Anna Lülja Praun – das Lebenswerk der Architektur-Pionierin ist ab sofort auf der MAK Sammlungsdatenbank einsehbar

31. August 2024

Forschung & Sammlung

Carlotta Schiller und Judith Herunter

In 25 funktionellen Laden, verteilt auf drei Archivschränke, befindet sich ein ganzes Leben. Es ist der Nachlass der Architektin und Designerin Anna Lülja Praun, der 2009 auf Initiative von Martina Kandeler-Fritsch, stellvertretende wissenschaftliche Geschäftsführerin und Prokuristin des MAK, in den Besitz des MAK überging. Seitdem werden dort über 15.000 Objekte und Dokumente im Tiefspeicher verwahrt. Carlotta Schiller und Judith Herunter, Mitarbeiterinnen der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv, haben den umfangreichen Nachlass im Rahmen des Projekts MAK 3D aufgearbeitet und geben Einblick in das beeindruckende Lebenswerk, das ab 31. August über die digitale Sammlungsdatenbank des MAK abrufbar ist.

Porträt Anna Lülja Praun ©MAK

Porträt Anna Lülja Praun
© MAK

Martina Kandeler-Fritsch legte mit ihrer Diplomarbeit Entwicklungslinien und Grundsätze im Werk von Anna Lülja Praun die bis heute ausführlichste und umfangreichste Publikation zu Anna Lülja Praun vor. Seit März 2023 bearbeitet die Bibliothek und Kunstblättersammlung den Nachlass von Anna Lülja Praun: Im Zuge des Digitalisierungsprojektes MAK 3D – Digitalisate, Daten, Display, gefördert durch das BMKÖS/ NextGeneration EU, wurden die Objekte wissenschaftlich bearbeitet und in die Sammlungsdatenbank aufgenommen, Scans und ein 3-D-Scan angefertigt, anschließend wurden sie fachgerecht gelagert und ab nun stehen sie online zur Verfügung.

Anna Lülja Praun mit ihren Kommilitonen und Professor Zotter, Dezember 1927 © MAK

Anna Lülja Praun mit ihren Kommilitonen und Professor Zotter, Dezember 1927
© MAK

Anna Lülja Praun, geboren 1906 als Anna-Lülja Simidoff in St. Petersburg, aufgewachsen in Bulgarien und 2004 verstorben in Wien, verschlug es für das Architekturstudium 1924 nach Graz. Dort besuchte sie die Klasse von Friedrich Zotter und Wunibald Deininger. Hier lernte sie auch ihren Weggefährten Herbert Eichholzer kennen, einen Anhänger der internationalen Avantgarde und Volontär Le Corbusiers, mit dem sie 1930−1936 gemeinsam in dessen Atelier arbeitete. 1937 ging sie zurück nach Wien, um im Atelier von Clemens Holzmeister an Projekten wie dem Festspielhaus Salzburg und dem Wettbewerb für das Parlament in Ankara mitzuarbeiten. Während dieser Zeit lernte sie auch den Architekten und ihren zukünftigen Ehemann Richard Praun kennen, den sie 1942 heiratete. Mit ihm gemeinsam arbeitete sie nur an wenigen Projekten. Nach der Trennung eröffnete sie 1952 ihr eigenes Atelier im 8. Wiener Gemeindebezirk, wo sie bis zu ihrem Lebensende lebte und arbeitete.

Anna Lülja Praun und Clemens Holzmeister anlässlich seines 90. Geburtstags, 1976 © MAK

Anna Lülja Praun und Clemens Holzmeister anlässlich seines 90. Geburtstags, 1976
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Neben der Tätigkeit im eigenen Atelier ergab sich die Möglichkeit im Einrichtungshaus Haus & Garten, gegründet 1925 von Josef Frank, Oskar Wlach und Walter Sobotka, bei ihrer Freundin Lea Calice-Kalmar, die das Geschäft führte, mitzuarbeiten. Wlach selbst musste 1938, im Rahmen der Arisierung als jüdisch aufgelisteter, die Firma verlassen und flüchtete unmittelbar nach dem Verkauf von Haus & Garten an die Gebrüder Kalmár nach London. 1954 übernahm Anna Lülja Praun die Rolle als kreative Kraft des Einrichtungshauses und entwarf einige ihrer bis heute ikonischen Möbelstücke wie den F.L.P. Sessel, von dem einige Stücke im Besitz des MAK sind und im Februar 2024 im Rahmen des Förderprojektes auch ein 3D-Scan angefertigt wurde, sowie einen höhenverstellbaren Esstisch, welcher durch eine clevere Mechanik kurzerhand in einen niedrigen Couchtisch verwandelt werden konnte. Ab 1958 widmete sie sich ausschließlich dem eigenen Atelier und entwarf eine Vielzahl an Möbeln für private Auftraggeber*innen. Neben einigen Umbauten von Häusern und Wohnungen, entwickelte sie auch Konzepte für Firmen- und Geschäftseinrichtungen.

