Was haben das MAK in Wien und die St.-Stephans-Basilika in Budapest gemeinsam?

6. Mai 2021

Insights

„Einen BRUNNEN. Ja, richtig – einen Brunnen“, erklärt Michael Macek und lädt am MAK-Blog zu einer kunst- und kulturhistorischen Wanderung zwischen Österreich und Ungarn mit einem Abstecher nach Florenz ein.

Diese Geschichte nimmt ihren Ausgangspunkt in Florenz zur Zeit der Renaissance. An der Errichtung und Ausgestaltung der Basilika Santa Maria di Novella, die nebenbei als Vorbild für den Florenzer Dom gelten sollte, waren vom 15. bis zum 16. Jahrhundert die bedeutendsten Künstler ihrer Zeit beteiligt, darunter Lorenzo Ghiberti, Domenico Ghirlandaio, Giorgio Vasari aber auch Giovanni della Robbia (1469–1529). Letzterer schuf unter anderem für die Sakristei der Basilika einen bedeutenden Lavabo-Brunnen, in dem sich der Klerus vor Beginn der Messe seine Hände reinigte.

 

Nun machen wir einen Zeitsprung über 350 Jahre und befinden uns Mitte des 19. Jahrhunderts. 1864 wurde das k. k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien gegründet und vorerst im nicht mehr benutzten kaiserlichen Ballhaus am heutigen Ballhausplatz untergebracht. Erst 1868 begann der Bau des eigentlichen Museumsgebäudes auf der Wiener Ringstraße nach Plänen von Heinrich von Ferstel, das am 4. November 1871 eröffnet werden konnte. Ferstel orientierte sich dabei an den klassischen Formen der Renaissance und arbeitete eng mit der Firma Wienerberger zusammen. Heute verbindet man mit Wienerberger im 19. Jahrhundert primär Ziegel, Ziegelteiche am Wienerberg sowie „Ziegelbehm“, jene Arbeiter aus Böhmen und Mähren, die unter schlimmsten Bedingungen arbeiten mussten. Wienerberger produzierte aber neben dem Massenprodukt „Ziegelstein“ auch prachtvollste Baukeramiken in relativ kleiner Stückzahl und arbeitete mit bedeutenden Künstlern der Zeit zusammen. So auch mit Valentin Teirich (1844–1876), der heute weitgehend in Vergessenheit geriet. Teirich war u. a. Schüler von Friedrich von Schmidt und erhielt schon mit 21 Jahren ein kaiserliches Reisestipendium, das ihn nach Venedig, Rom und Florenz brachte. Eben in Florenz studierte er die Renaissance und lernte auch erstmals den Lavabo-Brunnen von della Robbia kennen. 1866 aquarellierte er diesen Brunnen vor Ort. Diese Zeichnung ist in der MAK-Kunstblättersammlung erhalten.

Stilkopie Valentin Teirichs von 1866, Lavabo-Brunnen Giovanni della Robbia von 1498 © MAK

Stilkopie Valentin Teirichs von 1866, Lavabo-Brunnen Giovanni della Robbia von 1498
© MAK

Nach seiner Rückkehr aus Italien wurde Valentin Teirich bereits 1867 der Titel „Zeichner des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie“ verliehen. Ein Jahr später wurde er als Dozent an der neu gegründeten Kunstgewerbeschule für „Perspective, Schattenlehre und Projectionslehre“ angestellt. Teirich publizierte mehrere Werke über die italienische Renaissance und war ab 1868 auch an der Ausgestaltung des in Bau befindlichen Ringstraßengebäudes für das heutige MAK beteiligt. Da Heinrich von Ferstel einen Neorenaissancebau konzipiert hatte, lag es nahe, Valentin Teirich trotz seines jugendlichen Alters als ausgewiesenen Experten für die italienische Renaissance einzubinden.

Teirich hatte bereits für Wienerberger einzelne seiner Skizzen und Aquarelle, die in Italien entstanden waren, weiterentwickelt und den Lavabo-Brunnens von della Robbia auch säkularisiert. Somit konnte der Brunnen auf der Wiener Weltausstellung 1873 erstmals gezeigt werden und fand im Anschluss seinen Aufstellungsort in der Säulenhalle des heutigen MAK.

