WERKSTÄTTE HAGENAUER. MAK BLOG GIBT EINBLICK IN DAS FASZINIERENDE ARCHIV, DAS DERZEIT AUSGESTELLT WIRD

30. März 2023

Forschung & Sammlung

Die Ergebnisse der Aufarbeitung des Hagenauer-Archivs durch die MAK Sammlungsmitarbeiterin Maria-Luise Jesch werden derzeit in der Ausstellung WERKSTÄTTE HAGENAUER. Wiener Metallkunst 1898–1987 (16.11.2022–3.9.2023) präsentiert. Sie widmet sich dem breiten Repertoire des Familienunternehmens, das zu den erfolgreichsten kunstgewerblichen Metallverarbeitungsbetrieben der Wiener Moderne zählt. Auf der Grundlage des Firmenarchivs werden signifikante Etappen aus der knapp 90jährigen Geschichte der Werkstätte gezeigt und interessante Einblicke in die künstlerischen Entstehungs- und Produktionsprozesse gewährt.

Werkstätte Hagenauer, Bernardgasse 7, 1070 Wien, 1986 © MAK

Werkstätte Hagenauer, Bernardgasse 7, 1070 Wien, 1986 © MAK

Ende des Jahres 2014 erwarb das MAK im Zuge einer umfassenden „Hagenauer Nachlassauktion“ mit großzügiger Unterstützung von Richard Grubman und dem Auktionshaus im Kinsky Teile aus der betrieblichen Hinterlassenschaft des Metallbildhauers Franz Hagenauer (1906–1986). Damit wurde der Grundstein für das Archiv der Werkstätte Hagenauer im MAK gelegt. In den darauffolgenden Jahren folgten weitere Teile durch großzügige Schenkungen seiner Tochter Caja Hagenauer. Sie hat gemeinsam mit ihrer Nichte Katja Schröckenstein eine erste Ordnung des Werkstattarchivs für die Übergabe an das MAK vorgenommen. Ergänzend zur jüngsten Übernahme von Fotos aus dem Nachlass im Jahr 2022 überließ Patrick Kovacs dem MAK das Archiv des Fotografen Edwin Babsek, der in den 1950er bis 1970er Jahren für die Produktfotos von Hagenauer verantwortlich war.

Aus dem Künstler- und Geschäftsnachlass nach Franz Hagenauer hat das MAK bedeutende Objekte aus der Geschäftseinrichtung sowie Werkstatterzeugnisse übernommen: Halbfabrikate, Rohlinge, Musterstücke, Modeln, Formen, Modelle und plastische Entwürfe. Besonders wertvoll für weitere Forschungstätigkeit ist das betriebliche Dokumentationsmaterial: historische Fotos der Werkstattprodukte, Skizzen, Entwürfe, Umzeichnungen und Schablonen zu den Erzeugnissen sowie korrespondierende Modellbücher, Kalkulationsbücher und Geschäftsunterlagen.

Büro der Werkstätte mit einer Figurengruppe von Franz Hagenauer, Messing getrieben, um 1933, Ausführung: 1967, Foto: 1980er Jahre © MAK

Büro der Werkstätte mit einer Figurengruppe von Franz Hagenauer, Messing getrieben, um 1933, Ausführung: 1967, Foto: 1980er Jahre © MAK

Werkstätte Hagenauer

Franz Hagenauer stammte aus einer Künstlerfamilie. Schon sein Vater, der Gold- und Silberschmied, Gürtler, Bronzearbeiter und Ziseleur Carl Rudolf Hagenauer (1872–1928) hatte im Jahr 1898 seine erste metallverarbeitende Werkstätte in Pressburg (heute Bratislava) gegründet. 1901 übersiedelte Carl samt Betrieb nach Wien. Seine Söhne Karl und anschließend Franz stiegen in das Familienunternehmen ein und führten es bis zu seiner Schließung im Jahr 1987 fort.

Carl Hagenauer widmete sich vorerst der Herstellung klassischer „Wiener Bronzewaren“ in historisierendem Stil. Um 1900 wandte er sich dem linearen Jugendstil zu, der einen Gegenpol zum erstarrten Historismus darstellte. Form und Dekor seiner Erzeugungen sind ab 1910 vom Einfluss der Wiener Werkstätte (WW) geprägt. Ihr Stil repräsentierte die damalige Moderne und fand durch die Wiener Kunstgewerbeschule (KGS) rasche Verbreitung. Carl schloss sich der neuen Bewegung an und ließ seinen Söhnen eine Ausbildung an der KGS zukommen.