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Chair – F.L.P. by MAK – Museum of Applied Arts, Vienna on Sketchfab

Für ALP, wie Anna Lülja Praun liebevoll projektintern genannt wird, gab es stets drei zentrale Komponenten bei der Konzeption ihrer Möbel: Material, Form und Auftraggeber*in. Ihr Kredo: „Die Gültigkeit der Form muss so lange währen, wie das Material hält.“, macht deutlich, welchen Wert die Architektin auf die Materialauswahl für ihre Kreationen legte. Nur das Beste war gut genug, so kamen oft Edelhölzer, Hirschleder, Messing und Edelsteine für die Entwürfe zum Einsatz. Die Formensprache hingegen gestaltet sich durch schlichte Eleganz, welche die Funktionalität der Möbel in den Vordergrund rückt. Den dritten und vielleicht wichtigsten Aspekt bildeten die Auftraggeber*innen, da die Einrichtung wie ein „maßgeschneiderter Anzug“ auf die Person passen sollte. So pflegte Praun mit vielen Auftraggeber*innen jahrelange Freundschaften, wie etwa mit den Familien Denzel, Ligeti und Tscholakoff. Dementsprechend suchte sie sich ihre Kund*innen genauestens aus und lehnte auch Aufträge ab, wenn die Zusammenarbeit auf zwischenmenschlicher Ebene nicht funktionierte.
Diese enge Beziehung von Architektin und Auftraggeber*innen zeichnet sich in der Singularität ihrer Projekte ab. Jeder Entwurf wurde spezifisch auf die Person und ihre Bedürfnisse hin entwickelt. Spezielle Aufträge, wie die Einrichtung der Segelyachten von Wolfgang Denzel, veranschaulichen das architektonische Geschick Anna Lülja Prauns durch die optimale Nutzung des limitierten Platzes. So bediente sich die Architektin an raffinierten Klapp- und Ausziehmechanismen. Wandelbare Möbel, welche sich den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Nutzer*innen anpassen konnten, finden sich in ihrem gesamten Oeuvre.

Der Komponist György Ligeti sah in dem Komponierpult, welches Praun 1980 für ihn kreierte, einen wichtigen Faktor für seine musikalischen Erfolge und lobte in höchsten Tönen: „Ihr Komponierpult für mich ist ästhetisch und funktionell ein Meisterwerk. Ich konnte dadurch bessere Klavieretüden schreiben als ich sonst geschrieben hätte.“ Die schlichte Lösung eines fahrbaren Schreibpultes auf niedriger Höhe erlaubte es ihm nicht nur direkt am Klavier sitzend seine Kompositionen zu Papier zu bringen, sondern gab dank ausziehbarer Elemente auch Raum für schriftliche und telefonische Korrespondenzen.

Die Erfüllung von speziellen Anforderungen ihrer Auftraggeber*innen manifestiert sich vor allem in den zahllosen Entwurfszeichnungen im Nachlass, in welchen die Entwicklungsstufen jedes einzelnen Projektes nachvollzogen werden können. Hier sei zum Beispiel das Haus Tscholakoff (1976) genannt – der einzige Auftrag, bei welchem die Architektin völlig freie Hand hatte und nicht bereits bestehendes Baumaterial in ihrem Konzept mitbedenken musste. Diese einzigartige Situation in ihrem Werk gibt uns einen wertvollen Einblick in den Prozess der Künstlerin. Es existieren für dieses Bauprojekt viele Vorstudien von Praun, durch die man ihren Entwicklungsprozess bis zum endgültigen Entwurf besonders gut verfolgen kann. Nach verschiedenen, teils ausgefallenen, Ideen entschied sie sich schlussendlich für einen klassischen rechteckigen Grundriss. Dies mag überraschend sein, doch als Innenarchitektin legte Anna Lülja Praun bei der Gestaltung besonderen Wert auf eine eindrucksvolle Wirkung der Innenbereiche, welche sie dank der Prinzipien Transparenz und Rhythmisierung erreichte. Die gegliederten Glastüren und Trennwände erlauben für eine bemerkenswerte Lichtdurchflutung der Wohnräume. Ein Effekt, der durch den Einsatz hoher Sprossenfenster noch weiter verstärkt wird. Das Spiel mit Licht als Designelement setzt sich zudem im rhythmischen Einsatz der Deckenlampen noch weiter fort. Der Fokus auf Transparenz und helle, offene Räume und muss bei ihren Auftraggeber*innen auf große Begeisterung getroffen haben, da sie diese Gestaltungsprinzipien vier Jahre später für das Haus Ligeti erneut einsetzte.

In der Aufarbeitung Anna Lülja Prauns Lebenswerkes wird immer wieder deutlich: Im Zusammenspiel von Funktionalität und Ästhetik kreierte die Architektin eine zeitlose Formensprache, welche noch weit über ihre lange Schaffenszeit hinaus andauern wird.

Hier geht es zur digitalen MAK Sammlungsdatenbank und zum umfassenden Werk von Anna Lülja Praun.

Ein Beitrag von Carlotta Schiller und Judith Herunter, Mitarbeiterinnen der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv

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