DELETED SCENE

21. Dezember 2022

Insights

Der Künstler Thomas Hörl gestaltet für „THE FEST“ im MAK den Zwettler Tafelaufsatz

Auf Einladung von Gastkuratorin Brigitte Felderer befasste sich Thomas Hörl im Rahmen der Ausstellung THE FEST. Zwischen Repräsentation und Aufruhr mit einer künstlerischen Interpretation des Zwettler Tafelaufsatzes. MAK Kustode Rainald Franz erzählt die Geschichte der Entstehung des Tafelaufsatzes und hat mit Thomas Hörl über sein Projekt und seinen Zugang gesprochen.

Das Zisterzienserstift Zwettl bereitete 1768 ein Ehrengeschenk für Abt Rayner Kollman vor, der genau 50 Jahre zuvor seine Ewigen Gelübde abgelegt hatte. Durch eine Sammlung konnte das Konvent 600 Gulden aufbringen, um ein würdiges Geschenk zu finanzieren: ein Porträt des Jubilars, eine festliche Kantate von Josef Haydn und einen Tafelaufsatz aus Porzellan, hergestellt in der Kaiserlich-Königlichen „Porcellaine Fabrique“ in Wien, fünfzig Jahre zuvor gegründet und damit die zweitälteste Europas.

Zwettler Tafelaufsatz, um 1767 Ausführung: Kaiserliche Porzellanmanufaktur Wien MAK Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus © MAK/Georg Mayer

Zwettler Tafelaufsatz, um 1767
Ausführung: Kaiserliche Porzellanmanufaktur Wien
MAK Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus
© MAK/Georg Mayer

Dieser auch „Desserte“ genannte Tafelaufsatz für 30 Personen umfasste ursprünglich 9 Desserte-Bretter mit Spiegeln und weißen Porzellanleisten, eine Hauptgruppe in der Mitte, vier große und vier kleine Seitengruppen, 18 „einfache“ und 18 „kleine figürln“, 18 Blumenvasen sowie 48 Suppenteller, 72 Konfekt-Teller, acht Salzfässer und zwei „Saucieres“. Das Prunkgeschenk kostete insgesamt 488 Gulden und 20 Kreuzer. Am 7. Februar 1768 erreichte das Geschenk seinen Bestimmungsort.

DieDesserte“ hatte zunächst kein Konzept. Die Nachlieferung von vier hohen weißen Figuren, die im März erfolgte, war der Versuch, das Objekt doch noch ikonologisch derart zu vereindeutigen, dass es als Geschenk an einen Klostervorsteher angemessen erscheinen konnte. Die Hauptgruppe bildet die Porzellanerzeugung, umgeben von anderen Künsten: Architektur, Lyrik/Literatur, Dramatik, Astronomie und Geografie. Zum Ausdruck gebracht werden sollte damit ein „Triumph der Porzellanherstellung“, die sozusagen im Kreis jener Wissensgebiete erscheint, denen sie ihre Darstellungsinhalte verdankt. Dass Skulptur und Malerei nicht auftreten, ist nur konsequent, da in dieser Apotheose die „intellektuelle Kapazität“ des Porzellans, nicht seine handwerklichen Voraussetzungen glorifiziert werden. In keiner Weise diesem programmatischen Kern verbunden sind die vier doppelten Gruppen unter Bäumen – Götterlieben, bei denen Paris und Venus, Neptun und Amphitrite, Apollo und eine Muse sowie Venus und Vulkan auftreten. Dass das Ganze schließlich noch mit humorvollen Genrefiguren des „Kaufrufs“, mit Chinoiserien, mit „Amorln“ in verschiedener Kostümierung aufgefüllt wurde, entblößt geradezu die Ignoranz, die man beim Kauf an den Tag gelegt hatte. Bei dem spektakulären Geschenk hatte man mehr Wert auf die Geste gelegt denn auf eine inhaltliche Kongruenz zwischen Anlass und Aussage. 1926 wurde der Tafelaufsatz für das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) vom Stift erworben.

 

Dem musealen Hauptwerk aus der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur Wien, das permanent in der MAK Schausammlung Barock Rokoko Klassizismus zu sehen ist, möchte der 1975 in Hallein bei Salzburg geborene, in Wien lebende Künstler Thomas Hörl mit einer zeitgenössischen künstlerischen Kontextualisierung zu neuer, geänderter Aufmerksamkeit seitens der Ausstellungsbesucher*innen verhelfen. Auf Einladung von Gastkuratorin Brigitte Felderer ergänzte er im Rahmen der Ausstellung THE FEST. Zwischen Repräsentation und Aufruhr die in Biskuitporzellan ausgeführten glänzend weißen Figurinen durch seine Gestaltung. Daher auch der Titel seiner Arbeit Deleted Scene, füllt seine Gestaltung doch Leerstellen im Tafelaufsatz, die durch abhandengekommene Figuren entstanden sind.

