Felice Rix-Ueno – Kulturaustausch zwischen Wien und Japan

19. Dezember 2023

Forschung & Sammlung

Anne-Katrin Rossberg, Kustodin der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv

Nach Vally Wieselthier, Hilda Jesser und Fritzi Löw verfolgt der MAK Blog die Karriere einer weiteren Künstlerin der Wiener Werkstätte. Mit der Ausstellung STERNE, FEDERN, QUASTEN ist Felice Rix-Ueno derzeit eine umfassende Einzelpräsentation im MAK gewidmet. Anne-Katrin Rossberg, Kustodin der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv, verfolgt Rix-Uenos Wege zwischen Europa und Asien, die sich auf vielfältige Weise in ihren Designs niedergeschlagen haben.

Bereits Josef Hoffmann attestierte seiner Studentin im Abschlusszeugnis ein höchst individuelles Talent: Drei Jahre hatte Felice Rix, geboren 1893, in seiner Klasse an der Kunstgewerbeschule studiert, um dann Mitarbeiterin der Wiener Werkstätte (WW) zu werden. Tatsächlich fällt ihr sehr früh ausgebildeter, unverwechselbarer Stil auf, entwickelt aus Vorbildern der japanischen Kunst, welche die Wiener Moderne um 1900 so stark geprägt hatte. Die Beschäftigung damit war Teil des Unterrichts an der Kunstgewerbeschule, und so kam Felice Rix mit Färberschablonen (katagami) und Farbholzschnitten (Ukiyo-e) in Berührung.
Ein fantastisches Resultat dieser Beschäftigung ist das Mappenwerk Mode Wien 1914/5, an dem etliche WW-Künstler*innen beteiligt waren. Die Linolschnitte auf Japanpapier sind von der Machart her eine Hommage an die berühmten Ukiyo-e. Rix setzt in ihren Blättern zu dem japanische Stilmittel ein: Eine Winterszene zeigt wenig Tiefe, dafür viel Platz um die Figurengruppen. Zugleich findet sie mittels Abstraktion zu einer sehr modernen Sprache: Die Bäume werden nur schematisch angedeutet, die Häuser sind New York näher als der Wiener Ringstraße.

Besonders eindrücklich scheint die Beschäftigung mit den japanischen Färberschablonen gewesen zu sein. Seit 1907 gelangten sie zu Tausenden in die Vorbildersammlung des heutigen MAK und standen den Studierenden an der benachbarten Kunstgewerbeschule als Anschauungsmaterial zur Verfügung. Eine direkte Anregung für Rix’ Stoffmusterentwurf Purpurnelke könnte ein katagami aus dem 19. Jahrhundert gewesen sein. Der Vergleich zeigt, auf welche Weise die Künstlerin die Motive umdeutete: Die halb oder ganz entfalteten Fächer der Färberschablone wurden bei ihr zu Blüten – das Muster wurde damit dem westlichen Geschmack angepasst.
Weitere Beispiele für den „Japonismus“ von Felice Rix sind Stoffe, die motivisch oder durch ihren Titel mit dem Land verbunden sind. Ein Stoffmuster aus dem Jahr 1923 nennt sie Japanland, verarbeitet hier aber auch andere asiatische Einflüsse. Das Übereinanderstaffeln von Figuren, Pflanzen, Bergen und Flüssen erinnert eher an chinesische Tapeten. Rix hat sich hier ihr eigenes Bild von einem Land gemacht, das sie noch nicht kannte und das 1923 ein schweres Erdbeben erleiden musste. Das Stoffdesign ist offenbar unter dem Eindruck dieses Ereignisses entstanden.
Ein Jahr später begegnete Felice Rix dem Architekten Isaburo Ueno, der nach einem Studienaufenthalt in Berlin ab August 1924 in Hoffmanns Architekturbüro arbeitete. Womöglich als Reaktion auf diese Bekanntschaft kreierte sie das Stoffmuster Tokio.

Zwei Fotos von Felice und Isaburo zeigen, wie sich beide auf die jeweils andere Kultur auch jenseits der Kunst eingelassen haben. Einmal ist das Paar auf dem Dampfschiff Unterwalden zu sehen, das bis heute auf dem Schweizer Vierwaldstättersee verkehrt. Isaburo trägt traditionelle Bergsteigerkleidung – Knickerbocker, Wollstrümpfe und Bergschuhe –, Felice hingegen ist städtisch gekleidet. Auf dem zweiten Bild, das in Kyoto entstanden ist, sieht man umgekehrt Felice im traditionellen Kimono und Isaburo im urbanen Anzug.
Beide heiraten im Oktober 1925 und übersiedeln nach Kyoto, wo sie im März 1926 das gemeinsame Architekturbüro Ueno eröffnen. Die Künstlerin kehrt bis zur Auflösung der Wiener Werkstätte 1932 regelmäßig nach Wien zurück und ist weiterhin für das Unternehmen tätig.

Mit dem Gewandtypus „Kimono“ war Felice Rix-Ueno schon in ihrer Wiener Zeit in Berührung gekommen. In der Mode der Zwischenkriegszeit erfreute sich das Kleidungsstück als eine Art Morgenmantel großer Beliebtheit. Der Japonismus der Wiener Moderne zeigt sich also nicht nur in der Übernahme und Adaption von Motiven und Darstellungsarten aus den katagami oder Ukyio-e, sondern auch in der Integration klassischer japanischer Elemente in den westlichen Alltag. Der Kimono in der Mode ist dafür ein Beispiel ebenso wie der Wandschirm im Interieur.