 

Karl Hagenauer (1898–1956), Architekt, Gold- und Silberschmied, Ziseleur und Gürtler, orientierte sich zunächst an den Stilformen der Wiener Werkstätte, für die er auch als Entwerfer und Hersteller tätig war. 1920 verkaufte er an die WW eine Reihe von Elfenbeinschmuck (Haarkämme und Broschen), die große Ähnlichkeit zu Arbeiten Dagobert Peches aufweisen. Besonderen Erfolg feierte Karls Elfenbeinfächer, der mehrfach ausgestellt und auf der Weltausstellung in Paris 1925 prämiert wurde. Sein dichtes Netz aus floralen und figürlichen Motiven kennzeichnet neben Elfenbeinarbeiten und Schmuck auch die Oberflächen von Metallgegenstände jener Zeit.

Elfenbeinfächer von Karl Hagenauer, ausgestellt 1923 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) und auf der Kunstgewerbeausstellung Paris 1925, zeitgenössisches Foto © MAK

Elfenbeinfächer von Karl Hagenauer, ausgestellt 1923 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) und auf der Kunstgewerbeausstellung Paris 1925, zeitgenössisches Foto © MAK

Parallel dazu begann Karl Anfang der 1920er Jahre, figürliche Kleinplastiken zu entwerfen und sie als Produktlinie aufzubauen. Dabei setzte er die Tradition der Wiener Bronzen fort. Er aktualisierte die überkommenen Themen durch zeitgenössische Bezüge und neue formale Lösungen, die der Hoffmann-Schüler in stilistischer Reflexion seines ehemaligen Professors schuf. Darstellungen von Menschen und Tieren wurden so konzipiert, dass sie sowohl dem reinen Dekor dienten als auch mit verschiedenen Alltagsgegenständen kombinierbar waren. Dort ersetzten sie funktionale Teile wie Stiele, Henkel oder Griffe von Glutlöschern, Stempeln, Leuchtern, Lampen, Buchstützen, Flaschenöffnern, Handspiegeln etc.

Glutlöscher und Siegel von Karl Hagenauer, Messing vernickelt, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, 1927–1930, zeitgenössisches Foto © MAK

Glutlöscher und Siegel von Karl Hagenauer, Messing vernickelt, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, 1927–1930, zeitgenössisches Foto © MAK

Die Marke WHW, das Monogramm der Werkstätte Hagenauer Wien in einem Rundstempel, war durch ein Patent geschützt und kennzeichnete ab 1927 die Werkstatterzeugnisse. Rund 80 Mitarbeiter*innen waren zu jener Zeit im Familienunternehmen beschäftigt.

Ausstellungsansicht, 2022 WERKSTÄTTE HAGENAUER. Wiener Metallkunst 1898–1987 © MAK/Georg Mayer

Ausstellungsansicht, 2022, WERKSTÄTTE HAGENAUER. Wiener Metallkunst 1898–1987 © MAK/Georg Mayer

Ab 1940 nahm die Werkstätte die Herstellung von Möbeln in ihr Produktionsprogramm auf. Dafür gelang es Karl, seinen ehemaligen Studienkollegen Julius Jirasek als Mitarbeiter zu gewinnen.

Julius Jirasek (1896–1965), Architekt, war nach seinem Studium bei Oskar Strnad und Josef Frank an der KGS freischaffend tätig. Ab 1940 bis zu seinem Tod arbeitete Jirasek in der Werkstätte Hagenauer. Anfangs entwarf er dort Einrichtungsgegenständen aus Schmiedeeisen wie Leuchter, Holzträger, Zeitschriften-, Bücher- und Blumengestelle, Tische und Sessel. Neben einigen Entwürfen für Silberschmuck, Glas und Keramik konzentriert er sich ab 1941 auf den Werkstoff Holz. Jirasek plante Möbel und Gebrauchsobjekte des täglichen Alltags wie Tische, Servierwagen, Sekretäre, Garderoben, Barschränke, Anrichten, Bücherregale, Betten, Sitzmöbel, Spiegel und Beleuchtungskörper. Dabei orientierte er sich an den Einrichtungs- und Gestaltungskriterien der Zwischenkriegszeit. Seine Entwürfe zeigen mehrfunktionale, leichte Einzelmöbel, die eine individuelle und flexible Verwendung bei sparsamer Raumnutzung ermöglichten. Mit seinen Arbeiten trug er wesentlich zur Etablierung eines zeitgemäßen Einrichtungsstils in Wien bei.

