29. Mai 2024
Doris Krüger
29. Mai 2024
Doris Krüger
Die Ausstellung TRANSMEDIALE 1900 in der MAK Schausammlung Wien 1900 zeigt 17 temporäre Interventionen von Student*innen der Klasse Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien (Leitung: Jakob Lena Knebl), die sich intensiv mit den Exponaten der Wiener Moderne auseinandersetzten. Die Gastkuratorin Doris Krüger führte für den MAK Blog ein Interview mit den Künstlerinnen Alice Klarwein, Camilla Ruh und Marlene Stahl, die in der Schau mit der Intervention Have you heard of… vertreten sind.
In Have you heard of… verhüllen die Künstler*innen eine existierende Vitrine mit einem textilen Überwurf und verbergen damit teilweise die Exponate. Gleichzeitig bildet der Überwurf Werke junger Künstler*innen ab und ergänzt damit die museale Vitrine um zeitgenössische Positionen. Die Arbeit passiert vor dem Hintergrund, dass die Geschichte von Künstlerinnen von Unsichtbarkeit und der Dominanz patriarchaler Gesellschaftsstrukturen geprägt war.
Doris Krüger
Euer erster Eindruck der Schausammlung hat dazu geführt, dass ihr eine Leerstelle wahrgenommen habt. Infolgedessen habt ihr eure Arbeit entwickelt. Was waren eure Überlegungen?
Alice Klarwein, Camilla Ruh und Marlene Stahl
In der Geschichte wurden Frauen systematisch benachteiligt und ausgeschlossen. Ihnen wurde der Zutritt zu Räumen verweigert, ihre Errungenschaften wurden herabgesetzt, und sie wurden in der Erinnerungskultur unsichtbar gemacht. Ein deutlicher Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentation findet in allen Disziplinen statt, einschließlich der Kunstwelt. Dieses Phänomen lässt sich auch im Leben und Werk der Frauen der Wiener Werkstätte erkennen.
Als Künstlerinnen müssen wir uns fortwährend fragen, warum das so ist und genau mit diesem Blickwinkel betraten wir die Ausstellung. Unser erster Eindruck war das deutliche Fehlen weiblicher Positionen in Ausstellungen. Dies ist die Perspektive, durch die wir Ausstellungen betrachten, insbesondere historische – die weibliche Repräsentation. Unsere Ausgangsbasis ist die Sichtbarkeit – was durften Frauen damals tun? Welche Anerkennung erhielten sie?
Obwohl wir uns seither als Gesellschaft weiterentwickelt haben, sind diese ungerechten patriarchalen Strukturen, wie beispielsweise Gatekeeping, immer noch in unserer Gesellschaft und in der Kunstwelt verankert und spürbar. Für junge Künstler*innen ist es immer noch schwieriger wahrgenommen zu werden und Institutionen haben Einfluss darauf, wer gesehen und gehört wird. Unsere Arbeit zielt darauf ab, diesen Zustand zu veranschaulichen und gleichzeitig zu einer Veränderung beizutragen, indem wir unseren Repräsentationsraum mit weiteren Künstler*innen teilen.
Doris Krüger
Ihr habt als Künstlerinnen-Gruppe gearbeitet, und darüber hinaus durch eure Arbeit weiteren Positionen eine Plattform geboten, im MAK auszustellen. Wie lief der kollaborative Prozess, und nach welchen Kriterien der weitere Auswahlprozess?
Alice Klarwein, Camilla Ruh und Marlene Stahl
Die Künstler*innen der Wiener Werkstätte arbeiteten oft medienübergreifend, was einen zentralen Aspekt ihrer Kunst reflektiert: die Idee des Gesamtkunstwerks. Wir legen Wert darauf, den kollaborativen Charakter, der bereits in ihrer Arbeit vorhanden war, fortzusetzen. Die Idee der Zusammenarbeit dient dazu, gegenseitige Sichtbarkeit zu schaffen und Netzwerke zu knüpfen. Indem wir uns auf die Arbeiten anderer beziehen, stärken wir gegenseitig unsere Positionen.
