21. September 2020
Steht ein Schloss in Mähren – Auf einer Reise entdeckt Michael Macek eine kleine kulturhistorische Sensation
Auf meinen Reiseleitungen durch Böhmen, Mähren, in die Slowakei und nach Ungarn zeige ich meinen Gruppen oftmals Schlossanlagen von Verwandten und Bekannten sowie Räume und Objekte, die sonst nie ein Tourist zu Gesicht bekommt. Anfang September 2020 war ich mit 25 Personen in Mähren unterwegs und besuchte neben dem Josef Hoffmann Museum in Brtnice, einer gemeinsamen Expositur der Mährischen Galerie in Brno und des MAK, auch das mittlerweile in Staatsbesitz befindliche Schloss Lysice ca. 34 km nordwestlich von Brno (Brünn). Die langjährige Kustodin und Kastellanin des Schlosses führte die Gruppe, nicht wissend, welche Entdeckung wir im Zuge des Rundganges in dem ihr seit 30 Jahren vertrauten Schloss machen würden.
Schloss Lysice, ein barocker Sommersitz, ist aus einer mittelalterlichen Burg hervorgegangen und hat im Laufe der Geschichte zahlreiche Um- und Zubauten und auch Besitzerwechsel durchlaufen. Die letzten Besitzer bis 1945 waren das Grafengeschlecht der Dubský von Trebomyslice, das Schloss Lysice am Beginn des 19. Jahrhunderts durch Heirat erbte. Das an sich verarmte böhmisch-mährische Adelsgeschlecht (aus dem u.a. auch die bedeutende österreichische Schriftstellerin Marie Ebner von Eschenbach abstammte) zeichnete sich durch politische Fähigkeiten aus und brachte unter anderem einen mährischen Landeshauptmann, einen Hofkämmerer am kaiserlichen Hof in Wien, einen Verfassungsrechtler, einen Wissenschaftler, der mit Erzherzog Ferdinand Maximilian (dem späteren Kaiser von Mexiko) die erste große Weltumsegelung unternahm, und hohe Offiziere sowohl in der k. u. k. Armee als auch bei der Marine hervor.
Besondere Bedeutung sollte das barocke Schlosstheater im Nordflügel des Schloss Lysice für den Fortbestand des Hauses Dubský haben: Dieses ist auch ausschlaggebend, dass das ehemalige k.k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie, heute MAK, im Jahr 1913 das Dubský-Porzellankabinett erwerben konnte.
Am 3. Oktober 1902 schlugen kurz vor Mittag Flammen aus dem Dach des Nordflügels von Schloss Lysice und vernichteten in kurzer Zeit ein barockes Kleinod. Das Schlosstheater aus dem 18. Jahrhundert galt als bedeutendstes seiner Art in Mähren. Neben einer großen Sammlung an Kulissen und Kostümen fiel auch die gesamte Theaterbibliothek den Flammen zum Opfer. Nebenbei hatten die Dubskýs von der Hoftheaterverwaltung in Wien aus Anlass des Abrisses des Alten Hofburgtheaters am Michaelerplatz in Jahr 1888 Kostüme und Dekorationen sehr preiswert erworben, die leider ebenfalls ein Raub der Flammen wurden. Durch Funkenflug wurde auch der hohe Schlossturm in Brand gesetzt. Er stürzte teils in sich ein und begrub die darunterliegende Gotische Kapelle samt ihrer barocken Einrichtung unter sich.
Guido Graf Dubský (1835–1907) begann augenblicklich mit den Sicherungsarbeiten, um dem herannahenden Winter zuvorzukommen. 1903 begannen dann die eigentlichen Wiederaufbauarbeiten, die zeigten, dass der Wiederaufbau nicht nur viel teurer kommen sollte als geplant, sondern dass auch die Wiederherstellung eines Schlosstheaters den Kostenrahmen bei weitem übersteigen würde. Schweren Herzens entschied er sich, den Nordflügel, dessen barocke Außenmauern sich bis heute erhalten haben, in eine Bibliothek, eine Waffenkammer sowie ein großes Stiegenhaus umzuwandeln.