Schreibtisch von Julius Jirasek, Nussbaumholz furniert, 1948, zeitgenössisches Foto © MAK

Schreibtisch von Julius Jirasek, Nussbaumholz furniert, 1948, zeitgenössisches Foto © MAK

Julius Jirasek, Entwurf eines Schreibtischs für die Werkstätte Hagenauer, 1948 © MAK

Julius Jirasek, Entwurf eines Schreibtischs für die Werkstätte Hagenauer, 1948 © MAK

Neben eigenen Kreationen setzte Jirasek auch Möbelskizzen von Karl und Franz Hagenauer sowie Josef Hoffmann in Konstruktionszeichnungen um. Die Ausführung der Möbelvorlagen übernahmen externe Tischlereien.

Franz Hagenauer (1906–1986), Metallbildhauer und Gürtlermeister, beendete 1925 sein Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule und trat in den väterlichen Betrieb ein. Im selben Jahr nahm der Schüler Anton Hanaks im Rahmen der KGS an der Kunstgewerbeausstellung in Paris teil. Dort wurde er für seine Wandreliefs und Blechplastiken mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. Die Bildhauer-Klasse war aufgefordert worden, einen Ausstellungsraum in Paris zu gestalten. Diese Gemeinschaftsarbeit mündete in einen metallverkleideten „Kultraum“. Die Ausstellung im MAK zeigt ein Relief von Franz aus diesem Raum, dessen ursprüngliche Position auf einem reproduzierten Wandausschnitt von 1925 verortbar ist. Darauf ist auch eine anonyme Metallplastik zu finden, die als Original im MAK den Pariser Eindruck ergänzt.

 

Wie sein Bruder ging Franz stilistisch aus der Wiener Werkstätte hervor und orientierte sich zunächst an ihrer Gestaltungsvielfalt. Er entwarf Gebrauchsgegenstände wie Schalen, Vasen, Kassetten und Lampen, deren getriebene Metalloberfläche von streumusterartig in die Fläche projizierten figuralen Darstellungen überzogen sind.

 

Ende der 1920er Jahre zeigen Franz‘ Erzeugnisse eine deutliche stilistische Zäsur. Der Großteil der Gebrauchsgegenstände hat nun alles Dekorative abgelegt. Vasen, Schalen und Leuchter besitzen glatte, ornamentlose Oberflächen und sind auf einfache geometrische Grundformen reduziert. Die Gestaltung der Objekte ist vordergründig durch ihre Funktionalität bestimmt und erinnert an formale Leistungen des Bauhauses.

Zwei Kerzenleuchter von Franz Hagenauer, Messingrohr, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, 1930, zeitgenössisches Foto © MAK

Zwei Kerzenleuchter von Franz Hagenauer, Messingrohr, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, 1930, zeitgenössisches Foto © MAK

Parallel zur funktionalen Form des Gebrauchsgegenstandes bringen Franz’ figurale Plastiken durch ihre Abstraktion völlig Neues in die zeitgenössische Wiener Metallkunst ein. Sie gelten als bedeutender Beitrag des Bildhauers zur Moderne. Die Gesichter seiner aus Blech getriebenen Köpfe, Masken und Figuren sind meist auf die Form eines Ovals reduziert und kommen, wenn sie nicht ganz darauf verzichten, mit vereinfachten Gesichtsmerkmalen aus. Diese Darstellungsweise ist aus der ethnischen Kunst bekannt. Sie ist im Kubismus und Futurismus zu finden.

