19. September 2025
Ulrike Johannsen
19. September 2025
Ulrike Johannsen
Die Künstlerin Ulrike Johannsen gibt Einblicke in die Entstehung der von ihr gastkuratierten Ausstellung SIDEKICKS im MAK Geymüllerschlössel – von den ersten Ideen bis zu ihren persönlichen Lieblingsstücken.
Es mag der ultimative Tagtraum aller Künstler*innen sein: Anfang März erhielt ich die Anfrage des MAK, eine Ausstellung zu Handtaschen im wunderbaren Biedermeier-Ambiente des Geymüllerschlössels als Gastkuratorin zu begleiten. Natürlich wollte ich sofort zusagen! Doch dann die Überraschung: Die Eröffnung sollte bereits am 10. Mai stattfinden. Nach meiner Erfahrung kann sich so ein Tempo leicht zum Albtraum entwickeln. Es wurde dann aber zu einem fabelhaften Abenteuer: Gemeinsam mit den beiden MAK Kustodinnen Anne-Katrin Rossberg und Lara Steinhäußer und dem großartigen Team des MAK durchforsteten wir Sammlungen, Depots, entwarfen, planten und produzierten. In nur acht Wochen von null auf hundert – und die Ausstellung, das Plakat und ein Folder waren tatsächlich rechtzeitig fertig. Alle Beteiligten waren erschöpft und zufrieden. Was für ein Traum!
Plakatsujet für die Ausstellung SIDEKICKS. Ringe und Taschen aus der MAK Sammlung, 2025
© Erli Grünzweil
Plakatsujet für die Ausstellung SIDEKICKS. Ringe und Taschen aus der MAK Sammlung, 2025
© Erli Grünzweil
Taschen gehören zu den Dingen, die erst durch den Körper Vervollständigung erfahren, wobei sie mit ihrer Funktion eine Verlängerung des Körpers darstellen – das macht ihre Präsentation zu einer besonderen Herausforderung. Bei meiner Recherche zu Taschenausstellungen empfand ich die einsame Präsenz unter Vitrinenhauben irgendwie als traurig. In Fashion Magazinen kann man sehen, dass Taschen selten einzeln gezeigt werden. In Modeshootings sind sie immer in ein komplexes Styling aus Model, Mode, Accessoires und Schmuck eingebunden. So kam ich auf die Idee, Hände als zentrales Gestaltungelement einzusetzen und die Ausstellung durch Fingerringe aus der Sammlung zu erweitern.
Ich wählte Holzhände, die ursprünglich als Zeichenmodelle für Künstler*innen gedacht waren. Sie sind an allen Gliedern beweglich, können die Handtaschen wirklich greifen und gleichzeitig die Ringe präsentieren. Ihre Genderneutralität war mir wichtig, da das Thema Handtaschen und Fingerringe schnell als „Frauenthema“ kategorisiert wird. Nicht zuletzt aufgrund von Diskussionen über Genderpolitik liegen geschlechtsneutrale Mode und Handtaschen für Männer wieder im Trend.
Visualisierung Vitrinenentwurf
© Ulrike Johannsen
Aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit war es nicht möglich, umfassend historisch zu recherchieren und speziellen Themen nachzugehen. Vielleicht war das aber auch ein Glücksfall, denn so war ich gezwungen, die Taschen und Ringe aus rein ästhetischen Überlegungen auszuwählen und zusammenzustellen. Die Auswahl erfolgte nach meinen persönlichen Vorlieben (außerhalb restauratorischer Einwände), die Zusammenstellung nach formalen Gesichtspunkten wie Form, Farbe, Technik oder Motiv. Dabei konnte ich nach Lust und Laune Zeitgenössisches mit Historischem kombinieren und so ganz neue Verbindungen herstellen. Die Grundidee war, dass sich die Besucher*innen an den wunderbaren Stücken im herrlichen Ambiente einfach erfreuen können.
Das Geymüllerschlössel verfügt selbst über ein prächtiges Interieur. Als Kontrast und auch aus Gründen der Nachhaltigkeit verwendete ich schlichte, bereits vorhandene Vitrinen. Bei einem Besuch im Depot des MAK suchte ich die Vitrinen aus und platzierte sie dann im Grundrissplan. Das Innenleben der Vitrinen in den verschiedenen Räumen sollte sich am Farbkonzept des jeweiligen Raumes orientieren. Anschließend wurden die Objekte in den Vitrinen thematisch verteilt. Im Vorfeld war es notwendig jeden einzelnen Ring auf die verschiedenen Holzhände zu stecken, um herauszufinden, ob diese auf die Finger passten und jede Tasche musste genau ausgemessen werden, um die Hände im Innenleben der Vitrinen zu platzieren.
