PROUD TO BE PRIDE: Plakate brechen gesellschaftliche Tabus

19. Juli 2024

Insights

Peter Klinger

Anlässlich der Ausstellung PROUD TO BE PRIDE im MAK Plakat Forum wirft Kurator Peter Klinger einen persönlichen Blick auf zwei gezeigte Sujets. Gestaltet für zwei Initiativen weisen sie in all ihrer Unterschiedlichkeit auch Gemeinsamkeiten auf: das Plakat für das Festival Wien ist andersrum und der „Anschlag Erst mal alle ausziehn! für die Veranstaltungsreihe H.A.P.P.Ynings.

MAK Ausstellungsansicht, 2024 PROUD TO BE PRIDE MAK Plakat Forum © MAK/Christian Mendez

MAK Ausstellungsansicht, 2024
PROUD TO BE PRIDE
MAK Plakat Forum
© MAK/Christian Mendez

Andersrum gedacht!

Ich erinnere mich an den Sommer 1996, als in Wien eine außergewöhnlich skurrile Plakatkampagne für das Kultur- und Entertainmentfestival Wien ist andersrum den öffentlichen Raum irritierte. Der veranstaltende Verein Ecce Homo, gegründet vom deutschen Rabenhof-Dramaturgen und Aktivisten Jochen Herdieckerhoff, gestaltete mit dieser Aktion den Auftakt zum Festival rund um die jährlich stattfindende Regenbogenparade. Die Plakate zu dieser Veranstaltung wurden vom Atelier Trio Logo nach Ideen von Herdieckerhoff entworfen.

Queere Aneignungen der Grafiker*innen konterkarieren ikonische Wienbilder, wie das Johann-Strauß-Denkmal, den Rathausmann , Kaiserin Sisi, oder den Steffl. Der Blick auf das touristische Klischeebild Wiens wurde damals von den Grafiker*innen um eine queere Note erweitert. Tabubrüche wie die ikonische Darstellung des lächelnden Rathausmanns mit einem überdimensionalen erigierten Penis oder auch die Uminterpretation von Franz Xaver Winterhalters weltbekanntem Portrait von Kaiserin Elisabeth zu einer lesbischen Interaktion sorgten für Verwirrung und Zuspruch zugleich.

Um die Plakate für das MAK zu sichern, traf ich 1996 schließlich auf den „geistigen Vater“ der Poster, Jochen Herdieckerhoff, der mir scherzhaft vorschlug, die Plakate um eine Million Schilling gerne dem MAK anbieten zu wollen. Zwei Tage nach dem Treffen übernahm ich diese Serie für die Sammlung des MAK als Schenkung.

Erst mal alle ausziehn! Eine Burleske mit Tiefgang

Gehäkeltes, viel Plüsch und „Bad Taste“ waren ab 1993 in Wien angesagt. Nein, von keinem neuen Modetrend war hier die Rede, sondern von Happenings im Zeichen der Queerness. Die sich selbst finanzierende Initiative H.A.P.P.Y  rund um den Ideengeber Thomas Seidl alias Herr Tomtschek (1968−2011) begeisterte ab 1993 mit ihren H.A.P.P.Ynings mit zeitgeistigen, trashigen und vor allem humorvoll subversiven Performances das Wiener Publikum. Die Veranstaltungsreihe, die im Wiener Lokal Blue Box ihren Anfang nahm, musste aufgrund seines Erfolges in das größere WUK umsiedeln. Bis 2011 loteten über 400 Veranstaltungen die Tiefen subkultureller und genderfluider Verschrobenheiten in Wien aus. Die Bandbreite ihrer szenischen Aufführungen, wie Musikperformances, TV-Programmshows, Lesungen, Schauspiel und und und ist bei flüchtiger Betrachtung Blödelei. Der Subtext jedoch vermittelt einen klar politischen und mehr noch genderpolitischen Inhalt.

Das hier vorgestellte Plakat Erst mal alle ausziehn! (2003, reprint 2024) wurde vom Designstudio 3007 mit Eva Dranaz (Grafikerin) und Jochen Fill (Fotograf) entworfen und im Rahmen der Austrian Fashion Week 03 im Unit F-Büro für Mode ausgestellt. Die vertauschten Geschlechterrollen werden durch an Bodies oder Jumpsuits angenähte Geschlechtsmerkmale offensichtlich. Die dargestellten Typen könnten Figuren aus jeder Veranstaltung der 400 H.A.P.P.ynings sein. Die Kostüme wurden, wie so oft, von Herrn Tomtschek „designed“.

Erst mal alle Ausziehn! 10 Jahre H.A.P.P.Y - Ein Modesstreichelzoo Entwurf: Eva Dranaz, Jochen Fill Fotografie: 3007 2003 (reprint 2024) Köstüme: Herr Tomtschek Digitaldruck PI 22112 © 3007

Erst mal alle ausziehn!
10 Jahre H.A.P.P.Y – Ein Modesstreichelzoo
Entwurf: Eva Dranaz, Jochen Fill
Fotografie: 3007
2003 (reprint 2024)
Köstüme: Herr Tomtschek
Digitaldruck
© 3007

2006 lernte ich Eva Dranaz (Grafikerin) und Jochen Fill (Fotograf) im Zuge des jährlich stattfindenden Ausstellungszyklus 100 Beste Plakate. Deutschland Österreich Schweiz im MAK kennen. Beide erhielten damals, wie später auch, einen Preis. Für mich sind ihre Kritiken an den jeweiligen Wettbewerben immer eine Art Stimmungsbarometer.

Mein Konzept für die Ausstellung PROUD TO BE PRIDE wurde bei einem, für mich sowieso längst überfälligen Atelierbesuch bei 3007 und Ristretto besprochen. Beide sind mir als Kenner der Szene in Wien unentbehrlich. Es waren die beiden, die mich auf die Initiative H.A.P.P.Y aufmerksam gemacht und dem MAK das Plakat sofort zur Verfügung gestellt haben.

Zwei aufwendig gestaltete Publikationen begleiten H.A.P.P.Y über die Jahre: Haare am Po-Po, Yeah! Das wunderbare H.A.P.P.Y-Buch, herausgegeben von Andrea Khol, 2004, und Hapsi Apsi Pipsi Popsi Yipsi! Jugendhaare einer Kaiserin, herausgegeben von Eva Dranaz, Christopher Wurmdobler und Jochen Fill, 2013 . Wer Happy ist, dem kann ich die zeitgeschichtliche Nachlese von Eva Dranaz, Jochen Fill und Christopher Wurmdobler wärmstens ans Herz legen.

Die Ausstellung PROUD TO BE PRIDE ist noch bis zum 1. September 2024 im MAK Plakat Forum zu sehen.

Ein Beitrag von Peter Klinger, Stellvertretender Leiter der MAK Bibliothek und Kunstblättersammlung

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar