WER ZULETZT LACHT, LACHT AM BESTEN – ein museal-kuratorischer Blick auf DON CARLO in der Wiener Staatsoper

26. September 2024

NOW, Outside MAK

Lara Steinhäußer

Lara Steinhäußer, Kustodin der MAK Sammlung Textilien und Teppiche, hat die Generalprobe von DON CARLO, inszeniert von Theater-, Opern- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov, in der Wiener Staatsoper besucht. Für den MAK Blog schildert sie ihre persönlichen Impressionen des eindrucksvollen Stücks, das teilweise auch von einem Besuch im MAK inspiriert wurde.

LIBERTA prangt in großen Lettern auf der Brust des Kostüms der Figur des Rodrigo, Marquis de Posa, in Kirill Serebrennikovs Inszenierung von DON CARLO an der Wiener Staatsoper. Der seit 2022 im Exil lebende, russischstämmige Regisseur hat mit seiner Interpretation Verdis komplexes Meisterwerk in der vieraktigen Mailänder Variante aus der Mottenkiste geholt.

Étienne Dupuis (Rodrigo, Marquis von Posa) „Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper (2024, Regie: Kirill Serebrennikov) © Wiener Staatsoper/Sofia Vargaiová

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper (2024, Regie: Kirill Serebrennikov)
© Wiener Staatsoper/Sofia Vargaiová

 

Wie Opern-Fans wissen, ist dies Serebrennikovs zweite Inszenierung für die Wiener Staatsoper, gleichzeitig aber seine erste, die er hier vor Ort − gemeinsam mit einem internationalen Team − realisieren konnte. Für seinen Parsifal war er gezwungen, auf digitale Möglichkeiten zurückgreifen, da er wie viele seiner Kolleg*innen aus der russischen Kunstszene unter Hausarrest gestellt wurde und eine Haftstrafe absitzen musste.

Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit ziert die Fassade der Wiener Secession. Dieser Satz zieht mich − wie wohl auch viele andere − immer wieder in seinen Bann. Gerne würde ich Serebrennikov fragen, ob er diese Begeisterung teilt und weshalb er sich so für den musealen Umgang mit historischer Bekleidung interessierte, dass er DON CARLO in die Gegenwart und in ein fiktives „Institut für Kostümkunde“ transferierte. Doch zu einem aktuellen Interview war ein Foto von ihm abgebildet, auf dem er sich mit einer Basecap mit dem Aufdruck „DON’T DISTURB“ zeigt und in einem weiteren Interview war zu lesen, an wie vielen zahlreichen Projekten er zeitgleich arbeitet. Die Gelegenheit eines Gesprächs wird sich daher vermutlich leider nicht ergeben.

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper (2024, Regie: Kirill Serebrennikov) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper
(2024, Regie: Kirill Serebrennikov)
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Letzten Winter durften meine Kolleg*innen aus der Textilsammlung und -restaurierung und ich mehrere seiner Hinter-den-Kulissen-Mitwirkenden im MAK in Empfang nehmen und ihnen Einblick in unseren Arbeitsbereich gewähren. Ihr Interesse galt speziell der spanischen Mode des 16. Jahrhunderts. In der Produktion gibt es nämlich eine Ebene, die historischen Gemälden nachempfundene „Originalgewänder“ der Protagonist*innen (Don Carlo, Philipp II, Isabella) im Setting des „Instituts für Kostümkunde“ zeigt.

Die Haptik und Patina ein halbes Jahrtausend alter Kleidungsstücke und die zu Grunde liegenden handwerklichen Techniken studierten sie genauso aufmerksam wie die Arbeitsmäntel, die im Depot von den Mitarbeiter*innen des MAK getragen werden. Auch die säurefreien Archivkartons, in denen fragile textile Objekte bestmöglich für die Nachwelt erhalten werden und die hölzernen Transportkisten für den internationalen Leihverkehr waren für Sie von Interesse.

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper (2024, Regie: Kirill Serebrennikov) © Frol Podlesnyi

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper
(2024, Regie: Kirill Serebrennikov)
© Frol Podlesnyi

Alle diese Details hat das Team um Serebrennikov in die Inszenierung verwoben. Auch die zum Zeitpunkt des Besuchs laufende MAK Ausstellung CRITICAL CONSUMPTION (30.8.2023−8.9.2024), die sich dem kritischen Konsum von Bekleidung widmete, fand Eingang in die Gestaltung. Das Shirt mit dem Aufdruck LIBERTA referiert auf einen der Wandtexte der Ausstellung, den wir unter dem Titel „Informationsträger*innen“ Exponaten beigefügt hatten, die allesamt mit Aufschriften versehen waren. Auch Texte unserer Ausstellung fanden Eingang in das Programmheft.

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper (2024, Regie: Kirill Serebrennikov) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

„Don Carlo“-Produktion an der Wiener Staatsoper
(2024, Regie: Kirill Serebrennikov)
© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Für mich persönlich war es überraschend, all diese Details aus meinem Arbeitsumfeld auf der Bühne wiederzufinden. Einerseits hat es mich sehr gefreut, dass wir eine Opernproduktion – und noch dazu eine so hochkarätige − inspirieren durften, andererseits hat es mich zum Nachdenken gebracht. Hat Serebrennikov der museale Kampf gegen die Vergänglichkeit, der − wie ich dem Programmheft entnehmen konnte – vor allem durch seinen Besuch im Kyoto Costume Institute ausgelöst worden war, fasziniert oder gar auch belustigt? Zumindest ich musste gelöst lachen, als am Ende seiner Inszenierung, in dem Moment, in dem die Tragödie kulminiert, alle konservatorischen Bemühungen zu Staub zerfallen.

Wenn Sie wissen möchten, ob Sie meine Empfindungen nachvollziehen oder sogar teilen können, empfehle ich Ihnen DON CARLO in der Wiener Staatsoper ab 26.9.2024 einen Besuch abzustatten oder folgende Übertragungen zuzuschalten: 29. September um 20.15 Uhr in ORF III , 22.25 Uhr auf ARTE und am 5. Oktober um 19.30 Uhr auf  Ö1.

Die Ausstellung CRITICAL CONSUMPTION  können Sie vom 23.11.2024–31.10.2025 in adaptierter Form unter dem Titel STOFF/WECHSEL. Ein kritischer Blick auf Fast Fashion, ein Aufruf zu bewusstem Konsum im Frauenmuseum Hittisau sehen.

Ein Beitrag von Lara Steinhäußer, Kustodin MAK Sammlung Textilien und Teppiche

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