Die Ringe werden probiert
© Ulrike Johannsen
Produktion im Studio
© Ulrike Johannsen
Entwurf für den Kuppelsaal
© Ulrike Johannsen
Entwurf für den Kuppelsaal im Studio
© Ulrike Johannsen
Detail: Entwurf für den Kuppelsaal
© Ulrike Johannsen
Diese kleine bestickte Tasche nach einem Entwurf des Wiener Malers der Neuen Sachlichkeit, Viktor Planckh (1904−1941), hat es mir besonders angetan. Das fantasievolle, fast naive Motiv zeigt verschiedene Figuren in fröhlichem Treiben auf einer Ranke verbunden. Besonders mag ich die kleine Leiter am Verschluss, die andeutet, dass eine der Figuren fluchtartig die Ranke in das Innere der Tasche verlassen hat. Damit zeigt das Design seine Modernität, denn der Entwurf ist keine nur ornamenthafte Verschönerung der Oberfläche, sondern wird Teil der Tasche als ein dreidimensionales Objekt.
Bestickte Tasche Entwurf: Viktor Planckh, Wien 1930-40, Seide Metall, Ausführung Des. Point Modernes, MAK, T 11824
© MAK/Branislav Djordjevic
In derselben Vitrine finden wir einen wunderbaren Beutel des Jugendstilkünstlers Anton Kling (1881−1963). Kling war mir bis dahin kein Begriff, doch seine besonders schönen Werke in der Sammlung haben meine Aufmerksamkeit erregt.
Perlbeutel mit buntem geometrischem Muster
Entwurf: Anton Kling
Ausführung: Ida-Marie Kling, Wien, um 1930
Glasperlen, Baumwolle, Metall
MAK, T 11154
© MAK/Georg Mayer
Dieser außergewöhnliche form- und farbenfrohe Beutel wurde von seiner Ehefrau, der Künstlerin Ida-Marie Kling (1883–1960) ausgeführt, die an der Kunstgewerbeschule Hamburg ausgebildet wurde. Die Herstellung eines solchen Stückes erfordert große Kunstfertigkeit und viel Erfahrung: Für einen einzigen Beutel werden im Schnitt rund 50.000 Perlen benötigt, die zuvor in der richtigen Reihenfolge auf eine Schnur gefädelt werden müssen. Das heißt man muss die Position einer jeden einzelnen Perle im Vorhinein bestimmen. Neben dieser Tasche im Uhrenzimmer habe ich noch drei seiner herausragenden Ringentwürfe in die Ausstellung integriert. Einen Siegelring aus den 1930er Jahren im Wohnzimmer, die beiden anderen stammen aus den Jahren 1915–1920 und sind in der sogenannten „Moschee“ ausgestellt.
Ring mit abstraktem Dekor
Entwurf: Anton Kling, um 1915/1920
Ausführung: Otto Stüber, Hamburg
Gold, Rauchquarz, Diamant
MAK, BJ 1530
© MAK/Katrin Wißkirchen
Im Schlafzimmer des Geymüllerschlössel habe ich eine kleine Vitrine mit Täschchen und Ringen aus Metalldraht und Eisen gestaltet. Hier befindet sich auch ein winziges und seltenes Täschchen, das um 1820 in Schlesien vollständig aus Stahldrahtgewebe gefertigt wurde. Die oft als „Berliner Eisen“ bezeichneten Schmuckstücke und Objekte waren im frühen 19. Jahrhundert ein populäres patriotisches Symbol. Die preußischen Bürger*innen wurden motiviert, ihr Gold im Tausch gegen Eisen abzugeben, um den Krieg gegen Napoleon zu unterstützen. Das schwarze Material eignete sich auch besonders gut für die Herstellung von Trauerschmuck.
Handtäschchen, Ausführung: Anonym,
Schlesien um 1820, Stahldraht, Stahl,
geflochten, MAK, EI 627
© MAK/Nathan Murrell
In derselben Vitrine ist eine zeitgenössische Arbeit der Künstlerin Petra Zimmermann (geb. 1975) zu sehen, bei der beide Themen zusammenfließen. Es handelt sich um eine Art „Taschenring“, wobei Zimmermann ein Drahttäschchen von 1934 in einen Ring verwandelte. Sie verarbeitete ein gefundenes Objekt der angewandten Kunst mit dem zeitgenössischen Material Kunststoff und schuf auf diese Weise eine tragbare Skulptur mit historischen Bezügen.
Ring o. T.
Entwurf und Ausführung: Petra Zimmermann, 2016
Metalltäschchen (Alpacca vergoldet, Inschrift: XVII. Kochball 1934, Wien Hofburg), Polymethylmethacrylat, 3 Amethyst-Perlen, Silber vergoldet
© Petra Zimmermann
Bei dieser Fülle an schönen und interessanten Objekten fällt die Auswahl schwer – entdecken lassen sie sich alle noch bis zum 2. November 2025 im Geymüllerschlössl.
An dieser Stelle möchte ich mich bei der Generaldirektion des MAK, Lilli Hollein, für die Einladung und das entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Ebenso danke ich Anne-Katrin Rossberg, Kustodin MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv, Lara Steinhäußer, Kustodin MAK Sammlung Textilien und Teppiche, Karoline Brand, Ausstellungsorganisation und dem gesamten MAK Team für die großartige Zusammenarbeit.
Ein Beitrag von Ulrike Johannsen, Gastkuratorin der MAK Ausstellung SIDEKICKS. Ringe und Taschen aus der MAK Sammlung