Rädchen wieder sauber ineinandergreifen und der Abrieb so gut wie möglich minimiert werden konnte.

Kunstschrank von David Roentgen

Das Spielwerk nach der Restaurierung mit Mikrofon, während der Anfertigung von Audioaufnahmen unter Mitarbeit der Restaurator*innen Marianne Siegl und Nils Unger und der Musikwissenschafter*innen Nadia Wallaszkovits und Helmut Kowar
© MAK/Anne Biber

Der Schrank ist nicht nur ein Musterbeispiel der Kunsttischlerei, er ist auch einer der wenigen Zeugen der historischen Spielweise von Musikkompositionen. Um einem breiten Publikum die Möglichkeit zu bieten, in eine Klangwelt des 18. Jahrhunderts einzutauchen, wurden hochwertige Tonaufnahmen angefertigt. Hierbei wurde das MAK unterstützt von Nadja Wallaszkovits von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Der Aufmerksamkeit Helmut Kowars ist es zu verdanken, dass zwei weitere Walzen im Depot des Technischen Museums ausfindig gemacht werden konnten, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Kunstschrank aus der Sammlung des MAK zuzuordnen sind. Die interdisziplinäre Beschäftigung mit dem einzigartigen Möbelstück wird also gewiss weitere Kapitel bekommen.

In den kommenden Wochen werden die genannten Expert*innen den Kunstschrank in dieser MAK-Blog Serie noch aus weiteren Perspektiven beleuchten. Auch die Filmaufnahmen werden demnächst zugänglich gemacht. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen, Lauschen und Staunen und entschuldigen uns schon jetzt, wenn Ihnen bestimmte Melodien danach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen.

Ein Beitrag von Anne Biber, Leiterin der MAK-Abteilung Restaurierung und Werkstätten

 

 

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