Kaffeeservice von Karl Hagenauer, 1931, zeitgenössisches Foto © MAK

Kaffeeservice von Karl Hagenauer, 1931, zeitgenössisches Foto © MAK

In Anlehnung an Adolf Loos stellt Franz die traditionellen Repräsentationsformen infrage. Anfang der 1930er Jahre schloss sich auch Karl Loos‘ Reformideen an. Die Brüder orientierten sich nunmehr an zeitgemäßen Gestaltungskriterien wie Funktionalität und Wirtschaftlichkeit, wobei ihr Anspruch auf handwerkliche Qualität erhalten blieb. Während Karl gleichzeitig auch die Formensprache der WW fortsetzte, widmete sich Franz durch eine vereinfachte und schmucklose Gestaltung der „Zweckform“ seiner Erzeugnisse. Franz‘ Arbeiten zeichnen ihn als Verfechter von Loosideologischen Ansichten aus. Er würdigte den Vordenker, indem er die Totenmaske des 1933 Verstorbenen anfertigte. Dieses Erinnerungsstück begleitete Franz bis zu seinem eigenen Ableben und mag die Arbeit des Entwerfers inspiriert haben.

Büro der Werkstätte mit Adolf Loos‘ Totenmaske von Franz Hagenauer, Messing gegossen, 1933, Foto: 1980er Jahre © MAK

Büro der Werkstätte mit Adolf Loos‘ Totenmaske von Franz Hagenauer, Messing gegossen, 1933, Foto: 1980er Jahre © MAK

Hagenauer weltweit

Die Erzeugnisse der Marke Hagenauer wurden weltbekannt, bis in die USA exportiert und fanden ihren Niederschlag in der internationalen Filmindustrie.

Filmstill aus Grand Hotel mit Greta Garbo von Edmund Golding, USA 1932; Tischlampe mit stehender Frau als Requisite, Entwurf: Karl Hagenauer, 1928 © Alamy Stock Foto

Filmstill aus Grand Hotel mit Greta Garbo von Edmund Golding, USA 1932; Tischlampe mit stehender Frau als Requisite, Entwurf: Karl Hagenauer, 1928 © Alamy Stock Foto

Karl Hagenauer, Leuchter, Lampenfüße, Buchstütze, Messing, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, 1925-29 © MAK

Karl Hagenauer, Leuchter, Lampenfüße, Buchstütze, Messing, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, 1925-29 © MAK

Ende der 1920er Jahre zählten die Vereinigten Staaten zu einem der wichtigsten Handelspartner der Metallwerkstätte. Im Firmenkatalog von 1928 waren bereits Dollarpreise angegeben und auch auf einzelnen Kartons mit Produktfotos aus den 1930er Jahren, die variabel zu Verkaufskatalogen zusammengestellt wurden, bewarben amerikanische Kunden. Während der Zwischenkriegszeit forcierte die US-Regierung selbst den Import modernen Designs aus Europa. Neben dem Direktverkauf gingen die meisten Erzeugnisse der Werkstätte auf Großhandelsbasis an Kaufhäuser und Geschenkartikelgeschäfte. Hagenauer exportierte nach Dallas, Los Angeles, Buffalo (Pitt Petri) und New York (Rena Rosenthal, J. Mc. Creery, die Firmen Jovis und Friedlaender).

Auch die kanadische Metropole Toronto wurde mit Produkten der damaligen Moderne aus Wien bedacht, namentlich The Eaton an der Yonge Street. Eaton‘s galt zu jener Zeit als eine der größten Warenhausketten Kanadas. Sie wurde nach ihrem Gründer, dem irischen Einwandere Timothy Eaton benannt und besteht heute aus einem vierstöckigen Einkaufszentrum, dem Eaton Centre, in der Innenstadt Torontos. Aus den Geschäftsbüchern der Jahre 1929/30 geht hervor, dass der europäische Markt zu jener Zeit 34 Großstädte in zehn verschiedenen Ländern umfasste.

Mitte der 1950er Jahre rangierte die USA erneut als umsatzstärkste Exportnation gleich nach den Einnahmen innerhalb Österreichs. Neben sämtlichen europäischen Staaten wurden auch Hongkong, Kanada, Kuba, Saudi Arabien, Äthiopien, Curacao und Panama mit Erzeugnissen der Marke Hagenauer beliefert.

Ein Beitrag von Maria-Luise Jesch, Mitarbeiterin der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv

Die Ausstellung WERKSTÄTTE HAGENAUER. Wiener Metallkunst 1898–1987 wird bis zum 3. September 2023 im Wiener Werkstätte Raum gezeigt.

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