Koloman Mosers Paravent aus dem Jahr 1906 ist ein Beispiel für die Beschäftigung mit den Vorbildern auf zwei Ebenen: typologisch und gestalterisch. Er entwarf einen dreiteiligen Wandschirm, gestaltet mit Blattgold und Figuren-Collagen aus Marmorpapier. Deren beschnittene Darstellung in extrem hohen Formaten folgt der japanischen Formensprache. Ebenso war der Goldgrund ein klassisches Gestaltungselement, wie ein Wandschirm aus dem 18. Jahrhundert zeigt. Auch in Felice Rix-Uenos um 1935 entstandenen Paravent nimmt die Goldfarbe gemeinsam mit einem schmutzigen Silber die größte Fläche ein, das Landschaftsmotiv ist in der Mitte zusammengefasst. Seine Kleinteiligkeit wird durch die umgebende Leere beruhigt. Der Paravent ist eine sehr überzeugende moderne Interpretation der Vorbilder, die über das rein Dekorative deutlich hinausgeht.

Felice Rix-Ueno, Bildrolle “Christkindlmarkt in Wien” (Ausschnitt), 1955 © The National Museum of Modern Art, Kyoto

Felice Rix-Ueno, Bildrolle “Christkindlmarkt in Wien” (Ausschnitt), 1955
© The National Museum of Modern Art, Kyoto

Felice Rix-Ueno, Bildrolle “Christkindlmarkt in Wien” (Ausschnitt), 1955 © The National Museum of Modern Art, Kyoto

Felice Rix-Ueno, Bildrolle “Christkindlmarkt in Wien” (Ausschnitt), 1955
© The National Museum of Modern Art, Kyoto

Ein ostasiatisches Kulturgut, das Felice Rix-Ueno noch nicht in ihrer Wiener Zeit beschäftigt hat, ist das Rollbild. Gemeinsam mit ihrem Mann kreierte sie ab 1940 horizontale Rollbilder; er schrieb die Texte, sie entwickelte die Illustrationen dazu. Es sind Schilderungen aus der Mandschurei, wo Isaburo während des zweiten Sino-japanischen Krieges als Bauingenieur stationiert war.
Hochinteressant ist ein nur von Felice gestaltetes, fast zwei Meter breites Rollbild, das den Christkindlmarkt in Wien zeigt: bunte Verkaufsstände, Maronibrater, Kramperl und den Verkauf von Tannenbäumen. Es ist ein Erinnerungsbild an Kindheit und Jugend und die Erzählung entsprechend in einer eher naiven Formensprache gehalten. Hier prallen beide Kulturen direkt aufeinander: Das japanische Kunstformat dient einem beliebten österreichischen Thema und ermöglicht der Künstlerin eine „unendliche Geschichte“.

Felice Rix-Ueno, Entwurf für eine Wiener-Werkstätte-Werbung, 1930/31 © MAK

Felice Rix-Ueno, Entwurf für eine Wiener-Werkstätte-Werbung, 1930/31
© MAK

Einen Kulturtransfer in die andere Richtung zeigt Rix-Uenos Entwurf einer Werbung für die Wiener Werkstätte: Auf der Skizze ist die Kärntner Straße zu sehen mit den prominent eingezeichneten Geschäften der WW auf den Nummern 32 und 41. Sie erstrecken sich über etliche Etagen in hochhausähnlichen Gebäuden, was der Wirklichkeit nicht entsprach. Die ganze Straße erinnert an die Fifth Avenue, die in den Central Park mündet (wo eigentlich der Stephansplatz sein sollte).
Tatsächlich gab es in den Jahren 1922/23 einmal eine WW-Filiale in der Fifth Avenue. Mit ihrer Imaginationskraft schaffte es Felice Rix-Ueno auch hier, ganz verschiedene Geschichten und Orte zu verbinden und damit den internationalen Austausch in einer kleinen Werbeskizze Bild werden zu lassen.

 

Ein Beitrag von Anne-Katrin Rossberg, Kustodin der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv – mit Dank an das National Museum of Modern Art in Kyoto und deren Chefkuratorin Yuko Ikeda.

Die Ausstellung STERNE, FEDERN, QUASTEN. Die Wiener-Werkstätte-Künstlerin Felice Rix-Ueno (1893–1967) ist noch bis 21. April 2024 im Zentraler Raum MAK DESIGN LAB zu sehen.

Veranstaltungstipp:
Internationales Symposium am 25. und 26. Jänner 2024: GRENZEN ÜBERSCHREITEN. Mitteleuropäische Künstlerinnen und Designerinnen / CROSSING BORDERS: Central European Women in the Arts im MAK Vortragssaal.

Lesetipp:
Marie-Eve Celio-Scheurer, When motion blurs boundaries: made in Vienna, made in Japan, International Institute for Asian Studies, Newsletter 89/2021 https://www.iias.asia/the-newsletter/article/when-motion-blurs-boundaries-made-vienna-made-japan

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