19. Juli 2022
Schaurestaurierung der Marketerietafeln (1779) von David Roentgen
Ab heute 19. Juli 2022 haben Besucher*innen die einzigartige Möglichkeit, im Zuge einer Schaurestaurierung vor Ort mitzuerleben, wie zwei Meisterwerke aus der Sammlung des MAK, die großformatigen Marketerietafeln von David Roentgen (1743–1807) Die römischen Frauen ringen mit den Sabinern um den Frieden und Die Großmut des Scipio nach Vorlagen von Januarius Zick (1730–1797) konserviert und wissenschaftlich erforscht werden.
Das MAK steht mit diesen beiden Werken in Besitz der weltweit einzigen Marketerietafeln in dieser Größe von jeweils 13 m², aus der Kunsttischlerei David Roentgens (1743–1807). David Roentgen war einer der begabtesten Ebenisten seiner Zeit, der in diesem Handwerk und auch in künstlerischer Hinsicht neue Maßstäbe in Europa setzte. Die beiden Marketerietafeln von 1779 stammen aus einer (von Kunsthistoriker*innen zwischen 1769 bis 1780 angesetzten) Schaffensphase, in der die Roentgen-Marketerie ihren künstlerischen Höhepunkt erreicht hatte. Die dargestellten historischen Szenen zeigen eine große Liebe zum Detail. Die Marketerien sind in der Manier „à la mosaique“, gearbeitet. Die Bezeichnung „Holzmosaik“ wurde von David Roentgen selbst gewählt, um zu beschreiben, dass wie bei einem klassischen Mosaik jedes Teilelement, aus denen sich das Bild zusammensetzt, nur eine Farbe und eine Helligkeitsstufe hat. Für diese kunstvolle Technik kamen meist einheimische Furnierhölzer zur Anwendung. Die räumliche Wirkung eines Motivs wird durch das Aufteilen der Fläche in Licht- und Schattenpartien aus unterschiedlichen, zum Teil gebeizten Hölzern erreicht.
Ursprünglich als Auftragsarbeit für den Prinzen Karl Alexander von Lothringen und Bar, den Statthalter der österreichischen Niederlande angefertigt, erlitten die beiden Marketerietafeln schon kurz nach ihrem Einbau in seinem Brüsseler Palais eine äußerst wechselhafte Geschichte. Prinz Karl Alexander verstarb ein Jahr nach ihrem Einbau. Während späterer Kriegswirren mit Frankreich um 1795 wurde der Palast schwer beschädigt und die wandfesten Einbauten des Audienzsaales demontiert. So auch die Marketerietafeln.
Der Ausbau aus dem Palais nach dem Tod Prinz Karl Alexanders und die spätere Übersiedelung nach Wien im Jahr 1823 blieben nicht ohne Folgen für den Zustand. Es ist der sorgfältigen Holzauswahl und der kunsthandwerklich äußerst hochwertigen Verarbeitung zu verdanken, dass sich die beiden Tafeln heute in einem konstruktiv guten Zustand befinden und die Originalsubstanz zu einem sehr großen Teil erhalten ist. Klimaschwankungen und ungünstige Lagerungs- und Transportbedingungen und auch frühere Reparaturmaßnahmen haben aber sichtbare Spuren auf den Tafeln hinterlassen. Diese zeichnen sich zum Beispiel als Risse, Verwerfungen, Furnierausbrüche und Fehlstellen entlang der Kanten ab. Insbesondere die kleinteiligen Furniere haben den Bewegungen des Konstruktionsholzes nicht standgehalten, sich in vielen Bereichen gelöst und stehen zum Teil vom Trägerholz ab. Bedauerlicherweise sind vereinzelt bereits kleine Verluste zu verzeichnen. Demzufolge besteht dringender Handlungsbedarf zur Sicherung des wertvollen originalen Bestands.
Die Restaurator*innen haben es sich zum Ziel gesetzt, sich neben der Sicherung und Wiederherstellung der Stabilität, durch eine umfangreiche Restaurierung der ursprünglichen Ästhetik der Bildtafeln respektvoll zu nähern.