Auch der Wiederaufbau des Schlossturmes und der darunterliegenden Kapelle ging nur stockend voran, bis Guido 1907 starb und sein Sohn Albrecht (der letzte Besitzer des Schlosses) als Familienoberhaupt das Schloss, das Stadtpalais in Brünn (wo sich das Dubský-Prozellankabinett bis 1912 befand) sowie ein Stadthaus in Wien erbte. Die Barvermögen des Hauses Dubský waren zu dieser Zeit auf Grund des Wiederaufbaues aufgezehrt und Albrecht Graf Dubský (1882–1962) entschied, das Schloss Lysice als ganzjähriges Wohnschloss zu restrukturieren und dafür alle anderen Immobilien in Brünn und Wien zu verkaufen.
Neben der Fertigstellung des Nordflügels und der Restaurierung des Schlossturmes mit der darunterliegenden Schlosskapelle, sollten auch eine Heizung, eine zentrale Warmwasserzubereitung, Warmwasserleitungen im ganzen Schloss, mehrere moderne Badezimmer und elektrischer Strom Einzug ins Schloss halten. Auch ließ er die „Appartement-Enfilade“ des Grafen, die den gesamten 2. Stock schon seit der Barockzeit einnahm, modernisieren. Graf und Gräfin waren immer schon nicht nur räumlich, sondern auch durch das Stockwerk getrennt und fanden nur durch eine „intime, in der Wand versteckte hölzerne Wendeltreppe“ zueinander. Durch das große neue Stiegenhaus im Nordflügel bekam nun Albrecht erstmals in der Geschichte des Schlosses einen direkten Zugang zum Grafenappartement und zum Garten.
Um all diese Umbauten finanzieren zu können, waren immense Summen notwendig, die Albrecht durch den Verkauf der Immobilien und durch den Verkauf des Dubský-Porzellankabinetts, des ältesten Porzellankabinetts europäischer Herkunft an das heutige MAK aufbrachte.
Vollkommen unbekannt bis zu meinem Besuch auf Schloss Lysice war, was aus dem Stadtpalais Brünn noch ausgebaut und nach Lysice geschafft worden war. Als das Schloss aufgrund der Benes-Dekrete im Jahr 1945 verstaatlicht wurde, wurde das Schloss weitgehend geräumt, in seinen Räumen sollte ein „Museum des Kitsches“ errichtet werden. Tschechoslowakische Regierungsbehörden und Botschaften, aber auch die kommunistische Kreisleitung bedienten sich am Mobiliar und an den Gemälden, sodass bis heute nur wenige originale Möbel und Ausstattungsstücke gezeigt werden können und vieles aus anderen Schlössern heute als Einrichtung dient.
Umso bedeutender ist daher die Entdeckung der zwei Türenpaare, die vom Mittel-Salon in die Kapelle und von dieser in den Ecksalon der ehemaligen Gräfin führen: Sie sind vollkommen ident mit der Außentüre des in der MAK-Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus gezeigten Dubský-Porzellankabinetts. Dass weitere Original-Türflügel aus dem Palais Dubský in Brno, das um 1912 dem Erdboden gleichgemacht wurde, existieren, ist eine kleine Sensation. Dass aber diese Türen mit jener des Dubský-Porzellankabinettes ident sind, erleichtert nicht nur die Restaurierung dieses Türflügels im Museum selbst. Anhand der Pläne aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich auch darauf schließen, dass diese heute in Lysice eingebauten Türflügel genau jene Türflügeln waren, die im Brünner Stadtpalais die Türen zum großen Mittelsaal gebildet haben, von dem man rechts ins Porzellankabinett und links in einen dem Porzellankabinett ähnlich großen Gesellschaftsraum gegangen war.
Zwei Türpaare in Schloss Lysice lassen somit nicht nur erahnen, wie prachtvoll auch der Mittelsaal des Palais Dubský in Brünn gestaltet war. Sie ermöglichen zukünftig auch eine wissenschaftlich fundierte Restaurierung der Außentür des Dubský-Porzellankabinetts im MAK. Wohl eine „kleine Sensation“.
Ein Beitrag von Michael Macek, Porzellansammler, Mitarbeiter der MAK-Sammlung Glas und Keramik und freiberuflicher Kulturmanager
Wunderbar wie sich der Kreis der Forschung nun schliesst oder besser gesagt wiedereröffnet! Gratuliere zu dem Fund!
Vielen Dank für diesen äußerst interessanten Beitag. Ich würde an Ihren Führungen in Zukunft gerne teilnehmen.