Wir entschieden uns, zu dritt an diesem Projekt zu arbeiten, um uns von der Idee des*r alleinschaffenden Künstlers*in zu trennen und unsere unterschiedlichen Kompetenzen in ein Gesamtwerk einfließen zu lassen und voneinander zu lernen. Das Konzept des Projekts basiert auf einer Idee von Camilla Ruh, die wir im Verlauf des Prozesses zusammen weiterentwickelt haben. Nach gemeinsamen kuratorischen Entscheidungen übernahm Camilla die Gestaltung des grafischen Musters. Marlene Stahl übernahm die Administration und die Kommunikation mit den Künstler*innen und der Institution, während Alice Klarwein ihre Kompetenz und Erfahrung in der Stricktechnik einbrachte. Obwohl wir alle unsere spezifischen Schwerpunkte in die Arbeit einbrachten, trafen wir Entscheidungen stets gemeinsam und unterstützen uns gegenseitig.
Für unsere Intervention haben wir uns für die Vitrine entschieden, da sie bereits als Sammel- und Ausstellungsraum fungiert. Wir haben junge Künstler*innen aus verschiedenen interdisziplinären Bereichen ausgewählt, die sich auch mit neuen künstlerischen Ansätzen befassen. In unserer Arbeit möchten wir diese Künstler*innen hervorheben und uns mit ihrem Schaffen repräsentativ auseinandersetzen. Wir haben selbst die Rolle von Kuratorinnen übernommen, um zu entscheiden, wer Zugang zu diesem neu geschaffenen Raum hat und wie die Positionen gleichberechtigt repräsentiert werden können.
Es war uns wichtig, nur zwei Seiten der Vitrine zu nutzen, da wir Ergänzungen in der Darstellung vornehmen möchten, ohne die Arbeit anderer zu verbergen oder zu entfernen. Unser Ziel ist es, den institutionellen Repräsentationsraum zu erweitern, um weiteren Künstlerinnen Zugang zu verschaffen.
Die Arbeiten folgender Künstler*innen wurden von uns ausgewählt: Ju Aichinger, Laura Dominici (Foto: Lea Sonderegger), Ines Frieda Försterling, hallo hilfe, Jooyoung Hwang (Foto: Marie Luise Baumschlager, Model: Ilija Nestorovic), Alice Klarwein, Erin Sankey, Liza Socan (Foto: Julian Lee-Harather), Camilla Ruh, Marlene Stahl und Iris Writze (Foto: Annika Schönfeldt).
Doris Krüger
Mit dem Jacquard-Strick habt ihr eine sehr spezifische Technik gewählt. Wie kam es zu dieser Entscheidung und welche Erfahrungen habt ihr mit dieser Produktionstechnik gemacht?
Alice Klarwein, Camilla Ruh und Marlene Stahl
Wir entschieden uns mit Textil zu arbeiten, da dies seit jeher als künstlerisches Medium genutzt wird, um Geschichten darzustellen und zu erzählen. Insbesondere der Jacquard-Strick eignet sich dafür besonders gut, da er eine starke Räumlichkeit durch eine optische Tiefe erzeugt. Die Arbeiten der Künstler*innen werden in ein grafisches Muster umgewandelt und neu eingefärbt, um die Hierarchie auf einer Ebene zu halten und einen homogenen Ausdruck zu schaffen. Um das Gesamtbild erkennen zu können, ist eine gewisse Distanz zum Werk erforderlich. Je weiter man sich im Raum befindet, desto deutlicher wird es erkennbar. So möchten wir den Betrachter dazu bringen, die Arbeit immer im Kontext des Raumes zu betrachten, wobei die Werke mit dem Raum verschmelzen und eine Einheit bilden.
Die Beschaffenheit des Materials, das aus mehreren Fäden zusammengeführt wird, symbolisiert Verbundenheit und Netzwerke. Textile Arbeiten werden oft immer noch als ‘weibliche’ und daher minderwertige Kunst betrachtet. Wir möchten das Schaffen mit Textilien als eine ermächtigende Tätigkeit reklamieren, um es neu zu positionieren.
Es ist eine neue und interessante Erfahrung, ein Textil selbst zu erzeugen, dessen Farben, Dicke und Muster zu gestalten. Das öffnet viele neue Gestaltungsmöglichkeiten und ermöglicht ein tiefes Verständnis der Technik des Materials.
Doris Krüger
Wenn ihr aus der Sammlung je ein historisches Objekt mit nach Hause nehmen könntet, um es in eure Wohnsituation zu integrieren: Welches würdet ihr wählen und warum?