Von Bedeutung für die Erarbeitung eines angemessenen Konzepts für die Konservierung und Restaurierung sind, neben Recherchen zum historischen Kontext, materialtechnologische Voruntersuchungen. Sie helfen dabei, Klarheit über den konstruktiven Aufbau, vorhandene Holzarten, Leime und Beschichtungsstoffe sowie über sekundäre Überarbeitungsphasen zu gewinnen. All diese Faktoren können die Wahl der Restaurierungsmethoden beeinflussen. Die Voruntersuchungen laufen bereits seit Mitte letzten Jahres und wurden seit April 2022 intensiviert.
Die Möbelrestauratorin Britta Dierig wurde dabei von der Semesterpraktikantin Gianina Wolf unterstützt. Es wurden Proben genommen, präpariert und im Querschliff mikroskopisch untersucht, um Holzarten zu bestimmen und Oberflächenüberzüge zu erkennen.
Mit Unterstützung des Instituts für Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst der Akademie der bildenden Künste Wien wurden fotografische Aufnahmen unter Anregung durch ultraviolettes Licht aufgenommen. Diese helfen, Überzüge und Überarbeitungsspuren zu erkennen. Geplant sind weiterhin röntgentechnische Aufnahmen, die dazu dienen, unter der Oberfläche verborgene konstruktive Details sichtbar zu machen.
Wie die über Jahrhunderte gealterten Materialien dann tatsächlich auf die geplanten Maßnahmen reagieren, zeigt sich im Detail erst in der Praxis. Eine ebenso wichtige Aufgabe des Teams besteht deshalb in praktischen Vorversuchen an Musterflächen. Die Phase der Vorversuche kann man sich als ein Herantasten, Evaluieren, Anpassen und Diskutieren vorstellen, bis nach einigen Tagen oder Wochen ein Maßnahmenkonzept feststeht. Im Fokus steht vor allem die fachgerechte Reinigung und Sicherung von gefährdeten Furnierelementen.
Dabei ist das Vorhaben allein wegen der beachtlichen Größe der beiden Objekte logistisch enorm aufwendig. Bei den Vorüberlegungen stellte sich bald heraus, dass die Tafeln zur Bearbeitung von der Wand gehoben werden müssen und ein maßgefertigtes Arbeitsgestell notwendig ist. Allerdings war an einen Transport in die Restaurierungswerkstätten des MAK aufgrund der Größe der Tafeln nicht zu denken. Es fiel deshalb schnell die Entscheidung, aus der Not eine Tugend zu machen und eine Schaurestaurierung bei laufendem Besucher*innenbetrieb umzusetzen. Nun wird ab Juli 2022 eine öffentlich einsehbare, temporäre Werkstatt in der Schausammlung Barock, Rokoko und Klassizismus eingerichtet. Den Besucher*innen gibt das die einmalige Gelegenheit, Einblick in die restauratorische Arbeit zu gewinnen, die Umsetzung der Maßnahmen mitzuverfolgen und jederzeit den aktuellen Fortschritt ablesen zu können.
Nicht weniger aufregend ist das Vorhaben für das MAK selbst. Denn die Konservierung-Restaurierung erlaubt es, erstmalig Erkenntnisse über den technologischen Aufbau der Tafeln, die verarbeiteten Holzarten und deren Farbigkeit zu sammeln. Die Restaurator*innen werden dabei eng mit Kunstexpert*innen zusammenarbeiten. Bis zum Frühjahr 2023 werden die Expert*innen an den Werken vor Ort in der Schausammlung tätig sein. Die Öffentlichkeit ist eingeladen, die Arbeit der Restauratoren live und aus nächster Nähe mitzuerleben und wird auch durch Beiträge auf dem MAK Blog über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten.
Ein Beitrag von Britta Dierig, Diplom Restauratorin für Möbel und Holzobjekte, Gianina Wolf, Semesterpraktikantin in der Restaurierung und Anne Biber, Leiterin der MAK Abteilung Restaurierung und Werkstätten.