Xylograph des Brunnes von Valentin Teirich im Prachband zur Wiener Weltausstellung von 1873, MAK-Bibliothek © MAK

Xylograph des Brunnes von Valentin Teirich im Prachband zur Wiener Weltausstellung von 1873, MAK-Bibliothek
© MAK

Die Besucher*innen des MAK laufen oft an diesem Brunnen vorbei, der sich in der Säulenhalle vor der Schausammlung Renaissance, Barock, Rokoko befindet, ohne zu wissen, um welch interessantes und auch historisch bedeutendes Kunstwerk es sich dabei handelt. Er gilt bis heute als fest verbautes Ausstattungsstück und nicht als museales Objekt.

Valentin Teirich, Brunnen im MAK © MAK/Georg Mayer

Valentin Teirich, Brunnen im MAK
© MAK/Georg Mayer

Die Unterschiede zum Original de Robbias fallen besonders beim Relief in der Rundtonne auf. Der religiöse Aspekt aus Madonna mit Kind, flankiert von zwei Engeln, wurde von Valentin Teirich zugunsten eines Puttos, flankiert von zwei Schwänen verändert.

Valentin Teirich, Brunnen im MAK – Detailansicht © MAK/Georg Mayer

Valentin Teirich, Brunnen im MAK – Detailansicht
© MAK/Georg Mayer

Baukeramiken von Wienerberger wurden mehrfach produziert und verkauft. Dennoch war es bis zur Entdeckung eines identen Brunnens in Budapest vollkommen unbekannt, dass weitere Brunnen dieses Typs noch existieren.

Seit 1848 plante man auf der Pester Seite von Budapest eine riesige Kathedrale. Durch Revolution und Einsturz der ersten Kuppel wegen Baufehlern verzögerte sich die Fertigstellung der nach 1868 von Miklós Ybl im Neorenaissancestil abgeänderten St. Stephans Kathedrale bis 1905.

Außenansicht St. Stephans Basilika Budapest © Michael Macek

Außenansicht St. Stephans Basilika Budapest
© Michael Macek

Mit mehr als 8.500 Plätzen im Inneren ist sie der größte Kirchenbau der ungarischen Hauptstadt und dem ungarischen Nationalheiligen und ersten König des im Jahr 1000 gegründeten Königreiches Ungarn geweiht. Nichts lag also näher, als auch eine Reliquie des Heiligen Stephan in der neuen Kirche zu präsentieren: dabei handelt es sich um die seit dem Mittelalter bedeutendste Reliquie des Landes: die einbalsamierte rechte Hand König Stephans. Für diese „Heilige Rechte“ wurde eine eigene Kapelle samt Vorraum links neben dem Hauptaltar geplant, die dem Heiligen Leopold von Österreich geweiht ist. Immerhin steht die St. Stephans Kathedrale in der Budapester Leopoldstadt.

Reliquienschrein mit der „Heiligen Rechten“ von König Stephan © Michael Macek

Reliquienschrein mit der „Heiligen Rechten“ von König Stephan
© Michael Macek

Im Vorraum zur Kapelle sollte dabei ein Brunnen nach Renaissancevorbild zum Einbau kommen, um den Pilgern eine Erfrischung nach langer Wallfahrt und die Reinigung der Hände zu ermöglichen. Man griff dabei auf jenen Brunnen von Valentin Teirich zurück, den Wienerberger damals in seinem Assortiment von Baukeramik anbot. Damit wurde quasi ein historischer Brunnen de Robbias präsentiert, der auch im Unterschied zu jenem Brunnen im MAK seine historische Aufgabe als Lavabo-Brunnen erfüllen sollte. Einziger Haken: die „säkularisierten“ Änderungen Teirichs – vor allem im der Rundtonne, man hatte ja auf ein Katalogprodukt zurückgegriffen – blieben bestehen.

Valentin Teirich, Brunnen in der St. Stephans Basilika Budapest © Michael Macek

Valentin Teirich, Brunnen in der St. Stephans Basilika Budapest
© Michael Macek

Sollten Leser*innen weitere Brunnen von Valentin Teirich in der präsentierten Ausführung kennen / entdecken, wäre der Autor dieses Artikels für jeden Hinweis dankbar.

Ein Beitrag von Michael Macek, Porzellansammler, Mitarbeiter der MAK-Sammlung Glas und Keramik und freiberuflicher Kulturmanager

 

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