In seiner künstlerischen Arbeit spürt der Absolvent der Wiener Akademie der bildenden Künste kulturellen Praktiken in lokalen Räumen nach und sucht nach Interpretationen von Sage und Ritual. Auf Grundlage ethnografischer und historischer Wissensbestände entstehen abstrahierte Bildwelten.

 

Thomas Hörl begann seine Untersuchung des Zwettler Tafelaufsatzes mit Zeichnungen, die er von einzelnen Figuren und Figurengruppen anfertigte, zunächst vor der von Donald Judd entworfenen Vitrine im Barocksaal der Schausammlung und dann im Depot und der Restaurier-Abteilung des MAK. Nach eigener Aussage fühlte sich Hörl geblendet von der Gruppe und baute mittels der Zeichnungen eine künstlerische Beziehung auf. Zeichnen versteht er als Mittel der Wahrnehmung, mit der Freiheit, eine eigene Annäherung an die Objekte zu entwickeln.

Der zeichnerischen Untersuchung der Desserte folgte die zunächst ebenfalls im Zeichnerischen angelegte Umgestaltung. Hörl setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit Elementen der Volkskultur auseinander, die er seit seiner Kindheit kennt. Feste im Jahreszeitenzyklus, volkstümliche Festdekorationen und Brauchtum, vor allem der Gasteiner Perchtenlauf mit Figuren wie den Scherenschleifern oder Harlekinen, den sogenannten Tersterern, transformiert er in seiner Arbeit aus dem ethnographischen Kontext in die Kunstwelt. „Sinnlich erfahrbar gehen ästhetische Qualitäten von Pop- und Volkskultur unmittelbar ineinander über. Rautenmuster werden in installativen Einrichtungen mit anderen Elementen verwoben und vernetzen sich mit der umgebenden Welt. Mit seinen Arbeiten bespielt Thomas Hörl glatte und gekerbte Oberflächen, der Schönpercht tänzelt durch die postmoderne Welt“, schreibt Simone Egger über seine Arbeiten im Katalog: Thomas Hörl. Curtain Walls & Rautenballett, Wien 2022, S. 14.

 

Durch seine Gestaltung der Stützen der Vitrine und die Bekleidung der weißen Biskuitporzellanfiguren mit von ihm entworfenen und eigens genähten Miniaturkostümen in den Farben der Harlekinkostüme will Hörl auf fehlende Figuren und Geschirr reagieren. Er nennt es „Arbeiten in den Fehlstellen des Zwettler Tafelaufsatzes“. Hörls künstlerische Ergänzung ist ein Parallelschritt zu den sonst bemalten Figuren der „Wiener Kaufrufe“, Cris de Vienne, die sich in Weiß auf dem Zwettler Tafelaufsatz und bunt in der Vitrine eines angrenzenden Raumes finden. Christian Daniel Brandts Stichwerk Die Zeichnungen nach dem gemeinen Volke besonders Der Kaufruf in Wien“. / „Etudes prises dans le bas peuple et principalement. Les Cris de Vienne, 1775 hielt diese Straßenhändler „…nach dem Leben gezeichnet“ fest.

Von außerhalb der Vitrine blickt die zerlegte, in Pappmaché gestaltete und mit dem charakteristischen Kostüm des Tresteres bekleidete Figurine des Harlekins auf den Zwettler Tafelaufsatz – der zweite Teil der Installation, Thomas. Thomas Hörls künstlerische Auseinandersetzung mit dem Zwettler Tafelaufsatz ist kulturelle Recherche, der Versuch, die Aufmerksamkeit der Besucher*innen durch die Bekleidung vermehrt darauf zu lenken, sich die Figuren genauer anzusehen. Seine Kostüme sollen wieder Interesse erwecken, Flüchtiges, Vergängliches in der Harlekinade von Hörl tritt in bewussten Kontrast mit dem hochbarocken Tafelaufsatz. Ein Versuch, die abstrakte hochbarocke Festgesellschaft neu künstlerisch zu deuten.

Ein Beitrag von Rainald Franz, Kustode MAK Sammlung Glas und Keramik

Die Ausstellung THE FEST. Zwischen Repräsentation und Aufruhr wird bis zum 7.5.2023 in der MAK Ausstellungshalle gezeigt.

Schreiben Sie einen Kommentar