Camilla Ruh
Ich würde mich für Margarete Schütte-Lihotzkys Wohn-Schlafraum für Frau C. Neubacher (1925) entscheiden. Es handelt sich um einen kleinen, privaten Wohn- und Schlafraum, der sowohl zum Arbeiten als auch zum Entspannen gedacht ist. Dieses Zimmer würde höchstwahrscheinlich genau in meine kleine Einzimmer-Mietwohnung passen. Es regt mich erneut dazu an, über Räume nachzudenken und wie wichtig es für mich ist, einen Ort zu haben, an dem ich mich zurückziehen kann und nur für mich allein verantwortlich bin. Es lässt mich aber auch über den immer noch fehlenden Repräsentationsraum für FLINTA-Künstler*innen nachdenken und darüber, wer überhaupt erst den intellektuellen, physischen und finanziellen Raum hat, um einer künstlerischen Tätigkeit nachzugehen.
Zur Zeit, als Margarete Schütte-Lihotzkys Zimmer entstanden ist, schrieb Virginia Woolf in Ein Zimmer für sich allein (1929), was es ihrer Ansicht nach braucht, damit Frauen sich frei entwickeln können. Sie betonte, dass es vor allem Geld, Zeit und ein eigenes Zimmer seien − alles Privilegien, die lange Zeit größtenteils Männern vorbehalten waren. Margarete Schütte-Lihotzky sehe ich hier in der Schausammlung als eine Pionierin und künstlerische sowie politische Aktivistin. Sie war eine der ersten Frauen, die an der Wiener Kunstgewerbeschule Architektur studieren durfte, setzte sich für die Gleichberechtigung von Frauen ein und schloss sich einer kommunistischen Widerstandsgruppe an. Sie inspiriert mich, da sie in ihrer Gestaltung über sozialpolitische Mechanismen und die Ökonomisierung von Raum nachdenkt. Denn wem wir Raum geben und für wen ein Raum gestaltet ist, ist immer eine politische Frage.
Abschließend möchte ich betonen, dass ich das Zimmer natürlich nicht in meine Wohnung stellen würde. Für mich ist es viel wichtiger, dass diese Arbeit im Kontext eines Museums ausgestellt wird, um Margarete Schütte-Lihotzkys Werk weiterhin Sichtbarkeit zu verleihen.
Marlene Stahl
Ich hätte mich für eine Vase von Elisabeth Schmidt-Pecht entschieden. Ich liebe die Idee, eine Arbeit einer Vorreiterin für FLINTA Künstler*innen bei mir daheim zu haben. Ich fände es ein bestärkendes Symbol und dies direkt bei mir zu haben wäre angenehm. Zudem könnte ich immer frische Blumen in mein Zimmer stellen. Es wäre, als würde ein altes Objekt neuen Dingen Leben geben.
Alice Klarwein
Mein Zimmer in Wien wirkt auf den ersten Blick vielleicht wie ein gemütliches Warenlager. Ein fast 4 Meter hohes und 3,5 Meter langes Schwerlastregal hält und sammelt alle meine Besitztümer − Kleidung, Möbel, Werkzeug und Materialien. Ein bodenlanger Vorhang öffnet und schließt den Bereich komplett. Mit einer Bewegung verändert sich mein Raum und leert sich optisch.
Koloman Mosers Schreibschrank für Berta Waerndorfer aus dem Jahr 1903 wäre die ideale Ergänzung. Er bildet eine ästhetisch geschlossene Einheit, einen geometrisch verzierten Holzquader mit verschiedenen Messing-Griffen. Bei Verwendung kann ein quadratischer Polstersessel herausgezogen werden, ein kleiner Schreibtisch versteckt sich hinter den geschlossenen Türen, kleine Schubladen rahmen alle Seiten. Ein Schrank verwandelt sich in einen Arbeitsbereich und wieder zurück in seinen passiven Zustand nach Ende der Tätigkeit.
In meiner Wohnung finde ich beide Stadien wichtig, den aktiven Arbeitsprozess sowie das Verschwinden dieses und das Umwandeln zu einem entspannten, einladenden Wohnraum. Zwei Erscheinungsformen, die dieses Möbel erlaubt, jedoch nicht sofort zeigt.
Danke für das Gespräch!
Das Interview mit den Künstlerinnen Alice Klarwein, Camilla Ruh und Marlene Stahl führte die Gastkuratorin Doris Krüger, Senior Artist an der Universität für Angewandte Kunst Wien.
Die Ausstellung TRANSMEDIALE 1900. Eine Intervention der Angewandten in der Schausammlung des MAK ist bis zum 20. Oktober 2024 in der MAK Schausammlung Wien 1900 zu sehen.